Waschen, schneiden, reden

Trier · Es wird gefärbt, geföhnt und geschnitten. Doch Friseursalons sind nicht nur Orte der Verschönerung, sondern auch der Verständigung - der TV hat Friseure und ihre Kunden in Trier belauscht.

Trier. "Der Marco hat sein Auto kaputt gefahren!" Friseur Andreas Duhr (28) steht im Salon seines Vaters, hält eine Schere in der rechten Hand und rückt mit der linken Hand seine Brille zurecht. "Nein, wirklich?", fragt der junge Mann auf dem Friseurstuhl. Duhr seufzt und schüttelt den Kopf. "Ja, irgendwo bei Wasserliesch ist er jemandem ausgewichen, und dann hat\'s geknallt. Der andere ist einfach weitergefahren." Er nimmt eine Strähne des Kunden in die Hand und kürzt sie. "Der schöne BMW", sagt der Kunde. Duhr nickt. "Der schöne BMW, genau."
Morgens um zehn ist der Friseursalon Duhr in Trier gut besucht. Günter Duhr, sein Sohn Andreas und Wilma Hero-Becker schneiden, färben und frisieren. Im Hintergrund läuft leise Radiomusik. Es ist hell im Salon, der in Grün und Beige gehalten ist. An den Wänden hängen Bilder aktueller Frisuren. Im ganzen Raum riecht es nach Shampoo, im Hintergrund summt ein Föhn.
Wilma Hero-Becker schneidet einem älteren Mann die grauen Haare an der Schläfe. "Ein Ernährungswissenschaftler sagte mir mal, dass man die H-Milch vergessen kann", sagt der Mann. "Die ist so erhitzt, da bleiben keine Nährstoffe übrig. Auch die Qualität von Butter ist sehr unterschiedlich." Hero-Becker schneidet fein säuberlich einzelne Haare ab. "Leider kann ich selbst keine Butter machen", sagt sie. Der Mann schüttelt den Kopf: "Wir haben die früher selbst gestampft. Die Butter hat da noch nach Butter geschmeckt."
Butter, die nach Butter schmeckt


