Wenn Hilfe zur Manipulation wird

TRIER. Immer besser versteht die Wissenschaft die Funktionsweise des menschlichen Gehirns. Immer mehr Möglichkeiten bieten sich dadurch für medizinische Eingriffe. Beim Trierer Symposium zur klinischen Hirnforschung wurden am Freitag Chancen und Risiken der Neurotechnologie diskutiert.

Das Interesse an der Veranstaltung zur Errichtung des Trierer Kompentenzzentrums Neurotechnologie war groß, der Vortragssaal im Brüderkrankenhaus gut gefüllt. Die Mediziner, Informatiker und Psychologen, die sich zu einem Forschungsverbund zusammengeschlossen haben (der TV berichtete), hatten sich Gäste eingeladen, die ethische und moralische Aspekte der Wissenschaft zur Sprache brachten.Was sind erwünschte Gefühle?

"Die Neurowissenschaft dient wie jedes andere medizinische Fach dem Menschen", sagte der Freiburger Theologie-Professor Eberhard Schockenhoff, Mitglied des Nationalen Ethikrates. Wo aber endet der Dienst, wo beginnt die Manipulation? Im Einzelfall sei dies eine "Grauzone". Einem Parkinson-Patienten seine Bewegungsfähigkeit wieder zu geben, ist moralisch unbedenklich, ebenso eine Linderung chronischer Schmerzen. Schwieriger wird es dagegen schon bei der Therapie von Depressionen. Wenn der Betroffene in seiner Lebensqualität stark eingeschränkt ist, ist eine Behandlung sicher sinnvoll. Nur: Wie weit darf man dabei gehen, durch chirurgische Eingriffe oder mit Medikamenten Stimmungen zu beeinflussen? Gefühle künstlich zu erzeugen, wäre laut Schockenhoff ein "zweideutiger Dienst". Schwermut sei "eine psychische Last, aber sie öffnet Türen zur Wahrheit". Trauer und Schmerz gehörten zum Leben dazu. Glückspille statt Trauerarbeit - das klinge verführerisch, bringe jedoch Probleme mit sich. "Wer kann bestimmen, was erwünschte Gefühlszustände sind?", fragt der Theologe. Eine Absage erteilt Schockenhoff der Vorstellung, man könne "zuschauen, wie das Gehirn Geist, Bewusstsein oder Freiheit produziert". Die Messung von Hirnströmen und die Betrachtung von Tomogrammen böten lediglich eine objektive Sicht von außen. Die subjektive Empfindung von Gefühlen sei aber genauso real, Freiheit kein beobachtbares Phänomen, sondern ein Auftrag. "Wir sind so frei, wie wir Freiheit realisieren." Nahtlos daran an schloss sich der Vortrag des Magdeburger Philosophieprofessors Michael Pauen. Er trat der Auffassung entgegen, der freie Wille des Menschen könne sich als Illusion erweisen, wenn man die Prozesse im Gehirn nur gut genug verstehe. Menschliche Entscheidungen seien zwar beeinflusst durch äußere Faktoren und durch Zufälle, aber auch durch unsere Persönlichkeit. "Nicht ob, sondern wie" eine Handlung bestimmt ist, ist für Pauen das entscheidende Kriterium: "Selbst bestimmte Handlungen sind frei." Erfahrung und Forschungsergebnisse sprächen nicht dafür, dass die Willensfreiheit widerlegt werden könne. "Es besteht kein Widerspruch zwischen Wissenschaft und unserem Menschenbild." Verantwortungsbewusster Umgang mit den Möglichkeiten der Neurotechnologie, das wurde in der Diskussion deutlich, ist notwendig. Ängste vor der Wissenschaft wurden angesprochen und versucht abzubauen. Der Dialog zwischen Forschern und Gesellschaft soll auch in Zukunft fortgeführt werden.

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