Weihnachtsbesuch bei ALS-Patient - Heimtückische Krankheit kann Nerven zerstören, aber nicht den Lebensmut

Trier · Wolli Leinen gibt die Hoffnung nicht auf, obwohl er weiß, dass er nicht mehr lange leben wird. Die heimtückische Krankheit, an der er leidet, heißt ALS und zerstört Nerven. Seinen Lebensmut hat Leinen aber nicht verloren. TV-Reporter Michael Schmitz hat den Kranken besucht.

 Die Familie hat Wolfgang Leinen im Oktober einen großen Wunsch erfüllt: Sie fuhr mit ihm zum Silbersee bei Hockweiler. Zuhause (kleines Foto) wird der ALS-Kranke liebevoll von seiner Familie betreut, unter anderem von Tochter Leonie und Frau Giselind.

Die Familie hat Wolfgang Leinen im Oktober einen großen Wunsch erfüllt: Sie fuhr mit ihm zum Silbersee bei Hockweiler. Zuhause (kleines Foto) wird der ALS-Kranke liebevoll von seiner Familie betreut, unter anderem von Tochter Leonie und Frau Giselind.

Foto: michael schmitz

Und dann werden Wollis Augen doch feucht, er ringt um Fassung. Als wir über Gott reden, über den Glauben, über Hoffnung. Verdenken kann ihm das niemand, dem Trierer, dem das Schicksal die heimtückische Krankheit ALS geschickt hat. Die Krankheit, die Nerven und Muskeln seines Körpers nach und nach außer Gefecht setzt. Die unberechenbar ist, unheilbar und früher oder später tödlich. Die aber gerade in seinem Fall auch zeigt, wie offen und mutig man mit einem Schicksalsschlag umgehen kann. Denn Wolli Leinen gibt die Hoffnung nicht auf. Und er lässt sich Humor und Lebenswillen nicht so einfach nehmen.

Die Diagnose kommt am 4. Juli: Amyotrophe Lateralsklerose, ALS. Eine Erkrankung des Nervensystems. Genaue Ursache unbekannt. Sie trifft die motorischen Nervenzellen im Rückenmark, die die Muskeln kontrollieren. Muskelzuckungen, Muskelschwäche und Muskelschwund sind die Folgen. Wolfgang Leinen (64), den alle Wolli nennen, sagt: "Das war wie ein Schlag mit dem Hammer auf den Kopf." Niederschmetternd, so nennt seine Frau Giselind die Diagnose. "Ich habe gedacht, jetzt bricht alles zusammen."
Ein halbes Jahr lang sind die beiden zuvor schon auf der Suche nach der Ursache für seine Leiden. Im Januar, vor knapp einem Jahr also, fällt Tischtennis-Kameraden bei der TSG Biewer auf, dass Leinen nicht mehr so spielt wie sonst. In der Regel heißt das nämlich: Er gewinnt. Doch sein rechter Arm schmerzt, folgt ihm nicht mehr so wie gewohnt. Den linken Arm hat Leinen bei einem Motorradunfall verloren, ein Handicap, das ihn aber über Jahrzehnte nicht aus der Bahn geworfen hat. Mit dem rechten Arm meistert er sein Leben, arbeitet beim RWE - und spielt besser Tischtennis als manch anderer. Im Februar werden die Schmerzen stärker, auch Rückschmerzen kommen hinzu. Hausarzt, Orthopäde, Krankengymnastik. Nichts hilft. Dann eine erste Muskel- und Nervenuntersuchung in der Neurochirurgie des Brüderkrankenhauses in Trier, im Mai eine Muskelbiopsie, also Gewebeentnahme.

Das Ergebnis: rasch fortschreitender Muskelschwund. Was steckt dahinter? Quälende Wochen vergehen, Leinens Zustand verschlechtert sich, der Arm macht nicht mehr mit. Wolli Leinen ist dauerhaft auf Hilfe angewiesen. Die Leinens lesen viel über Muskelerkrankungen in dieser Zeit, auch ALS gerät ihnen ins Bewusstsein, aber immer ist da die Hoffnung: Vielleicht ist es etwas anderes. Im Juli ein Aufenthalt in der Uniklinik in Göttingen, wo ein Sohn Leinens wohnt. Die Hoffnung wird enttäuscht, Leinen erhält die niederschmetternde ALS-Diagnose.

Sein Zustand verschlechtert sich weiter. Im Sommer nimmt er in kurzer Zeit zehn Kilogramm ab. Seine ganzen Hobbys, seine Leidenschaften sind schnell Geschichte. Wolli Leinen lebt zwar heute in Trier-Irsch, stammt aber aus Trier-Biewer und ist dem Stadtteil treu geblieben. Nicht nur als Tischtennisspieler in der TSG ist er aktiv gewesen.

