Wenn die Zuschauer zu Dissidenten werden

Trier · Südamerika zur Zeit der Diktaturen, das Volk wird unterdrückt und hungert. Im Theater der Unterdrückten von Augusto Boal kommen die Leidenden selbst zu Wort und offenbaren die Probleme, denen sie ausgesetzt sind: Das Ensemble von Kreuz&Quer zeigt eine Werkcollage nach den Stücken von Boal und nimmt das Publikum mit auf eine ganz besondere Reise.

 Amerika, die Verführerin: Flüchtling Bonifacio Perez (Nicolas Schwerdtfeger) fleht in der amerikanischen Botschaft um ein Visum bei der Botschafterin (Anne- Margaux Abraham). TV-Foto: Lisa Bergmann

Amerika, die Verführerin: Flüchtling Bonifacio Perez (Nicolas Schwerdtfeger) fleht in der amerikanischen Botschaft um ein Visum bei der Botschafterin (Anne- Margaux Abraham). TV-Foto: Lisa Bergmann

Trier. Sechs Flüchtlinge sitzen auf gepackten Koffern und warten. Sie haben vorübergehend Aufnahme gefunden in einem chilenischen Flüchtlingsasyl. "Weißt du, was ich alles hatte?", fragt Paulo (Marc-Bernhard Gleißner). Sehnsüchtig sprechen sie von ihrem früheren Leben und wissen genau: Dorthin können sie nicht zurück. Doch auch hier können sie nicht bleiben, denn in Chile schlagen plötzlich die Faschisten los.
Die diesjährige Inszenierung "Exilio - eine Reise ohne Ende" der Trierer Theatergruppe Kreuz&Quer basiert auf dem "Theater der Unterdrückten" des brasilianischen Theatermachers Augusto Boal. Exilio ist die achte Inszenierung des Trierer Esembles. Für seine Werkcollage der Stücke Boals, hat sich Kreuz&Quer etwas Besonderes einfallen lassen: Das in drei Gruppen geteilte Publikum sieht zeitversetzt in drei Räumen des bischöflichen Priesterseminars drei Stücke Boals.
Im Theaterstück sind die Flüchtlinge weiter auf der Flucht und nehmen das Publikum mit auf den beschwerlichen Weg. Barra (Stephan Drehmann) und Foguinho (Sanna Higgen) führen diejenigen aus dem Publikum, die mittels eines roten Bandes als politische Dissidenten markiert wurden, quer durch den Raum, der vor dem geistigen Auge plötzlich zum Südamerika zur Zeit der Diktaturen wird.
Vor allem in Brasilien regt sich in den christlichen Gemeinden Widerstand gegen die Diktatur. Pater Evencio (Lucas Alt) ersinnt gemeinsam mit seinen Helferinnen Donna Edith (Julia Morgens) und Donna Zuleyka (Julia Didié) eigens eine Heilige, die Madonna der Unterdrückten. Sie soll einen Protestzug im Gewand einer Heiligenprozession anführen.
"Unser Theater der Unterdrückten ist heute auch Theater gegen rechts", sagt Gereon Steger, Regieassistent der Theatergruppe Kreuz&Quer, am Premierenabend, an dem in der realen Trierer Welt ein kleines Grüppchen der NPD vor dem Bahnhof wieder mal eine Kundgabe inszeniert.
Bislang sind keine weiteren Exilio-Aufführungen geplant. Infos: www.kreuzundquer-trier.de

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