Wer die neuen Nachbarn sind

Trier/Bitburg/Wittlich · Seit dem Herbst ebbt der Flüchtlingsstrom nach Deutschland ab, auch in den Städten und Gemeinden der Region kehrt allmählich Routine im Umgang mit den neuen Nachbarn ein, Lösungswege, aber auch Herausforderungen zeichnen sich ab. Ein guter Zeitpunkt, sich Zahlen und Daten einmal genau anzusehen und Bilanz zu ziehen.

Wer die neuen Nachbarn sind
Foto: klaus kimmling (m_wil )

Trier/Bitburg/Wittlich. Woher kommen die Flüchtlinge in der Region, wo leben sie, wie funktioniert ihre Einbindung in die Gesellschaft, in den Arbeitsmarkt, ins Gesundheitswesen? Der TV hat statistisches Material zu den Flüchtlingen zusammengetragen, ausgewertet und liefert erstmals eine umfassende Gesamtschau. Was ist aus den Erstaufnahmestellen geworden?Derzeit gibt es im Verbreitungsgebiet des Trierischen Volksfreunds noch vier Aufnahmeeinrichtungen für Asylbegehrende (AfA): jeweils eine in Hermeskeil und Bitburg sowie zwei in Trier. Die Zahl der dort untergebrachten Flüchtlinge ist stark gesunken (siehe Grafik): In der AfA in Hermeskeil leben mittlerweile 1000 Menschen weniger als noch im November. Die Zahl der Asylsuchenden in den beiden Trierer Standorten hat sich mehr als halbiert, und auch in der AfA auf dem Bitburger Flugplatz leben wesentlich weniger Menschen als noch im Herbst.TV-Serie Fremde Heimat