Auch in Pluwig und Gusterath kennen ihn viele, denn er macht die Öffentlichkeitsarbeit für die Karl-May-Freunde. Leinen ist leidenschaftlicher Hobbyfilmer. Bei allen Stadtteil-Ereignissen, bei den Festen von Heimatpflegeverein, Feuerwehr oder Musikverein baute er seine Kamera auf, war auch bei Familienfesten über Biewer hinaus gefragt. Er hat seinem Stadtteil einen ganzen Film gewidmet, "Jacob auf Abwegen". 92 Minuten lang, auf DVD erhältlich, ein richtiger Renner im Stadtteil. Story, Regie, Kamera: Wolfgang Leinen. Ein zweiter Teil sollte folgen, die Dreharbeiten hatten schon begonnen. "Das wäre ein richtiger Knaller geworden", sagt Leinen, und seine Augen glänzen vor Begeisterung. Vorbei. Seit Oktober ist er ein Pflegefall, der rund um die Uhr Hilfe braucht. Leonie, seine Tochter, sagt: "Jede Alltagssituation wird zur Hürde." Sie plant einen Wechsel des Studiums, will von Koblenz nach Trier zur Hochschule kommen, um intermediales Design zu studieren - und ihrem Vater besser helfen zu können. Die Tochter als Mediendesignerin, das Interesse am Filmen ist da. Auch das macht Wolli Leinen Hoffnung: "Vielleicht kann sie ja meine Studios im Keller übernehmen. Ist ja alles da."

Seine Tage verbringt der Kranke mittlerweile komplett im Sessel im Wohnzimmer. Weil auch die Atemmuskulatur schwächer geworden ist, braucht der 64-Jährige ein Beatmungsgerät. Täglich kommen Pflegeassistenten, die ihn vier Stunden lang betreuen. Alles andere macht die Familie, die aus seiner Frau und vier Kindern und Stiefkindern besteht. Sie fahren ihn im Rollstuhl, bringen ihn mit dem eigens eingebauten Treppenlift ins Schlafzimmer, helfen ihm beim Essen. Er wird liebevoll umsorgt. Auch Freunde und Bekannte bieten Hilfe an. Der Mann, der immer für andere da war, bekommt jetzt etwas von seiner Selbstlosigkeit zurück. Kein Wunder also, dass sich auch für Wolli Leinens Idee zu einem Benefizkonzert (siehe Extra) schnell jede Menge Unterstützer fanden. Auch da wieder Hoffnung, ja regelrecht Überzeugung bei ihm. "Na klar, da bin ich dabei", sagt Leinen über den Termin am 7. Januar ."So lange, wie es irgendwie geht." Familie und Freunde planen also nicht nur das Konzert, sondern auch, wie sie Wolli Leinen zur Halle und zurückbringen können. Schon einmal haben sie mit vereinten Kräften einen größeren Ausflug gemacht, von dem alle noch schwärmen: An einem schönen Oktobertag ging es zum Silbersee in Hockweiler, den er zusammen mit anderen gepachtet hat. Sein kleines Paradies, sagt er.

Das Konzert zu organisieren, ist zugleich eine Aufgabe, die die Familie auch ablenkt. Auch Wolli Leinen plant selbst kräftig mit, schließlich hat er früher auch schon bei zwei Benefizkonzerten in der Biewerer Grundschulhalle tatkräftig mitgeholfen. Er rechnet fest mit einer gut gefüllten Halle. Am liebsten würde er per Handy oder Computer mitarbeiten, aber die Krankenkasse will ihm keine Armorthese finanzieren, ein Hilfsmittel, mit dem er vielleicht die Finger seiner Hand ein wenig bewegen könnte - um damit auf einer Tastatur zu tippen. Er will sich eben einfach nicht abschreiben, die Hoffnung nicht aufgeben.

Angst, Sorgen, gemeinsame Tränen, auch das gibt es natürlich. Aber alle in seinem Umfeld sehen trotz der Krankheit immer das Positive. "Die guten Tage behalten wir im Gedächtnis", sagt Giselind Leinen, "die schlechten haken wir ab." Im September hätten sie noch nicht gewusst, ob Wolli Weihnachten noch erleben würde, sagt sie. Dann habe sich sein Zustand aber stabilisiert. Das gab wieder Hoffnung. "Wir setzen uns immer neue Ziele", sagt Giselind Leinen. Ziel Weihnachten: erreicht. Nächstes Ziel: das Benefizkonzert. Nächstes Ziel: der 30. Geburtstag von Tochter Miriam. Nächstes Ziel: die Aufführung der Karl-May-Freunde im Juni. "Wenn Gott will, dann werde ich da noch mit dabei sein", sagt Wolli Leinen. Es gebe ALS-Patienten, bei denen stoppe der Verlauf des Immer-Weniger zeitweise, stabilisiere sich, schenke ihnen noch einige Jahre. "Darauf hoffe ich auch."
Michael Schmitz

Extra
Für den 7. Januar um 19 Uhr organisieren Familie und Freunde von Wolli Leinen ein Benefizkonzert in der Sporthalle auf der Kipp in Trier-Biewer (der TV berichtete). Es spielen unter anderem die Bands Gooseflesh und Rooster Rock. Eintritt wird nicht erhoben, aber Spenden sind erwünscht. Sie kommen der Neurologie des Brüderkrankenhauses zugute. Auch wer am 7. Januar nicht in der Sporthalle "Auf der Kipp" dabei sein kann, kann Spenden. Die Sammlung läuft über die TSG Biewer. IBAN DE13 5855 0130 0000 9556 90, BIC TRISDE55XXX, Verwendungszweck "ALS-Benefizkonzert". Wer eine Spendenquittung braucht, sollte seine Adresse angeben. mic

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort