Stadtgeschichte Von evangelischen Leichen und bitterer katholischer Armut

Trier · Forscherteam holt ein vernachlässigtes Kapitel der Stadtgeschichte aus der Versenkung: Quellenband dokumentiert das Leben in Trier in der frühen Zeit der preußischen Herrschaft.

 Ein in vielerlei Hinsicht gewichtiges Werk: Jort Blazejewski (links), Nina Schweisthal und Stephan Laux mit ihrer Anthologie „Quellen zur Geschichte der Stadt Trier in der frühen Preußenzeit (1815 - 1850).“

Ein in vielerlei Hinsicht gewichtiges Werk: Jort Blazejewski (links), Nina Schweisthal und Stephan Laux mit ihrer Anthologie „Quellen zur Geschichte der Stadt Trier in der frühen Preußenzeit (1815 - 1850).“

Foto: Trierischer Volksfreund/Roland Morgen

7. Mai 1852: Pfarrer Cordel weigert sich, die verstorbene Frau Schulz aus Feyen auf dem Friedhof von St. Matthias beisetzen zu lassen. Grund: Es handele sich um eine „evangelische Leiche“. Tags darauf rückt die Polizei an und muss das vom Pastor manipulierte Schloss des Friedhofstores gewaltsam öffnen. Dann kann Frau Schulz beerdigt werden. Der Geistliche protestiert; „weitere Störungen“ unterbleiben. Fall erledigt.

Der dazugehörige Schriftverkehr zwischen Pastor, Bürgermeister und Polizeidirektion lagert im Stadtarchiv und hätte das wohl noch bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag unbeachtet getan, wäre nicht Stephan Laux (51) auf den Plan getreten. Der Professor für Geschichtliche Landeskunde an der Uni Trier startete gemeinsam mit Nina Schweisthal (30) und Jort Blazejewski (27) ein Forschungsprojekt, um, wie er sagt, „ein richtungsweisendes, aber bislang völlig unterbelichtetes Kapitel Trierer Geschichte“ aus der Versenkung zu holen.

Resultat ist ein im doppelten Sinne gewichtiges Buch. 2,7 Kilo bringt der 940-Seiten-Wälzer „Quellen zur Geschichte der Stadt Trier in der frühen Preußenzeit“ auf die Waage. Zu einem wissenschaftlichen Schwergewicht macht ihn der Inhalt. 255 Quellen von Briefen über offizielle Dokumente wie Ratsprotokolle und Statistiken bis hin zu Abbildungen berichten aus höchst unterschiedlichen Blickwinkeln über die die damaligen Gegebenheiten. Nach dem Ende des Kurfürstentums und zwei Jahrzehnten, in denen Trier zu Frankreich gehörte, prägen in der frühen Phase preußischen Herrschaftsphase (ab 1815) krasse wirtschaftliche und soziale Gegensätze die Stadt. Laux: „Da kommt der König aus dem fernen Berlin in Erwartung huldvoller Zustimmung in die Stadt, und eine Straße weiter vegetieren die Menschen unter erbärmlichsten Umständen.“ Es sind Jahrzehnte des Umbruchs, geprägt von Armut, Auswanderung, Weinkrise, Kirchenkampf und Revolution sowie von sehr zaghaften Anfängen von Modernisierung und Industrialisierung. Und eine Epoche, die Karl Marx in seiner Trierer Zeit (Geburt 1818, Abitur 1835) geprägt haben.

Erstaunlicherweise führte diese Phase in der regionalen Geschichtsschreibung bislang eher ein Schattendasein. Das Team Laux/Schweisthal/Blazejewski dokumentiert sehr plastisch die vielschichtigen Konstellationen in der Stadt, die 1817 knapp 13 000 Einwohner zählt, von denen 81 Prozent der Unterschicht angehören. Ein Prozent bildet die Oberschicht. Zum sozialen gesellt sich der religiöse Konfliktstoff: In der erzkatholischen Stadt, in der die Reformation nie ernsthaft hat Fuß fassen können, haben nun Protestanten das Sagen. 1821 sind von 17 165 Triern nur 270 evangelischen Glaubens.

Die Herausgeber interpretieren und kommentieren die Quellen nicht. Ihre Sammlung sei für den Schulunterricht und für die Lehre an der Uni geeignet, biete aber auch reichlich Stoff zum Schmökern für historisch Interessierte.

Bürgermeisterin Elvira Garbes („Ein bedeutender Schritt nach vorn für die Trierer Geschichtsforschung“) und Uni-Vizepräsident Georg Müller-Fürstenberger („Ein besonders wertvoller Band, denn Quellen liefern Impulse für weitere Forschungen“) waren bei der Buchvorstellung im vollbesetzten Lesesaal der Stadtbibliothek voll des Lobes. Bibliotheksdirektor Michael Embach lud zu weiteren Projekten ein: „Bei uns wartet noch viel unentdecktes Quellenmaterial.“

Die auch von der Nikolaus-Koch-Stiftung und dem Freundeskreis der Uni Trier unterstützte Edition „Quellen zur Geschichte der Stadt Trier in der frühen Preußenzeit“ (Band 4 der Publikationen aus dem Stadtarchiv) ist erschienen im Verlag für Geschichte und Kultur (Trier) und für 49,90 Euro im Buchhandel erhältlich.

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