Gesellschaft Online-Portale: Die neue Art der Nachbarschaft
Trier/Schweich · Hilfsangebote im Internet sind in Zeiten von Corona zum Trend geworden. Zum Beispiel fast 3400 Trierer wollen Nachbarn online unterstützen. Doch wie gut funktionieren solche Portale wirklich?

Auf unserem Symbolbild betrachtet ein Nutzer auf seinem Tablet die Startseite der App „Dorffunk“. Die einst im Rahmen des Projekts „Digitale Dörfer“ entwickelte App kann angesichts der Kontaktbeschränkungen wegen des Coronavirus seit Ende März kostenlos in ganz Rheinland-Pfalz genutzt werden und soll den Austausch unter Nachbarn erleichtern.
Foto: dpa/Thomas FreyFrank Schmitt aus Trier-Kürenz ist alleinerziehender Vater von drei Kindern. Der 56-Jährige hat in den vergangenen Wochen über das Online-Nachbarschaftshilfe-Portal nebenan.de viel Solidarität erfahren: Seit Beginn der Corona-Zeit hätten viele Menschen angeboten, ihn bei der Kinderbetreuung zu unterstützen. Letztlich habe er keine Hilfe benötigt und alle Angebote dankend abgelehnt.
Doch die Solidarität in der Nachbarschaft hat ihn begeistert: „Man unterhält sich über den Gartenzaun hinweg. Dann wird mal ein Kuchen rübergereicht“, erzählt er. „Die Menschen sind viel, viel näher gerückt.“ Und das trotz Social Distancing. Das habe definitiv auch mit nebenan.de zu tun. Er findet: „Alle Menschen müssen mitmachen, um endlich zu verstehen: ‚Wir sind nicht allein’ und ‚es geht nur zusammen‘.“
Es klingt ein wenig paradox: Nachbarn sollen im Internet einen Beitrag veröffentlichen, um sich im echten Leben zu unterstützen. Ein ungewöhnliches Konzept, das bis heute jedoch in ganz Deutschland mehr als 1,6 Millionen Nutzer und in Trier und im Trierer Land rund 3400 Nutzer für sich gewinnen konnte: Nachbarschaftsportale im Internet sollen helfen, Nachbarn besser zu vernetzen.
Zwei bekannte Beispiele sind das deutschlandweit größte Netzwerk „nebenan.de“ oder die rheinland-pfälzische App des Fraunhofer Instituts „Dorffunk“. Während Dorffunk Menschen auf dem Dorf vernetzen möchte, will nebenan.de der Anonymität in städtischen Nachbarschaften entgegenwirken.
Seit Beginn der Corona-Zeit erleben diese Online-Angebote nach Angaben der Betreiber einen regelrechten Ansturm (siehe Info). Offenbar haben die Menschen durch die Krise eine ausgeprägte Hilfsbereitschaft entwickelt und das Potenzial sozialer Netzwerke entdeckt. Wer in der Corona-Zeit zum Beispiel nicht selbst einkaufen oder zur Apotheke gehen kann, kann über ein solches Portal in der Nachbarschaft um Hilfe bitten. Auch wer einen Schachpartner sucht oder jemanden benötigt, der mit dem Hund spazieren geht, soll über das Internet Hilfe finden.
Wie Frank Schmitt haben auch andere Trierer positive Erfahrungen mit Nachbarschaftsportalen gemacht: Pascale Rihoux ist Risikopatientin und verbringt aktuell die meiste Zeit zu Hause. Während dieser Zeit hat sie bei nebenan.de viele Hilfsangebote entdeckt: „Die Leute haben angeboten, für Kranke einzukaufen. Einige haben über die Plattform günstig Mund-Nasenschutz-Masken verkauft oder angeboten, Nachbarn im Garten Gesellschaft zu leisten“, erzählt sie. Sie selbst habe keine Hilfe in Anspruch genommen. Trotzdem fühlt sie sich seit Corona mit der Nachbarschaft stärker verbunden.
Die Hilfsangebote sind offenbar da. Doch wer, wenn nicht ein alleinerziehender Vater und eine Risikopatientin, nimmt die Hilfe der Nachbarn tatsächlich an? Das scheint zumindest in Trier ein echtes Problem zu sein: Viele Nutzer, die in ihrer Nachbarschaft Hilfe beim Einkaufen angeboten haben, berichten, dass sich niemand auf ihr Angebot gemeldet habe. „Bis jetzt wurde das Angebot erst von einer Person in Anspruch genommen“, erzählt zum Beispiel Duong Tran. S. Kowalewski aus Trier-Süd berichtet: Dadurch, dass es so wenige Hilfegesuche gab, hätten sich auf eine Anfrage jeweils gleich mehrere Leute gemeldet und sie sei nicht zum Zuge gekommen.
Julia B. hat ebenfalls vergeblich ihre Hilfe angeboten. Jedoch habe sie Zuspruch durch Likes und Kommentare erhalten. „Das Problem liegt wahrscheinlich darin, dass betroffene Personengruppen, nämlich vor allem ältere Menschen, die Plattform eher selten nutzen“, vermutet sie.
Das Problem ist den Betreibern offenbar bekannt. Um auch älteren Menschen die Bedienung der App so einfach wie möglich zu machen, bietet Dorffunk Erklärvideos und Flyer und stellt eine Hilfe-Telefonnummer zur Verfügung. Auch nebenan.de hat eine kostenlose Hotline eingerichtet: Wer Unterstützung benötigt, kann jetzt auch per Telefon um Hilfe bitten. In Trier wurden auf diesem Wege bisher acht Hilfegesuche erstellt.
Doch Hilfe von wildfremden Menschen über das Internet anzunehmen, fällt vielen schwer. Frank Schmitt appelliert deshalb an seine Nachbarn: „Geht zu euren Nachbarn, redet mit ihnen, nehmt ihnen die Angst und bietet direkt eure Hilfe an.“
Auch die Gemeindereferentin in der Kirchengemeinde Heilige Edith Stein in Trier, Vera Schulz, weiß, dass der persönliche Kontakt zu hilfebedürftigen Nachbarn oft vertrauenswürdiger wirkt als ein Hilfegebot im Internet oder ein anonymer Flyer. Sie und ihre Helfer haben 2800 Flyer zu Corona-Hilfsangeboten der Gemeinde an Trierer Haushalte verteilt.
Doch der große Andrang blieb aus; die Hemmschwelle ist groß. Schulz kann das gut nachvollziehen: „Es ist schwierig zu sagen: ‚Ich brauche Hilfe‘“, erklärt sie. Daneben sind viele Menschen auch misstrauisch, wenn es darum geht, fremden Leuten Geld für einen Einkauf in die Hand zu drücken.
Wer in den vergangenen Wochen jedoch positive Erfahrungen mit dem Einkaufsservice gemacht habe, erzähle auch gerne davon. Auf diese Weise kämen bis heute wöchentlich Anfragen. Sie hofft, dass die Hilfsbereitschaft der Menschen auch über die Corona-Zeit hinaus bestehen bleibt. Und dass hilfebedürftige Menschen, die sich nicht bei ihr oder über das Internet gemeldet haben, in ihrem privaten Umfeld Unterstützung erhalten.
Informationen und Hilfestellungen zu den Nachbarschaftshilfe-Portalen unter nebenan.de, Hilfe-Hotline: 0800/8665544 beziehungsweise über die Dorffunk-App, Hilfe-Hotline: 0631/68002194.