Von Hahnenfuß und Bocksriemenzunge: Aufzeichnungen von Trierer Blumenliebhaber dienen heute noch Botanikern bei ihrer Arbeit

Trier · Heinrich Rosbach - nur wenigen ist der Zeitgenosse von Karl Marx ein Begriff. Dabei war der Trierer, der am 31. Mai 201 Jahre alt geworden wäre, ein echtes Multitalent. Als Arzt, Vorsitzender der Trierer Gesellschaft für nützliche Forschung, Botaniker und Zeichner machte er sich im 19. Jahrhundert einen Namen. Eins seiner Werke reicht bis in die Gegenwart: Sein Buch "Flora von Trier" ist eine akribische Auflistung der Standorte von Blütenpflanzen und Farnen in Trier, Eifel, Hochwald und Hunsrück. Dieses Jahr soll ein Nachfolgewerk des Klassikers veröffentlicht werden.

Trier. Haarfeine Borsten machen den Unterschied. "Die Hagebutten-Stiele der Weinrose sind glatt, auf der Ackerrose sitzen dagegen winzige Drüsenhaare", erklärt Hans Reichert und zieht, um die Sache zu veranschaulichen, die Äste des wilden Rosenstrauchs vorsichtig auseinander.
Der Spaziergang mit dem pensionierten Biologie-Lehrer des Hermeskeiler Gymnasiums durch die Natur ist eine Entdeckungsreise zu den wundersamen Details der Pflanzenwelt. Das Ackermannstreu, das nur so tut, als sei es eine Distel, in Wahrheit aber ein Doldenblütler ist. Der knollige Hahnenfuß, der sich nur durch seine elegant zurückgeschlagenen Kelchblätter vom gelben Hahnenfuß - der gewöhnlichen Butterblume - unterscheidet. Und erst die ästige Graslilie mit ihren filigranen Blättern und den feinen weißen Blüten, die in der Großregion nur auf diesen Magerwiesen über den Dächern Triers vorkommt.
Im Naturschutzgebiet Kahlenberg, oberhalb des Sievenicher Hofs in Nähe der Bundesstraße 51, wurde ehemals Kalk abgebaut. Unzählige tiefe Krater zeugen davon. Ebenso die tief dunkel-violetten, wilden Orchideen, die Wiesen und Krater überziehen. "Das Mannsknabenkraut zeigt kalkhaltige Magerböden an", erklärt Reichert. Dutzende der kleinen Rispenblüter wachsen verstreut zwischen wilden Rosensträuchern, Weißdorn und Schlehenbüschen.
Sogar die Biologen des Senckenberg-Museums in Görlitz interessieren sich für den Trierer Kahlenberg. Einige Rosensträucher haben sie mit kleinen Schildern gekennzeichnet. Von diesen sind Proben genommen worden. Anhand genetischer Ähnlichkeiten wollen die Botaniker nachweisen, wie sich die Wildrosen in Deutschland - und bis auf den Kahlenberg - ausgebreitet haben.
Damit die Halbtrockenwiesen des Naturschutzgebiets nicht verbuschen, werden sie regelmäßig gemäht - vom Menschen oder von einer Herde Wanderschafe. So können sich das schopfige Kreuzblümchen mit seiner sehr seltenen Blütenform, die blaugrüne Segge, die man leicht für ein Gras halten könnte, und der unscheinbare Bergklee ausbreiten.
"Der Bergklee ist sehr selten in der Region, in Trier gibt es ihn vielleicht an fünf bis sechs Stellen und dann erst wieder in der nördlichen Eifel", sagt Reichert.
Zu kartieren, wo welche Blumen und Farne rund um Trier, in Eifel, Hunsrück und im Hochwald wachsen, ist die Leidenschaft des promovierten Botanikers. Seit den 1970ern ist er mit Block, Stift und Diktiergerät auf Feldern und Wiesen der Großregion unterwegs. "Etwa 20 Exkursionen pro Jahr sind es auch heute noch", sagt der 78-Jährige, der so liebenswürdig und gelehrt spricht, dass man ihn nur zu gerne als Biologie-Lehrer gehabt hätte.
Das Ergebnis seiner fast 40-jährigen Exkursionsarbeit fließt ein in ein Nachfolgewerk eines Buches, das der Trierer Heinrich Rosbach Anfang des 19. Jahrhunderts geschrieben hat. Rosbachs "Flora von Trier" ist eine akribische Auflistung von rund 600 Blumen und Farnen. Geordnet sind die Arten nach ihren lateinischen Gattungen und Familien.
Zu jeder in der Region gefundenen Pflanze macht Rosbach Angaben. Zum Mannsknabenkraut - Orchis mascula -, der purpurfarbenen Orchideenart, die bis zu 50 Zentimeter groß wird, notierte er: "Am häufigsten auf Kalkboden, zum Beispiel zwischen dem Wasserfall hinter Pallien und der Aacher Strasse, vor Siwenich, und so weiter." Zum selteneren großblütigen Knabenkraut heißt es in dem 130 Jahre alten Buch: "Diese ausgezeichnet schöne Form fand ich nur zuweilen bei Siwenich und im Kayserswäldchen vor Trierweiler."
Wann Heinrich Rosbach - dessen Schwester Betty mit Jenny von Westphalen , der späteren Frau von Karl Marx, befreundet war - die Zeit fand, die umfangreichen Daten zusammenzutragen, kann man nur schwer nachvollziehen. Immerhin praktizierte Rosbach nicht nur als Arzt und Geburtshelfer, sondern war auch Triers Kreisphysikus - was heute wohl einer Stelle als Leiter des Gesundheitsamts entsprechen würde - und außerdem Präsident der Trie rer Gesellschaft für nützliche Forschung. Nebenbei zeichnete Rosbach leidenschaftlich gern und zog mit seiner Frau Emma vier Kinder groß.
"Rosbachs botanisches Werk ist beeindruckend genau und dient bis heute als Nachschlagewerk - es ist bislang die am sorgfältigsten geschriebene Flora der Region", ehrt Reichert den in Vergessenheit geratenen Trierer.
In die neue Flora von Trier, die in diesem Jahr erscheinen soll, fließen viele der Daten ein, die Rosbach gesammelt hat. Im Unterschied zu Rosbachs Flora sollen allerdings auch die deutschen Namen der Pflanzen genannt werden. Und während Rosbach auf Zeichnungen der gefundenen Pflanzen verzichtete, wird es in der neuen Flora zumindest von besonderen Gewächsen auch Fotos geben.
Wichtigste Information bleibt allerdings Fundort und -umstände. Im Vergleich zu Rosbachs Ausführungen hat Reichert Unterschiede ausgemacht, die Rückschlüsse auf ökologische Veränderungen zulassen. "Zum Beispiel bei der Kornrade. Zu Rosbachs Zeiten kam das Getreideackerkraut überall auf den Feldern vor. Weil die Samen der Kornrade allerdings giftig sind, wurden sie aus dem übrigen Saatgut solange ausgesiebt, dass die Pflanze heute fast verschwunden ist", berichtet Reichert. Andersherum ist es der Bocksriemenzunge ergangen. Früher war die wilde Orchidee selten. "Heute hat sie sich eine biologische Nische in brachliegenden Weinbergen - die es früher so nicht gab - erobert und es von dort vermehrt auch auf Magerwiesen geschafft", erzählt Reichert aus 40-jähriger Exkursionserfahrung.
Um den genauen Fundort festzuhalten, legt der Lehrer im Ruhestand feine Raster über topografische Karten. Bei seltenen Funden kommt mittlerweile auch schon mal ein GPS-Gerät zum Einsatz.
Bei anderen Blumen werden Raster und GPS dagegen zur Seite gelegt. Etwa beim Dingel. Dessen violett-braunen Blüten sind zwar lange nicht so hübsch wie die seines Verwandten, dem Knabenkraut, und wirken sogar ein bisschen schmutzig. "Aber der Dingel ist eine absolute Rarität unter den wilden Orchideen!", freut sich Reichert. Und genau deshalb gibt\'s weder in der alten noch in der neuen Flora von Trier Angaben darüber, wo das rare Gewächs zu finden ist. Statt genauer Koordinaten wird beim Dingel in der neuen Flora nur die ungefähre Angabe "in der Nähe von Ralingen" stehen. "Wilde Orchideen haben eine ganz eigene Fangemeinde, die leider gerne Exemplare ausgräbt, um sie daheim in den Garten zu pflanzen", sagt Reichert.
Wer auch ohne genaue Fundortangaben in der Region einen der streng geschützten Dingel findet und ans Ausgraben denkt, dem sei gesagt: Die Wurzeln des Dingel gehen mit einem bestimmten, im Boden lebenden Pilz eine Symbiose ein. Reichert: "Ohne Pilz kein Dingel - weswegen die wilde Orchidee im heimischen Garten nur sehr, sehr selten gedeiht."Extra

