Menschen „Sind dankbar, dass wir dieses Jahr überlebt haben“: Ukrainische Familien in Trier

Trier · Eigentlich würden sie dieser Tage daheim in der Ukraine mit ihren Liebsten Weihnachten feiern. Doch der Krieg hat alles verändert. Nun leben Khrystyna Zorii und Svitlana Khatsiur an der Mosel – eine Geschichte über Trauer, Dankbarkeit und die Wünsche eines Fünfjährigen.

Sind vor dem russischen Angriffskrieg aus der Ukraine in die Region Trier geflohen: Khrystyna Zorii mit ihrem Sohn Romchyk und Svitlana Khatsiur.

Sind vor dem russischen Angriffskrieg aus der Ukraine in die Region Trier geflohen: Khrystyna Zorii mit ihrem Sohn Romchyk und Svitlana Khatsiur.

Foto: Marek Fritzen

Es sind drei Worte. Mehr nicht. Drei Worte, die so sehr nach Normalität klingen, in Zeiten, in denen nichts mehr normal erscheint. Drei Worte, die vergessen lassen. Vergessen lassen, was die vergangenen Tage, Wochen und Monate an Elend, an Schrecken, an Leid zu Tage befördert haben. Drei Worte, ausgesprochen von einem Fünfjährigen. Von Romchyk, einem kleinen Mann, der in den vergangenen Monaten nicht nur seine Heimat verloren hat, der auch so viel zurücklassen musste, daheim in Iwano-Frankiwsk, seiner Geburtsstadt im Westen der Ukraine – die Großeltern, den Onkel, die Tante, die Freunde aus dem Kindergarten. Alle nicht mehr bei ihm ... nur er und seine Mutter in dieser kleinen Wohnung im Trierer Umland.

Und dann spricht Romchyk diese drei Worte aus: „Lego, Süßigkeiten, Astronautenanzug“. Das, so erzählt er, das seien seine Wünsche zu Weihnachten. Zusammen mit Mama habe er sie aufgeschrieben, auf einen Zettel notiert und unters Kopfkissen gelegt, damit der Heilige Nikolaus – so will es die Tradition in der Ukraine – sie abholen und einlösen kann...

Weihnachten: Für Romchyk und seine Mutter Khrystyna Zorii ist es das Fest der Familie. Man kommt zusammen, man singt zusammen, man betet zusammen, man isst zusammen. Zorii und ihr Sohn sind Anhänger der ukrainisch griechisch-katholischen Kirche, feiern Weihnachten am 6. und 7. Januar.

„Kindheit sollte etwas Unbeschwertes sein“

Am Heiligen Abend, dem 6. Januar, werden zwölf vegane Gerichte serviert, angelehnt an die zwölf Aposteln. „Am 7. Januar, gibt’s dann das nächste Festmahl, traditionell mit Fleisch und Fisch“, erzählt Zorii. „Ja, so war das immer zu Hause... .“ Im vergangenen April, als die russischen Angriffe auf die zivile Infrastruktur der Ukraine immer mehr zunehmen, als die atomaren Drohungen Putins nicht aufhören, da entscheidet die 31-Jährige, ihre Heimat zu verlassen. Insbesondere wegen Romchyk: „Kindheit sollte doch etwas Schönes, etwas Unbeschwertes sein – wir mussten dort weg, es ging nicht anders.“

Mithilfe der Malteser kommen Khrystyna Zorii und Romchyk an die Mosel, leben seitdem in einer kleinen Wohnung in der Nähe von Trier. „Wir sind sehr dankbar, dass wir hier sein dürfen“, betont die junge Frau, die in ihrer Heimat als Tanz-Choreografin und Fitnesstrainerin gearbeitet hat. Es falle ihr schwer, an Weihnachten zu denken in diesem Jahr, gesteht sie. Aber ihr Sohn, er sei ihre Motivation. Sie wolle alles so schön wie möglich gestalten. Einen kleinen Weihnachtsbaum, den haben sie sich schon vor Tagen in die Wohnung gestellt.

„Auch wenn wir eigentlich erst am 6. und 7. Januar feiern, ziehen wir Weihnachten in diesem Jahr ein wenig vor auf den 24. und 25. Dezember.“ Sie werde dann ein paar ukrainische Freunde einladen, man werde gemeinsam essen, später einen Gottesdienst besuchen. „Bei allem, was passiert ist: Wir wollen den Geist der Weihnacht wachhalten“, betont die junge Frau und lächelt.

Viele ihrer Landsleute werden das Weihnachtsfest dieses Mal ebenfalls nicht Anfang Januar sondern am 25. Dezember feiern – 44 Prozent der Ukrainer täten dies, auch um sich von den russischen Traditionen abzugrenzen, wie eine Umfrage der ukrainischen Forschungsorganisation Rating nun gezeigt hat. 2017 lag die Zahl noch bei 15 Prozent.

Flucht mit zwei Rucksäcken

Auch Svitlana Khatsiur fällt der Gedanke an Weihnachten schwer dieser Tage. Sie habe, so sagt sie im Gespräch mit dem Volksfreund, sie habe keine besinnliche Weihnachtsgeschichte zu erzählen.

Im Frühjahr schlägt sie sich mit ihren beiden Töchtern und zwei Rucksäcken bis zur polnischen Grenze durch. Dort holt sie ein Bekannter ab. „Wir hatten Glück, dass unser früherer Vermieter aus Kyjiw mittlerweile in der Nähe von Trier lebt.“ Als der Krieg im Februar beginnt, bietet er der Familie an, sie an die Mosel zu holen.

Die Khatsiurs sind ebenfalls griechisch-katholisch, feiern traditionell am 6. und 7. Januar. „Am 7. Januar werden wir deutsche Freunde zum Essen einladen, um einfach mal Danke zu sagen für all die Hilfsbereitschaft.“ Und auch schon am 24. Dezember werde sie für ihre Familie kochen, ein wenig Weihnachten feiern. „Wir werden uns am Tisch versammeln und uns bedanken, dass wir zusammen sein dürfen und dieses Jahr überlebt haben“, sagt die 43-jährige studierte Wirtschaftswissenschaftlerin.

Manchmal, so sagt sie dann noch, manchmal stelle sie sich vor, es sei der 23. Februar, der Tag bevor Russland die Ukraine angriff. Ihre Stimme stockt, als sie das sagt. Sie habe Sehnsucht nach der Ukraine, nach der Ukraine, wie sie mal war, bevor Putin so viel zerstörte...

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