Die Wittlicher AfA wurde im Juni geschlossen. Zuletzt lebten dort noch 130 Menschen - zu Spitzenzeiten waren es mehr als 500. Vor drei Wochen erst hat das Land Rheinland-Pfalz beschlossen, auch die AfAs in Birkenfeld und auf dem Hahn zu schließen. Wo leben die Flüchtlinge nun?Laut der Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion Trier leben noch knapp 4000 Menschen in den AfAs in Rheinland-Pfalz. 10 390 Flüchtlinge sind mittlerweile wieder ausgereist. Alle anderen, 59 887 Flüchtlinge in ganz Rheinland-Pfalz, wurden auf die Kommunen verteilt. Das Land Rheinland-Pfalz hat einen Schlüssel festgelegt, nach dem die Asylbewerber auf die einzelnen Landkreise verteilt werden: Die Zuweisung der Flüchtlinge richtet sich nach der Einwohnerzahl in den Landkreisen und der Gesamtzahl der Flüchtlinge. Auf 100 Einwohner kommt damit ein Asylbewerber.Demnach leben die meisten Asylbewerber im Kreis Trier-Saarburg und die wenigsten im Vulkaneifelkreis (siehe Grafik). Zur Unterbringung haben die Kommunen Wohnungen und Häuser angemietet, in denen ein Großteil der Asylbewerber lebt. Die Übrigen leben in Gemeinschaftsunterkünften. Was geben die Kommunen für die Flüchtlinge aus?Der Eifelkreis Bitburg-Prüm hat im Haushaltsjahr 2015 insgesamt 4,4 Millionen Euro für Asylbewerber ausgegeben. Davon entfallen 3,5 Millionen Euro auf Hilfe zum Lebensunterhalt und auf die Kosten der Unterkunft. 800 000 Euro machen die sogenannten Krankenhilfekosten aus. In diesem Jahr hat der Eifelkreis bisher 3,7 Millionen Euro zur Verfügung gestellt.Der Kreis Bernkastel-Wittlich hat im Jahr 2015 rund 247 000 Euro ausgegeben, die nicht durch Landesmittel gedeckt waren. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Kreis 2015 einmalige Sonderzahlungen (Flüchtlingsmilliarde des Bundes und Aufstockung durch das Land) in Höhe von mehr als zwei Millionen Euro erhalten hat. Außerdem verweist Pressesprecher Manuel Follmann darauf, dass in der Kreisverwaltung wegen der gestiegenen Zahl an Asylbewerbern sieben neue Stellen eingerichtet wurden. Die Stadt Trier hat im Jahr 2015 mehr als neun Millionen Euro für die Flüchtlinge ausgegeben. In diesem Jahr waren es bisher mehr als sieben Millionen Euro. Knapp vier Millionen Euro wurden davon für Leistungen zum Lebensunterhalt, Kosten für Wohnraum, soziale Betreuung und medizinische Versorgung aufgewendet. Fast drei Millionen Euro wurden davon an das Jugendamt zur Betreuung minderjähriger Asylbewerber weitergegeben. Der Kreis Trier-Saarburg hat im Jahr 2015 bis heute 6,9 Millionen Euro für die Schaffung von Wohnraum für die Asylsuchenden ausgegeben. In der Kreisverwaltung wurden 15 neue Stellen geschaffen, was Jahresausgaben von 700 000 Euro entspricht, wovon 380 000 Euro das Land übernimmt. Weitere 7,18 Millionen Euro hat der Kreis in diesem Jahr unter anderem für die Kosten der Unterkünfte (5,2 Millionen Euro), für die Betreuung durch die Caritas (700 000 Euro) und die Krankenbehandlung (1,24 Millionen Euro) ausgegeben. Von diesen Kosten sind die Erstattungen durch Bund und Land abzuziehen.Der Vulkaneifelkreis konnte zum Zeitpunkt der Anfrage keine Aussage über die Kosten treffen. Wer sind die Flüchtlinge?Die meisten Asylsuchenden kommen nach Angaben der einzelnen Kommunen aus Syrien. An zweiter Stelle folgen Afghanen. Iraner, Pakistaner und Eritreer machen einen geringeren Anteil aus. Insgesamt kommen die Flüchtlinge aus 25 verschiedenen Ländern. Angaben zur Religionszugehörigkeit sind in den meisten Kommunen freiwillig. Aus diesem Grund gibt es darüber keine aussagekräftigen Statistiken. Die Stadt Trier gibt an, dass zwei Drittel der Flüchtlinge muslimischen Glaubens sind. Einen ähnlichen Wert teilt auch die Kreisverwaltung Trier-Saarburg mit. Etwas mehr als die Hälfte der Asylsuchenden sind männlich. Das Durchschnittsalter aller Asylsuchenden, die auf die Kommunen der Region verteilt worden sind, liegt bei ungefähr 30 Jahren. Mehr als 1200 Asylsuchende sind noch minderjährig. Wie viele von ihnen bereits hier zur Schule gehen, kann die ADD Trier nicht sagen. Flüchtlingskinder werden in der Schulstatistik nicht gesondert aufgelistet. Es werden dort alle Schüler mit Migrationshintergrund erfasst, egal, auf welche Weise sie nach Deutschland eingereist sind. Allerdings sei der Bedarf an Deutsch-Intensivkursen deutlich gestiegen. Laut der Bundesagentur für Arbeit haben 26 Prozent der arbeitssuchenden Flüchtlinge in Deutschland Abitur und neun Prozent können eine akademische Ausbildung vorweisen. 74 Prozent der arbeitssuchenden Flüchtlinge haben keine formale Berufsausbildung. Über den Bildungsstand der Asylsuchenden in den Kommunen lässt sich keine Aussage treffen, da Abschlüsse dort nicht erfasst werden.Wie verläuft die Integration?Bei der Integration der Flüchtlinge gibt es nach Auskunft aller befragten Kommunen keine Probleme. Ehrenamtliche organisieren demnach Sprachkurse, Fahrdienste und bieten Hilfe bei Behördengängen und Arztbesuchen an. Außerdem gibt es an vielen Orten mittlerweile spezielle Cafés als Treffpunkte. Verena Bernardy, Pressesprecherin des Vulkaneifelkreises, fasst die Situation so zusammen: "Die Menschen, die zu uns kommen, werden hier gut und herzlich aufgenommen, was sich unter anderem in dem aus unserer Sicht sehr großen ehrenamtlichen Engagement widerspiegelt." Wie funktioniert die Integration in den Arbeitsmarkt?Die Arbeitsagentur Trier verzeichnet ein gestiegenes Interesse der Arbeitgeber, Flüchtlinge einzustellen. "Aktuell gibt es in der Region rund 120 Arbeitsstellen und 300 Ausbildungs- beziehungsweise Praktikumsplätze, die Arbeitgeber gezielt für Asylbewerber zur Verfügung stellen", sagt Pressesprecherin Isabell Juchem. Bei der Beratung von Arbeitgebern werde geprüft, ob die betreffende Stelle auch für einen Flüchtling infrage komme. Die Erfahrung habe gezeigt, dass Flüchtlinge für alle Branchen geeignet seien. Es sei wichtig, dass die Flüchtlinge in Ausbildungsverhältnisse vermittelt würden, damit sie künftig als Fachkräfte in Deutschland arbeiten könnten.Erstmals wurde im Juni auch eine Statistik über arbeitslos gemeldete Asylbewerber und -berechtigte veröffentlicht: Im Arbeitsagenturbezirk Trier gibt es 1150 arbeitssuchende Flüchtlinge. 530 von ihnen sind arbeitslos. Arbeitsuchende Flüchtlinge, die nicht arbeitslos sind, nehmen an Integrationskursen teil, absolvieren Praktika und Weiterbildungen oder gehen einer Erwerbstätigkeit nach.Wie funktioniert die medizinische Versorgung?Darüber, wie die medizinische Versorgung der Asylbewerber funktioniert, gibt es nur wenige Informationen. Im Dauner Krankenhaus wird beispielsweise nicht gesondert registriert, wie viele Flüchtlinge behandelt wurden. Das Klinikum Mutterhaus in Trier teilt auf Anfrage mit, dass im vergangenen Jahr 538 Flüchtlinge behandelt wurden und in diesem Jahr bisher 322. Zum Vergleich: Insgesamt wurden knapp 38 000 Patienten (2015) und bisher 12 500 Patienten dort behandelt.Im Marienhaus Klinikum Eifel, das Krankenhäuser in Bitburg und Gerolstein betreibt, gibt es Formulare für die Patienten, die neben Englisch auch auf Arabisch und Farsi (Persisch) formuliert und zum besseren Verständnis bebildert sind. Von allen stationär behandelten Patienten haben dort die Flüchtlinge im Jahr 2015 rund 0,7 Prozent ausgemacht. Über den Behandlungsablauf sagt Pressesprecherin Doris Fandel: "Als Erstes gilt es bei den Flüchtlingen, die als Patienten in unser Krankenhaus kamen, keine unüberbrückbaren Sprachbarrieren aufkommen zu lassen." Meist seien Dolmetscher mit dabei, aber das Krankenhaus verfüge auch über eine interne Datenbank, in der die besonderen Sprachkenntnisse der Mitarbeiter aufgelistet seien. Hat sich bei der Kriminalität etwas verändert?Insgesamt wurden im Jahr 2015 im Bereich des Polizeipräsidiums Trier 41 870 Straftaten begangen. Davon ermittelte die Polizei 12 393 nichtdeutsche Tatverdächtige, was einen Anstieg um rund 3000 Tatverdächtige als im Jahr zuvor bedeutet (bei insgesamt 38 497 Straftaten). Allerdings lasse sich die gestiegene Zahl laut Karl-Peter Jochem vom Polizeipräsidium Trier mit der gestiegene Anzahl an Zuwanderern erklären. Von den 12 393 nichtdeutschen Tatverdächtigen wurden 807 Zuwanderer registriert, die sich unerlaubt in Deutschland aufhielten und damit überwiegend Formalverstöße gegen das Aufenthalts- und Asylgesetz begangen hatten (zum Beispiel Einreise nach Deutschland ohne Visum). Bei den 995 tatverdächtigen Asylbewerbern spielten Taschendiebstähle (439 Fälle) und Körperverletzungen (223 Fälle) die größte Rolle. Bei der Vorstellung der Kriminalstatistik hat Polizeipräsident Lothar Schömann darauf hingewiesen, dass sich ein Großteil dieser Straftaten innerhalb der Aufnahmeeinrichtungen ereignet habe, als es dort im Sommer und Herbst 2015 teilweise zu Überbelegungen gekommen sei.Die komplette TV-Serie finden Sie im Internet untervolksfreund.de/fremdeheimatExtra

