Wer soll die maroden Kommunen sanieren?

Trier/Mainz · Gemeinden in die Insolvenz schicken? Mehr Geld ins System stecken? Oder knallhart sparen? Beim Wirtschaftsforum der Industrie- und Handelskammer haben Experten darüber diskutiert, was Kommunen aus ihrer Finanzmisere retten könnte.

 Für sie war kein Geld mehr da – und so ist die Trierer Eissporthalle zur Ruine geworden. TV-Foto: Friedemann Vetter

Für sie war kein Geld mehr da – und so ist die Trierer Eissporthalle zur Ruine geworden. TV-Foto: Friedemann Vetter

Triers Straßen sind ein Flickenteppich. Triers Eishalle ist eine Ruine. Triers Kulturlandschaft fürchtet um ihre Existenz. Denn Triers Finanzlage ist eine Katastrophe.
Bei knapp 700 Millionen Euro Schulden können selbst die rigidesten Sparmaßnahmen nicht dazu führen, dass die Stadt ihr Minus loswird. Ein Minus, das jedes Jahr weiterwächst. Denn die Ausgaben sind viel höher als die Einnahmen. Ein Problem, vor dem ein großer Teil der rheinland-pfälzischen Gemeinden steht.
Äußert es sich auch nicht überall so drastisch wie in der Hauptstadt der Region - die Ursachen sind überall ähnlich: Die Ausgaben für Sozialhilfe (zum Beispiel Hilfe zur Pflege, Eingliederung behinderter Menschen, Grundsicherung im Alter) explodieren. Zudem müssen Kommunen infolge von Landes- oder Bundesentscheidungen immer mehr Aufgaben erfüllen (zum Beispiel Kindergartenplätze für Einjährige schaffen), ohne dass sie wesentlich mehr Geld einnehmen würden. Die Folge: Viele Gemeinden müssen sich schon verschulden, um ihre laufenden Ausgaben decken zu können. Wirkliche Investitionen werden zum Luxus, Steuererhöhungen zur Pflicht.
Betriebe fürchten, dass diese Entwicklung ihre Standortbedingungen verschlechtert. Und Bürger sorgen sich, weil ihre Gemeinden ihnen immer weniger zu bieten haben. Beim Wirtschaftsforum der Industrie- und Handelskammer Trier haben Experten mit TV-Redakteur Dieter Lintz über die Schuldfrage und mögliche Lösungen gesprochen. Viele ihrer Aussagen sind ebenso überraschend wie provokant.

Der Trierer Rechtsanwalt Thomas Schmidt saniert nicht nur den Nürburgring. Er hat auch eine sehr konkrete Vorstellung davon, was Kommunen helfen könnte. "Ich möchte radikal an die Sache rangehen", sagt er. Denn Schmidt würde verschuldete Kommunen in die Insolvenz schicken - ähnlich wie die USA, Ungarn oder Lettland dies bereits praktizieren. Dem Trierer Juristen zufolge wäre das mit einfachen landesgesetzgeberischen Maßnahmen möglich. Ähnlich wie am Nürburgring würden die Kommunen ihre Insolvenz in Eigenverwaltung durchlaufen. Ihnen würde lediglich ein Sachwalter zur Seite gestellt. "Das wäre der beste Weg, um Haushaltsdisziplin zu erzwingen", sagt Schmidt. Denn einer insolventen Kommune leiht auch keine Bank mehr Geld. Das heißt: Sie könnte ihren Aufgaben nicht mehr nachkommen. Und dann mache es auch keinen Sinn mehr, Aufgaben an diese Kommunen zu delegieren. "Man muss das System von unten aufbrechen." Übersetzt: Schmidt geht davon aus, dass Bund und Land dann gezwungen wären, das Nötigste zu zahlen.