Solche Gespräche gehören für die Friseurmeisterin zur Arbeit dazu. "Wir haben überwiegend Stammkundschaft, da kennt man sich eben." Seit 15 Jahren arbeitet sie in Duhrs Salon. Sie ist adrett geschminkt, trägt einen blonden Kurzhaarschnitt mit dunklem Pony. Ihre Augen strahlen, wenn sie von ihrem Beruf redet. "Wenn ich einen Kunden sehe, stelle ich mir direkt vor, was ich mit seinen Haaren machen könnte."
Knapp vier Kilometer weiter, im Studio for Hair, setzt sich eine Stammkundin auf einen der Friseurstühle. "Fünf Wochen habe ich gefastet. Ich bin so stolz." Sie seufzt. "Aber nur ein paar Tage ohne Fasten, und schon sind wieder 400 Gramm drauf." Friseurin Nadine Knauff stellt sich hinter die Kundin. "Was soll\'s denn heute sein?" Die Kundin blickt in den Spiegel. "Machen Sie sie dunkler", sagt sie. "Das gefällt zwar keinem außer mir, aber das reicht ja auch!"
Seit zwei Jahren betreibt Nadine Knauff ihren eigenen Friseursalon. "Es ist mein Traumberuf", sagt sie. Und dazu gehöre auch, "ein bisschen Seelsorger zu sein." Die Gespräche ergeben sich meist von alleine. "Man bekommt alles erzählt", sagt sie lachend. "Die Kunden freuen sich, wenn ihnen jemand zuhört." Vorbereitet werde man dafür in der Ausbildung nicht. "Das macht die Berufserfahrung. Als junger Azubi ist man ruhiger, schüchterner."
Im Salon Duhr setzt sich derweil ein weiterer Kunde auf den Friseurstuhl. "Ich will sie kurz", sagt er zu Günter Duhr und zeigt auf seine weißen Locken. "Man könnte die Haare auch färben", sagt Duhr. "Mit einem Silberton zum Beispiel das Weiß hervorheben." Der Mann sieht Duhr im Spiegel an und zieht die Augenbrauen nach oben. "Ich find\'s nicht gut, wenn Männer sich ganz dunkel färben", sagt er. Duhr lacht und fängt an, die Haare des Mannes zu schneiden. "Nein, das sieht auch nicht gut aus."
Während im Geschäft mehrere Kunden auf einmal bedient werden müssen, bleibt Besitzer Günter Duhr gelassen. "Er ist unser Ruhepol", sagt Hero-Becker. Vor 30 Jahren hat der 56-Jährige seinen eigenen Salon eröffnet. "Viele Kunden kannten meinen Sohn schon, als er noch ein Baby war. Sie haben ihn trotzdem an ihre Haare gelassen", lacht er.
Im Studio for Hair betritt die Schwester der Stammkundin den Laden und setzt sich umgehend an eines der Haarwaschbecken. Knauff nimmt eine Brause in die Hand und benetzt das Haar der Kundin mit Wasser. Die redet weiter mit ihrer Schwester. "Hast du schon das von Carmen gehört? Sie ist ins Krankenhaus gekommen und kann fast nichts mehr sehen." Die Stammkundin sieht ihre Schwester an. "Um Gottes willen! Von jetzt auf gleich?" Die Schwester deutet am Waschbecken ein Nicken an. "Ja, dabei ist sie noch nicht mal 50 Jahre alt!" Die Stammkundin schüttelt den Kopf. "Das ist mit das Schlimmste, was einem passieren kann."
Knauff hört der Unterhaltung ruhig zu, während sie weiter die Haare wäscht. Nehmen sie die Geschichten der Kunden mit? "Es kommt immer drauf an, wie der Kunde zu mir steht", sagt Knauff. Sie versuche, eine berufliche Distanz zu wahren. "Aber wenn mir eine Bekannte erzählt, dass ihr Freund gestorben ist, geht mir das trotzdem nahe."
Knauff geht zur nächsten Kundin. Sie besprechen kurz, welche Frisur sie haben möchte. Dann nimmt Knauff einen Lockenstab in die Hand und fängt an, die Haare der Dame zu formen. "Und, wie läuft das Wochenende bei Ihnen?", fragt Knauff. Die Kundin blickt in den Spiegel. "Meine Tochter kommt vorbei, danach die Handwerker." Knauff nimmt die nächste graue Strähne in die Hand. "Ach, ist das Dach immer noch nicht fertig?" "Nein", sagt die Kundin. "Am Dienstag wird das Gerüst gebaut, dann muss ich noch einige Behördengänge erledigen …" Sie verstummt kurz und seufzt. "Ach, ich weiß gar nicht, wie ich das durchstehen soll."
Ein Vater und sein vierjähriger Sohn betreten derweil den Salon Duhr. "Die Haare meines Sohnes müssen geschnitten werden", sagt der Mann zu Andreas Duhr. Der verschwindet kurz im Nebenraum und kommt mit einem Kindersitz wieder. Der Junge setzt sich drauf. Duhr spritzt dessen Haar nass, das Kind zuckt zusammen. "Kalt, gell?", sagt Duhr. Der Junge sagt nichts. Er beobachtet im Spiegel das Prozedere ganz genau.
Die 19-jährige Auszubildende Marie Kreuzen und Wilma Hero-Becker sitzen in der Küche und trinken Kaffee. Hero-Becker isst ein Hefeteilchen. Sie blickt in die Luft. "Manche Themen gehen einem schon sehr nahe", sagt sie. Kreuzen nickt. Die Friseurmeisterin fährt fort. "Wir erfahren viele persönliche Sachen, die einem ans Herz gehen. Manche werden auch krank, und wir sehen das an den Haaren. Das beschäftigt einen." Kreuzen schweigt und betrachtet die Kaffeetasse, die sie in ihren Händen hält.
Manche Themen gehen nahe


Die Frisur des Jungen ist fertig, sein Vater zieht ihm die Jacke an. Hero-Becker kommt dazu und sieht den Mann prüfend an. "Das geht so nicht", sagt sie. "Lass mich schnell deine Haare stutzen. Dann siehst du ordentlich aus." Der Mann zögert kurz, setzt sich dann auf einen Friseurstuhl. Die Friseurin nimmt eine Schneidemaschine in die Hand und fängt an, die Haare zu kürzen.
Der Junge hustet im Hintergrund. Die Friseurin sieht zu ihm herüber: "Ist er krank?""Er war krank", antwortet der Vater. "Er hatte Bronchitis und war drei Mal im Krankenhaus." Hero-Becker blickt zum Jungen, der mit einem Friseurstuhl ausgelassen spielt. Sie dreht sich wieder zum Vater, schneidet seine Haare zu Ende und legt die Maschine weg. Der Mann blickt in den Spiegel. Er grinst. "Stimmt, ich bin jetzt ordentlicher!"

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