Gesundheit Was darf die Betreuung von Frühchen kosten?

Trier · Die Villa Kunterbunt ist mit ihrem komplexen Angebot auch 18 Jahre nach der Eröffnung bundesweit einmalig. Frühgeborene und ihre Familien nehmen einen immer größeren Raum ein. Finanzierung macht Sorgen.

 Immer mehr Kinder kommen viel zu früh zur Welt. Nach dem Klinikaufenthalt kümmert sich das Team der Villa Kunterbunt um Kind und Eltern.

Immer mehr Kinder kommen viel zu früh zur Welt. Nach dem Klinikaufenthalt kümmert sich das Team der Villa Kunterbunt um Kind und Eltern.

Foto: Hans-Werner Bohn

Paul ist ein aufgeweckter Junge. Fußball ist die Leidenschaft des Fünfjährigen, dessen Augen vor Schalk blitzen, wenn er seinem großen Bruder mal wieder einen Streich gespielt hat. Als er zur Welt kam, etliche Wochen zu früh und mit gerade einmal 800 Gramm Körpergewicht, schien eine solch unbeschwerte Kindheit eher unwahrscheinlich. „Wir haben uns damals viel Sorgen gemacht und waren sehr unsicher, wie wir nach der Entlassung aus der Klinik mit dem Kind umgehen sollen“, erinnert sich seine Mutter. „Aber auch dank der Hilfe aus der Villa Kunterbunt ist alles gut geworden.“

Im Durchschnitt sind es mehr als 50 Kinder, die in jedem Jahr im Klinikum Mutterhaus der Borromäerinnen das Licht der Welt viel zu früh erblicken. Sie wiegen weniger als 1500 Gramm. „Wir betreuen alle diese Kinder“, sagt Dr. Christoph Block, der die Geschäfte der benachbarten Villa Kunterbunt führt. Als das Nachsorgezentrum für schwer und chronisch kranke Kinder im Mai 2000 in der Feldstraße seine Türen erstmals öffnete, war er als Assistenzarzt dabei. 163 Familien wurden damals betreut. 18 Jahre später schwärmt Block noch immer von den Möglichkeiten, die sich hier für kranke Kinder und deren Familien bieten. „Mit unserem komplexen Angebot sind wir noch immer bundesweit einzigartig.“

22 Mitarbeiter kümmern sich derzeit um 600 chronisch kranke Kinder und deren Familien. Psychologen, Physio- und Arbeitstherapeuten, Kinderärzte und Ernährungswissenschaftler gehören ebenso zum Team wie Kinderkrankenschwestern, Heil- und Erlebnispädagogen sowie eine Fall-Managerin. Aber auch wenn die Villa nun volljährig wird, hat sich an der wesentlichen Herausforderung für die Finanzierung nicht viel geändert. Etwa 85 Prozent des Jahresbudgets müssen durch Spenden erlöst werden – rund 700 000 Euro. Da ist jede planbare Einnahme sehr willkommen.

Die sozialmedizinische Nachsorge (SMN), für die es seit 2007 einen Vertrag mit den Krankenkassen gibt, ist einer dieser Bereiche. Ein Team aus Kinderarzt, Psychologe, Sozialpädagoge und Kinderkrankenschwester kümmert sich während des Klinikaufenthalts und danach um Kind und Eltern. Insgesamt 20 Stunden stehen für jede dieser jährlich 40 betreuten Famlien zur Verfügung. „Besonders bei Frühgeborenen sind die Eltern oft ängstlich und brauchen Unterstützung, die wir bieten können“, weiß Christoph Block.

Der Villa-Geschäftsführer freut sich zwar darüber, dass dieses Angebot auch etwa acht Prozent der Jahreseinnahmen ausmacht. Kosten­deckend seien die aktuell 84 Euro pro Stunde allerdings nicht. Denn für die oft 60-minütige An- und Rückfahrt zu den kleinen Patienten gebe es keine Erstattung durch die Krankenkassen. Block hat gerechnet: „Um wirklich kostendeckend zu arbeiten, benötigen wir im Durchschnitt 150 Euro pro SMN-Stunde.“

Nachsorgeeinrichtungen aus ganz Deutschland, zusammengeschlossen im Bundesverband Bunter Kreis e.V.,  treffen sich am Samstag in Trier, um über dieses Thema zu diskutieren (siehe Info). Sie alle berufen sich auf Studien, wonach eine gute Nachsorge auch für die Krankenkassen einen positiven Effekt hat, weil dadurch Klinikaufenthalte verkürzt und Wiederaufnahmen verzögert oder ganz verhindert werden können.

Dr. Wolfgang Thomas ist Chefarzt der Kinder- und Jugendmedizin im Mutterhaus, medizinischer Leiter der Villa Kunterbunt und Vorsitzender des Fördervereins. „Als die Villa Kunterbunt vor 18 Jahren eröffnet worden ist,  standen früh geborene Kinder noch nicht im Fokus“, sagt er. Doch enorme Fortschritte in der Neugeborenenmedizin hätten das innerhalb von drei Jahren geändert. „Die Überlebenschancen für Kinder unter 1500 Gramm haben sich enorm verbessert. Aber unser Ziel ist auch ein gutes Überleben. Wir achten heute auf Dinge, die vor 20 Jahren noch kein Thema waren.“ Als Beispiel nennt er das sogenannte Kangorooing, wenn Vater oder Mutter den Winzling Haut an Haut tragen.

In den ersten zwei Jahren ihres Lebens werden alle frühgeborenen Kinder, die im Mutterhaus zur Welt gekommen sind, vom Team der Villa Kunterbunt begleitet. Das war auch bei Paul so, dem kleinen Fußballnarren. „Das Gewicht ist für die Überlebenschancen eines Frühgeborenen nicht der entscheidende Faktor“, weiß Chefarzt Thomas. „Auch Kinder mit 400 Gramm sind lebensfähig, sofern die Lunge ausreichend ausgereift ist.“

Die Villa Kunterbunt wird volljährig. Die ersten Kinder, die dort betreut wurden, werden es auch.

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