Am Nachfolgewerk der 1880 erschienen "Flora von Trier" haben rund 120 Hobby- und Berufsbotaniker in den vergangenen 40 Jahren mitgearbeitet. Herausgeber und Hauptautor ist der gebürtige Trierer Dr. Ralf Hand, Biologe und wissenschaftlicher Mitarbeiter des botanischen Museums Berlin-Dahlem. Mitautor ist der Trie rer Dr.Hans Reichert, pensionierter Lehrer des Gymnasiums Hermeskeil. Weitere Autoren: Walter Bujnoch, Ulrich Kottke, Steffen Caspari. Die neue Flora der Region Trier wird die Stand- und Fundorte rund 1400 einheimischer Arten, von 200 Neophyten (seit der Entdeckung Amerikas eingewanderte, fest eingebürgerte Arten) und von 150 sogenannter Unbeständiger (fremdländische Arten, die bei uns in freier Natur verwildern, sich aber nicht dauerhaft ansiedeln) enthalten. wocExtra

Zeichner, Literat, Botaniker und - im Beruf - Arzt: Der Trie rer Heinrich Rosbach, geboren am 31. Mai 1814 und gestorben am 19. Dezember 1879, war ein echtes Multitalent. Nach seinem Medizinstudium in Bonn kehrte er nach Trier zurück und wurde 1858 Amtsarzt der Stadt. Bei seinen ausgedehnten Wanderungen hatte er ständig seinen Zeichenblock dabei. Die Natur interessierte Rosbach allerdings auch aus wissenschaftlicher Sicht. Seine "Flora von Trier" mit mehr als 600 Pflanzeneintragungen wurde allerdings erst 1880, ein Jahr nach seinem Tod, veröffentlicht. Mit seiner Frau Emma, geborene Tobias, und seinen vier Kindern lebte Heinrich Rosbach im Haus seiner Schwiegereltern in der Moselstraße. woc Quelle: Constantin Cnyrim, Chronik der Familie Tobias, Band III, Königswinter.

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