Wo der kleine und der große Chef wohnen

Trier-Süd/Schammatdorf · Manche böse Zunge schmäht Trier ja als "größtes Dorf an der Mosel". Als solches verfügt es in seinem Süden über eine kuriose Besonderheit: ein weiteres Dorf im Dorf. Und ausgerechnet im Herzen des 1979 gegründeten alternativen Wohnprojekts Schammatdorf leben sowohl das Oberhaupt der Stadt als auch das des ganzen Landes.

 Auf gute Nachbarschaft: Gabi Reichert, Claire Köster und Inge Duhr mit ihrem Hund Bailey plauschen am Dorfzentrum, während Hilde Greichgauer im Kiosk Dienst leistet. Auf dem Luftbild von Inge Duhr sind die einzelnen „Höfe“ des Schammatdorfs gut zu erkennen. Fotos: Frank Göbel,Inge Duhr

Auf gute Nachbarschaft: Gabi Reichert, Claire Köster und Inge Duhr mit ihrem Hund Bailey plauschen am Dorfzentrum, während Hilde Greichgauer im Kiosk Dienst leistet. Auf dem Luftbild von Inge Duhr sind die einzelnen „Höfe“ des Schammatdorfs gut zu erkennen. Fotos: Frank Göbel,Inge Duhr

Trier-Süd/Schammatdorf. "Wir bleiben hier!", hatte sich Triers Oberbürgermeister Klaus Jensen im vergangenen Jahr Gerüchten entgegengestellt, dass er und seine Frau Malu jetzt, da sie Landeschefin geworden ist, in ein herrschaftlicheres Gefilde streben würden.
Dass das Schammatdorf lebenswert ist, finden auch andere. Inge Duhr etwa. Seit 30 Jahren ist sie im Viertel, in dem derzeit rund 300 Menschen leben und wo seit 1979 die damals neue Idee umgesetzt wurde, dass Menschen mit und ohne Behinderungen in kommunikativer Nachbarschaft zusammenwohnen. Meist sind dazu jeweils zwölf Wohnungen in mehreren, zweigeschossigen Häusern um einen Innenhof gruppiert, der Begegnung und Gespräch fördert.
In einer Wohnung lebt Inge Duhr. 1984 in eine Wohngemeinschaft für psychisch Kranke eingezogen, lebt sie seit 2000 in den wortwörtlich eigenen vier Wänden. 39 der 140 Wohnungen sind verkauft worden, der Rest gehört weiterhin der Abtei St. Matthias, die seinerzeit das Projekt angestoßen hat. Duhr leidet an heftigen Angststörungen, der Hektik der Innenstadt kann sie sich nur selten aussetzen. Im verkehrsberuhigten Areal des Schammatdorfs mit den vertrauten Nachbarn fühlt sie sich aber frei und sicher. "Hier habe ich Kontakte und ein soziales Umfeld, mit allem, was für mich dazugehört", sagt sie, während sie mit Hund Bailey Gassi geht. Eine Frau quert im Elektrorollstuhl den Weg. Inklusion, mittlerweile auch im Rest der Republik in aller Munde, wird hier seit Jahrzehnten gelebt.
Das zentrale Dorfzentrum kommt in Sicht, das den Anwohnern für gesellige und organisatorische Aktivitäten zur Verfügung steht. Heute ist "Kiosktag", mit Süßigkeiten für die Kleineren und Bier für die Größeren. Hinter dem Tresen steht Hilde Greichgauer, Vorsitzende des Schammatdorfvereins, dem fast alle Bewohner angehören. Seit 1984 fördert er das solidarische Miteinander und bietet den organisatorischen Rahmen für verschiedenste Aktivitäten. Auch die anwesenden Besucher des Kiosks fühlen sich sehr wohl im Viertel - auch wenn es natürlich nicht alles perfekt sei, wie Gabi Reichert etwa sagt, die auch seit 30 Jahren hier wohnt. "Die Ideen sind geblieben", sagt sie. "Aber ich glaube, früher gab es doch mehr Kontakte, und es war ein bisschen lebendiger." "Aber heute gibt es ja generell weniger Kinder", gibt Greichgauer zu bedenken. "Und oft müssen beide Elternteile arbeiten, da ist klar, dass es heute ruhiger ist."
Allerdings sei es tatsächlich ein Problem, gerade junge Familien ins Dorf zu bekommen: Die seinerzeit angelegten Wohnungsgrößen passen nicht mehr zu heutigen Erwartungen.
Theoretisch stehen bis zu 125 Quadratmeter zur Verfügung, frei werden allerdings meist nur deutlich kleinere Einheiten. In einem "Forum Bauen" suchen die Bewohner mit der Abtei und der verwaltenden Wohnungsbaugesellschaft GBT nach Auswegen.
Insgesamt sei das Schammatdorf aber ein klares Erfolgsmodell, findet Greichgauer. Das liege an der Abtei, die den sozialen Grundgedanken des Projekts immer im Blick behalten habe, an der gemeinsamen Infrastruktur wie dem Dorfzentrum und an der Organisationsstruktur, die aufkommende Konflikte schnell entschärfen könne - etwa durch einen immer ansprechbaren Sozialarbeiter, im Dorf bekannt als "kleiner Bürgermeister".

Weitere Informationen zum Schammatdorf und ein Bewerbungsformular gibt es im Internet unter www.schammatdorf.deExtra

Das Schammatdorf feiert am Samstag, 6. September, sein alljährliches Sommerfest - hier das Programm im Überblick: 15 Uhr: Chor der Jüdischen Gemeinde, Free-Your-Stuff-Markt, Kinderprogramm; 15.30 Uhr: Tombola; 16 Uhr: Taiko-Trommeln; 17 Uhr: Squaredance mit den Porta-Nigra-Zoomers; ab 20 Uhr: Musik mit "Seniors of Swing" und "Tarantoga", dazwischen Bauchtanz. fgg

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort