Wenn Oma das Trampen lernt …

Longuich/Fell/Schweich · Organisiertes Trampen an der Mosel: Die Orte Fell und Longuich planen ein außergewöhnliches Mitfahrsystem. Es ist einmalig in der Region. Bürger können sich registrieren lassen und werden von Autofahrern zum Arzt oder zum Einkaufen mitgenommen.

Longuich/Fell/Schweich. Im Trie rer Raum wird man nicht mitgenommen, man wird "mitgeholt". Das weiß mittlerweile auch der aus Hannover stammende Diplom-Geograf Maik Scharnweber. Er betreibt seit gut zehn Jahren in Trier ein Büro für Mobilitätsberatung und hat den Begriff "Mitholer" für ein Projekt der Gemeinden Longuich und Fell auserkoren. Eingeführt wird es voraussichtlich im Herbst.

Wie funktioniert der "Mitholer"? Es handelt sich dabei um ein Mitfahrsystem nach dem Vorbild des Trampens. Nur wird beim "Mitholer" kein Daumen rausgestreckt. Maik Scharnweber erläutert das Konzept: Wer von anderen Autofahrern mitgenommen werden möchte, etwa weil er nach Schweich oder Trier zum Einkaufen oder zum Arzt möchte, kann sich bei seinen Gemeindeverwaltungen registrieren lassen. Dann bekommt er ein "Willkommenspaket" mit Info-Flyer und persönlicher Nummer. Mit einer Karte beziehungsweise Tasche, auf der das Mitholer-Logo abgebildet ist, kann der Betreffende dann am Straßenrand signalisieren, dass er gerne mitgenommen werden möchte.
"Mitholer", also Autofahrer, die sich dieser Aktion anschließen wollen, können sich ebenfalls registrieren lassen und dies mit einem Aufkleber an ihrem Wagen kenntlich machen. Damit man weiß, wer wann bei wem eingestiegen ist, soll der Mitfahrer noch eine SMS mit den Kenndaten an eine Kurzwahlnummer schicken.
Was sagen die Beteiligten? "Der Sicherheitsgedanke ist uns sehr wichtig", sagt Verkehrsexperte Scharnweber. "So können wir jede einzelne Fahrt nachvollziehen." Man sei bestrebt, das menschliche Miteinander in den Vordergrund zu stellen und das System nicht allzu sehr zu bürokratisieren.
Dennoch könne man nicht auf einige Formalitäten verzichten: So wird in den allgemeinen Geschäftsbedingungen etwa geregelt, dass die Gemeinden als Betreiber keine Haftung übernehmen, falls es zu Rechtsstreitigkeiten zwischen den Akteuren kommen sollte. Versichert sind die Mitfahrenden über die Haftpflicht des Fahrers.
"Ich hoffe, dass viele Bürger mitmachen", sagt die Longuicher Ortsbürgermeisterin Kathrin Schlöder. Das werde nicht von heute auf morgen gehen, sondern müsse "wachsen". Auch Fells Ortsbürgermeister Rony Sebastiani setzt große Hoffnungen in das Zusatzangebot zu den Bussen: "90 Prozent unserer Bürger wollen Richtung Longuich, Schweich und Trier. Eine stündliche Anbindung, wie sie eigentlich über den ÖPNV wünschenswert wäre, ist leider nicht bezahlbar."

Umweltpreis gewonnen: Entwickelt hat sich das Mitfahrsystem aus dem Pilotprojekt "effizient mobil" des Bundes (der TV berichtete). Fell und Longuich waren die einzigen Landgemeinden, die mitmachen durften, sonst waren nur Städte beteiligt. Mit ihren innovativen Mobilitätsideen haben sie sogar einen Umweltpreis gewonnen.
Ziel ist es, den ÖPNV zu verbessern und Alternativen zum Auto aufzuzeigen. Unter anderem wurden Schüler dreier weiterführender Schulen in Schweich und Beschäftigte mehrerer Betriebe nach ihrem Mobilitätsverhalten befragt. Gemeinsam mit dem Büro Scharnweber haben sich Arbeitsgruppen in Fell und Longuich mit dem Thema ausein andergesetzt und unter anderem den "Mitholer" aufs Schild gehoben. Einige Vorhaben sind bereits umgesetzt worden, wie Fahrradständer in beiden Orten sowie Moselbahn-Busse, die an Sonn- und Feiertagen Touristen von Trier zum Winzertreff nach Longuich oder zum Besucherbergwerk in Fell bringen.

Was ist sonst noch geplant? Die Gemeinden Fell und Longuich wollen auch die ÖPNV-Anbindung an den Schweicher Bahnhof verbessern. Hier steht man in Verbindung mit dem Kreis, der an einem neuen Verkehrskonzept für das Jahr 2015 strickt. Laut Ortsbürgermeisterin Schlöder wird auch angestrebt, dass entlang der L 145 nach Schweich ein "schneller Radweg" gebaut wird, damit auch Berufstätige eher zum Umstieg aufs Rad zu bewegen sind. Der Moselradweg werde doch meist von Touristen frequentiert, meint Schlöder.
Am Bohren sei man bei den zuständigen Behörden und dem Landesbetrieb Mobilität (LBM) auch, um Verbesserungen an der Schweicher Moselbrücke für Radfahrer und Fußgänger zu erreichen. Dies sei ein gefährlicher Engpass für Schüler und andere Nutzer.Meinung

Tolle Idee, schwierige Umsetzung
Kann sich der "Mitholer" durchsetzen? Die Idee ist gut, doch einfach wird die Umsetzung nicht. Weder werden sich von jetzt auf gleich viele Leute an den Straßenrand stellen und ihren Mitholer-Ausweis in die Höhe recken, noch werden Autofahrer in Fell und Longuich rundfahren, um potenzielle Mitfahrer zu suchen. Man wird die Akteure zum Mitmachen motivieren müssen - es geht nur über Vertrauen. Ob es der Ältere ist, der eine Mitfahrgelegenheit zum Arzt nach Schweich sucht, oder der Jugendliche, der nach Trier in die Disco möchte: Nur, wer sich absolut sicher fühlt, wird das Angebot annehmen und bereit sein, sich zu einem "Fremden" ins Auto zu setzen. Viel Kommunikation und Motivation wird nötig sein. Letztlich werden aber die Erfahrungen und die daraus resultierende Mundpropaganda über Erfolg oder Misserfolg des Projekts entscheiden. Viele Dorfbewohner kennen sich, das könnte den Start erleichtern. Wenn sich das Mitfahrsystem an der Mosel bewährt, dann könnte es Vorbild für viele andere Orte werden. a.follmann@volksfreund.de

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