Wo Erinnern keine Eintagsfliege ist

Schweich · Orte wie der jüdische Friedhof zeugen von der Geschichte jüdischen Lebens in Schweich. Damit Interessierte mehr über ihre früheren Mitbürger erfahren, gibt dort jetzt eine neue Tafel Auskunft über deren Schicksal. Initiiert wurde die Aktion von einem Bündnis, das bereits seit drei Jahren die Erinnerung an die Schweicher Juden fördert.

 René Richtscheid vom Emil-Frank-Institut Wittlich informiert Gäste seiner Führung auf dem jüdischen Friedhof in Schweich über seine Forschungsergebnisse. TV-Foto: Christa Weber

René Richtscheid vom Emil-Frank-Institut Wittlich informiert Gäste seiner Führung auf dem jüdischen Friedhof in Schweich über seine Forschungsergebnisse. TV-Foto: Christa Weber

Schweich. René Richtscheid steht auf dem jüdischen Friedhof in Schweich. Vor ihm liegt das Grab von Raphael Israel, gestorben 1937. Der Sohn Israels sei als Soldat für Deutschland im Ersten Weltkrieg gefallen. "Die Tochter wurde später von Deutschen ermordet", berichtet der Geschäftsführer des Emil-Frank-Instituts, das die Geschichte der Juden in der Region erforscht, den 25 Besuchern seiner Friedhofsführung.Steine erzählen Schicksale


88 Grabsteine stehen auf dem Gelände an der Straße Im Gartenfeld. Alle erzählen sie berührende Schicksale. Wer die Toten waren, darüber klärt jetzt eine Tafel am Friedhofseingang auf. Die Informationen haben Richtscheid und der Historiker Hermann Erschens aus Leiwen zusammengestellt.
Die Stadt Schweich trägt die Kosten von etwa 1000 Euro. Die Tafel zeigt Fotos des ältesten (1851) und jüngsten Grabsteins (1937). Sie gibt in Kurzform die Geschichte der Schweicher Juden wieder, von denen Mitte des 19. Jahrhunderts etwa 135 dort lebten (siehe Hintergrund).
Den Impuls für die Tafel gab die Arbeitsgemeinschaft Gedenken, hervorgegangen aus dem Projekt "Jüdisches Leben in und um Schweich". Dessen Mitarbeiter machen seit Anfang 2010 die Spuren jüdischen Lebens in der Verbandsgemeinde Schweich sichtbar. Initiator war das Dekanat Schweich-Welschbillig. Zu den Mitstreitern zählen etwa Stadt und VG, die Jüdische Kultusgemeinde Trier sowie mehrere Schweicher Schulen und Jugendeinrichtungen.
"Nach der Renovierung der Synagoge wollten wir auch den Charakter als Gotteshaus betonen und die Gedenkarbeit in Bewegung bringen", erklärt Matthias Schmitz, Pastoralreferent und Mitbegründer der Initiative. Bis zu diesem Zeitpunkt habe es einzelne Quellen, aber keine vollständige Geschichte der Juden in Schweich gegeben. "Wir wollten zeigen, wer hier gelebt hat und was passiert ist."
Erstes Ergebnis: eine Ausstellung, die noch immer in der Synagoge zu sehen ist. Sie zeigt etwa, dass die Juden nicht im Ghetto, sondern mitten unter den Schweichern lebten. Das Herzstück sind Zeitzeugeninterviews, geführt von Jugendlichen. "Wir wollen die Jugend integrieren", sagt Schmitz. Es gehe auch darum, zu zeigen, "wo es heute Gefährdungen für unser Zusammenleben gibt".
Neben der laufenden Forschung stützt die Initiative das Erinnern mit begleitenden Veranstaltungen (siehe Extra). Zeitlich konzentriert sich das Programm auf den Holocaust-Gedenktag am 27. Januar und das Datum der Reichspogromnacht am 9. November 1938, als in ganz Deutschland jüdische Häuser und Geschäfte verwüstet wurden. "Im Januar widmen wir uns mehr anderen Opfern des Naziregimes, im November dem jüdischen Leben", sagt Schmitz. Abgestimmt werde alles mit dem örtlichen Kulturverein, sagt Peter Szemere von der Jüdischen Kultusgemeinde Trier. Die Auswahl reicht vom Pianospiel israelischer Künstler über Vorträge bis zu musikalischen Lesungen, etwa aus dem Tagebuch einer KZ-Insassin. Weitere Projekte für 2014 stehen bereits fest (siehe Extra). Dazu kommen dauerhafte Angebote wie Führungen in der Synagoge.Ein breites Bündnis