Professor Martin Junkernheinrich sieht das kritisch. Deutschland sei der Anker bei der EU-Staatsschuldenkrise. Wenn dann zig Kommunen nicht mehr zahlungsfähig seien, gehe "die Ressource Vertrauen schnell verloren", sagt der Wissenschaftler, dessen vom Land beauftragtes Gutachten zur Kommunalreform große Wellen geschlagen hat. Heute dürfte seine jüngste, noch unveröffentlichte Expertise im Landtag für Aufruhr sorgen. Diesmal hat die Landesregierung ihn nicht dazu aufgefordert. Und sie wird sich auch nicht freuen. Denn in Modellrechnungen zeigt Junkernheinrich auf, dass das geplante Gesetz zur Reform des kommunalen Finanzausgleichs das Problem der Kommunen nicht lösen wird. Die zahlreichen Stellschrauben, an denen das Gesetz drehen will, führen laut Junkernheinrich dazu, dass die Kreise und Städte zwar mehr Geld bekommen, die Verbands- und Ortsgemeinden jedoch weniger. Zudem gebe das Land mit 50 Millionen Euro zu wenig Geld in den Topf.

Mehr Geld im System würde sich auch Triers Oberbürgermeister Klaus Jensen wünschen, der ein Minus von rund 700 Millionen Euro verwaltet. "Wie konnte das passieren?", fragt Dieter Lintz. Und Jensen berichtet von steigenden Sozialausgaben, den hohen Kosten der Kitaplätze oder der Jugendhilfe … 85 Prozent der Ausgaben seien fremdbestimmt. "Wir geben das aus, wozu uns andere zwingen", sagt Jensen. Auf der anderen Seite komme zu wenig herein. Triers Steuerkraft sei sehr unterdurchschnittlich. Unter den vier größten Arbeitgebern sind zwei Krankenhäuser und eine Uni. Da fließt keine Gewerbesteuer. Jensen sagt: Sparen bringt im Idealfall einige wenige Millionen. Und: "Wir kommen da aus eigener Kraft nicht raus."

Peter Adrian, Chef der IHK und Gastgeber des Abends, lässt Jensen bei allem Verständnis für die schwierige Situation nicht so leicht davonkommen und verweist auf den Kommunalbericht des Rechnungshofs: Immer noch werde viel Steuergeld sinnlos ausgegeben. Kommunen sollten sparen, statt ihre Einnahmen zu erhöhen. In Trier habe man eine Welle solcher Erhöhungen erlebt. 2012 haben laut IHK-Realsteueratlas 91 Kommunen der Region ihre Gewerbesteuer erhöht und 221 ihre Grundsteuer B. Adrian fürchtet, dass die Standortqualität leidet. "Die Kommunen müssen ihre Aufgaben durchforsten", fordert er. "Und sie müssen eisern sparen."

Im Publikum sitzt Winfried Manns, Vorsitzender des Gemeinde- und Städtebundes Rheinland-Pfalz, und reagiert weithin hörbar gereizt auf die vielen Aussagen, die ihm nicht zu passen scheinen. Später sagt er, aus seiner Sicht sei das Problem, dass Land und Bund Leistungen festlegten, die die Gemeinden bezahlen müssten. Manns fordert daher ein Vetorecht für die Kommunen. Das wäre ein erster Schritt.

Die goldene Lösung - das muss Dieter Lintz am Ende des Abends festhalten - hat offenbar keiner im Gepäck.Extra

 Schlaglöcher und Asphaltfleckenteppiche sind in vielen Gemeinden völlig normal. TV-Foto: Friedemann Vetter

Schlaglöcher und Asphaltfleckenteppiche sind in vielen Gemeinden völlig normal. TV-Foto: Friedemann Vetter

Das von der Landesregierung geplante Gesetz zur Reform des kommunalen Finanzausgleichs soll Kreisen und Städten mehr Geld bringen. Professor Martin Junkernheinrich zufolge wird dieses Geld dann Verbands- und Ortsgemeinden fehlen. So viel mehr soll es in den Kreisen geben: Vulkaneifel: 2,72 Millionen Euro (2014), 4,92 Mio. (2015) Bitburg-Prüm: 2,99 Mio. (2014), 5,76 Mio. (2015) Bernkastel-Wittlich: 5,70 Mio. (2014), 9,33 Mio. (2015) Trier-Saarburg: 5,47 Mio. (2014), 9,11 Mio. (2015) Stadt Trier: 11,12 Mio. (2014), 13,89 Mio. (2015) fcg/kah

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