Kommt jemand nach Deutschland, um hier Asyl zu suchen, ist er Asylsuchender. Hat er einen Asylantrag gestellt, kann er auch als Asylbewerber bezeichnet werden. Ist der Asylantrag anerkannt, dann handelt es sich um einen Asylberechtigten. jwa Extra

 Noch im vergangenen Herbst waren die Erstaufnahmeeinrichtungen für Flüchtlinge noch voll, wie hier in Bitburg (links). Nun leben dort wesentlich weniger Menschen. In Wittlich wurde die Einrichtung sogar ganz geschlossen (rechts). Viele der Asylsuchenden leben mittlerweile in den Städten und Gemeinden der Region.TV-Fotos (2): Archiv/Klaus Kimmling

Noch im vergangenen Herbst waren die Erstaufnahmeeinrichtungen für Flüchtlinge noch voll, wie hier in Bitburg (links). Nun leben dort wesentlich weniger Menschen. In Wittlich wurde die Einrichtung sogar ganz geschlossen (rechts). Viele der Asylsuchenden leben mittlerweile in den Städten und Gemeinden der Region.TV-Fotos (2): Archiv/Klaus Kimmling

Foto: klaus kimmling
 Wolfgang Hein, ehemaliger Verkehrserzieher der Polizeiinspektion Saarburg, erklärt den Flüchtlingen bei einem Radfahrkurs die deutschen Verkehrsregeln. Die Integration der Menschen in den Städten und Gemeinden hat begonnen.TV-Foto: Archiv/Christian Kremer

Wolfgang Hein, ehemaliger Verkehrserzieher der Polizeiinspektion Saarburg, erklärt den Flüchtlingen bei einem Radfahrkurs die deutschen Verkehrsregeln. Die Integration der Menschen in den Städten und Gemeinden hat begonnen.TV-Foto: Archiv/Christian Kremer

Foto: (h_ko )

Wie viele Asylbewerber bereits anerkannt wurden, dazu können nicht alle Landkreise Angaben machen. Der Grund: Anerkannte Asylbewerber werden nicht mehr als Asylsuchende in der Statistik der Kreisverwaltungen erfasst, sondern sind als Hartz 4 Empfänger beim Jobcenter gemeldet. Finden die Menschen Arbeit, fallen sie aus jeder Statistik heraus. grau

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