Finanziert werden die Veranstaltungen von den örtlichen Bildungsträgern, etwa der katholischen Erwachsenenbildung, der Volkshochschule Schweich und der Initiative "Kultur in Schweich". Die Erweiterung der Ausstellung durch weitere Ortstafeln soll über die Ortsgemeinden, Sponsoren und Spenden sichergestellt werden. Die AG werde von "den kommunalen Entscheidungsträgern sehr unterstützt", lobt Szemere. Schmitz freut, "dass wir so ein breites Bündnis haben, das das Projekt weiterentwickelt. Das ist keine Eintagsfliege, sondern etwas, das bleibt".Extra

Im ehemaligen Regierungsbezirk Trier gibt es 40 jüdische Friedhöfe. 15 davon liegen im Landkreis Trier-Saarburg: Aach, Mehring, Leiwen, Schweich, Newel-Butzweiler, Kordel, Fell, Konz, Konz-Könen, Konz-Ober-emmel, Freudenburg, Hermeskeil, Zerf, Kirf, Saarburg-Niederleuken. Der Schweicher Friedhof wird erstmals 1776 erwähnt. Erste Spuren jüdischen Lebens in der Moselstadt weist eine Urkunde von 1339 nach. Zu ihrer Blütezeit in Schweich lebten dort etwa 135 Juden, meist Geschäftsleute. Die jüdische Gemeinde war die größte neben Trier und Wittlich. Sie besaß eine eigene Privatschule und eine Synagoge, die 1852 durch einen Neubau ersetzt wurde. Am 10. November 1938 wurde das Gebäude von den Nazis geschändet. Nach dem Krieg diente es lange Zeit als Warenlager. Die Stadt Schweich kaufte die Synagoge 1984 und ließ sie umfassend renovieren. Seit 1989 dient sie als Kulturzentrum. Zu Beginn der NS-Diktatur lebten 100 Juden in Schweich. 37 konnten fliehen, der Rest wurde ermordet oder ist verschollen. Der Friedhof wurde 1939 einem Landwirt übereignet, der sich weigerte, die Grabsteine auf Anordnung der Nazis zu entfernen. 1950 wurde das Areal an die Jüdische Kultusgemeinde in Trier zurückgegeben. Die Stadt erhält für dessen Pflege eine jährliche Pauschale vom Land. cwebExtra

Die Initiative "Jüdisches Leben in und um Schweich" hat für Mittwoch, 6. November, ab 19 Uhr eine Filmvorführung in der Schweicher Synagoge organisiert. Gezeigt wird "Ich will dich", ein Film von Anna Ditges über die deutsche Nachkriegsdichterin Hilde Domin. Für Anfang 2014 ist eine musikalische Lesung mit persönlichen Texten und Erinnerungen einer polnischen Zwangsarbeiterin geplant. Dauerhafte Angebote: Fortbildung "Regionale Gedenkarbeit" für Lehrer, Tage der Vielfalt und Toleranz an weiterführenden Schulen in Schweich, Besuche mit Jugendlichen im KZ Hinzert, Führungen in Schweich und zum jüdischen Friedhof in Trier, weitere Forschung und Erstellen weiterer Ortstafeln. Material dafür bietet laut Matthias Schmitz vom Dekanat Schweich der Nachlass Georg Wagners, des ehemaligen Konrektors der Stefan-Andres-Hauptschule Schweich. Die nächsten Tafeln könnten etwa für Klüsserath, Mehring, Fell oder Longuich entstehen. cweb

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