Fitness und Gesundheit Yoga-Selbstversuch: „Jetzt entspann mich mal!“

Trier/Bitburg · Während ausgedehnte Arbeitszeiten uns immer mehr fordern, werden Flexibilitätsübungen um Yoga immer beliebter. 2,6 Millionen Menschen praktizieren die indische Körperkunst in Deutschland, auch in der Region Trier. In der Bitburger Familienbildungsstätte habe ich – ungeduldiger Skeptiker – einen Entspannungstest gemacht.

 Unser Autor Nicolaj Meyer sitzt im Meditationssitz und wartet darauf entspannt zu werden.

Unser Autor Nicolaj Meyer sitzt im Meditationssitz und wartet darauf entspannt zu werden.

Foto: Nicolaj Meyer

Ich bin 30, männlich und das ist mein erstes Mal. Ich liege auf meiner enzian-blauen Matte und warte. Musik läuft keine, dabei hatte ich mir etwas Fernöstliches vorgestellt. Stattdessen höre  ich germanisches Kindergeschrei eine Etage über uns – erinnert mich klanglich an den Sportunterricht in der Grundschule. Zwei Meter neben mir liegt Michaela Lukas (48), beide Beine auf einem Medizinball. Sie macht hier regelmäßig Yoga zwischen den weißen Wänden der Familienbildungsstätte Bitburg. Vor mir wartet Yogalehrerin Michaela Klinkhammer (49) im Schneidersitz. Bei uns dreien bleibt`s auch. Michaelas Kurs ist heute wegen einigen Kranken dünn besucht.

Atmen von Kopf bis Fuß

Erst mal geht es ums Atmen. „Von den Füßen zum Kopf und dann andersherum“, sagt die Lehrerin. Bevor ich ersticke, weil einfach keine Luft durch meine Füße dringt, kapiere ich: Es geht darum, mich auf bestimmte Körperzonen zu fokussieren.

Ich stelle mir also vor, wie Luft, Energie oder Feenstaub durch mich hindurchfließt. Dann soll ich vom Scheitelpunkt zum Kinn atmen. Scheitelpunkt? Bitte, kein Mathe! Da werden tiefe Traumata geweckt. Okay, ich nehme das noch nicht ganz ernst, so wird das nichts. Esoterik oder Astrologie sind für mich Kellerkinder, alles in einer Schublade in meinem persönlichen Gedanken-Keller.

Yoga statt Burnout

Ganz anders bei ihr: Für die Lehrerin ist Yoga mehr als ein Hobby für Dehnbare, wie sie mir später erzählt. Bis 2009 hatte sie noch in einer Fonds-Gesellschaft in Luxemburg gearbeitet, 60,70 Stunden die Woche. Bis zum Burnout.

Die indische Körperkunst war dann Teil ihrer Umorientierung. „Yoga ist meine Kraftquelle“, sagt die Frau, die seit 1998 Yoga macht und seit 2010 unterrichtet.  Mit Entspannungs-Skeptikern hat sie übrigens kein Problem: „Mir sind die Kritiker lieber als die Leute, die sagen, jetzt entspann mich mal.“

Gummiband mit Knacks

Nun sollen wir die Arme und Beine ausstrecken. Dabei unterdrücke ich den Reflex, die Luft anzuhalten, wenn ich einzelne Muskeln anspanne. Mache ich sonst so, wenn ich einen Ball beim Squash hoch in die Luft werfe, um dann mit voller Wucht den Schläger dagegen zu schwingen. Hier ist das anders. Die Atmung soll im Fluss bleiben. Wie eine kleine Lüftungsanlage summen wir drei Atmer – und wie ein Gummiband fühle ich mich, so gestreckt. Plötzlich macht`s knack im Rücken, nicht zum letzten Mal heute. Ich bin ein bisschen erschrocken, wie sich meine Bandscheiben gerade neu sortieren, fühle aber keinen Schmerz.

Ungelenk wie ein Flugzeugträger

Die nächste Übung: Ich liege immer noch auf dem Kreuz. „Kopf nach rechts, rechtes Bein über das andere schlagen nach links“, gibt Michaela in ruhigem gleichmütigen Tonfall vor. Die Schultern sollen auf dem Boden bleiben und im besten Fall fasse ich mit der rechten Hand an den Fuß. Schaffe ich nicht. Da fehlen gut 30 Zentimeter. „Uff“, stöhne ich.

Dabei sollen die Schultern dann entspannen. Die ganze Zeit sagt Lehrerin Michaela „entspannen“. Das ist der reinste Hohn, ich fühle mich null entspannt. Ich fühle mich so ungelenk wie ein Flugzeugträger, so anmutig wie ein Dönerspieß in Rotation. Mir fehlt die Routine, um wirklich in einen Fluss zu kommen, denn ich muss mich auf jede Bewegungsanweisung genau konzentrieren. Etwa wie beim Gesellschaftsspiel Twister, bei dem man seine Gliedmaßen auf verschiedene farbige Punkte einer Decke platziert, und dann schließlich aussieht wie ein Seemannsknoten. Ich schiele immer wieder zur Seite: Die Michaela neben mir hatte einen Bandscheibenvorfall, und die schafft das. Wieso ich nicht? Ah klar, ich habe jahrelang Fußball gespielt, deshalb sind meine Sehnen total verkürzt.

Der Wendepunkt

Die Yogalehrerin fragt nach der Hälfte einer Übung – eine Körperseite haben wir gerade gedehnt, die andere noch nicht – wie sich die Seiten im Vergleich anfühlen. „Labbriges Toast versus Karate Kid“, sage ich. Die beiden Michaelas lachen und meine Lehrerin grinst wissend: Denn ich merke das erste Mal einen echten Effekt. Das ist der Wendepunkt. Ich beginne die 90 Minuten hier ernst zu nehmen.

Das Kindergeschrei ist mittlerweile weg und es folgt die Übung „der Schmetterling“. Dieser stehe für „Fülle und Wohlstand“, erklärt Lehrerin Michaela. Na dann mal los. Wie lange muss ich das machen, bis die Übung mein Konto auffüllt? Das ist ein Schneidersitz, nur dass die Knie wie Flügel hin und her wackeln. Viele Tiernamen folgen.

Nun das Kuhgesicht. Die Hände sollen sich über Kreuz  hinterm Rücken berühren. „Nächster Misserfolg“, denke ich. Falsch gedacht: „Bei Yoga geht es nicht um Leistung“, erklärt die Yogini – das heißt Yogameisterin – später. Na gut, dann wage ich mich noch an das „Krokodil“: Auf dem Bauch liegen und Beine ein bisschen auseinanderstrecken. Yeah, ich fühle mich wie ein Fisch im…nun Krokodil auf der Matte. Diese bekannte Frage: „Welches Tier wären Sie gern im nächsten Leben?“ weiß ich nun zu beantworten! Auf das gemütliche Leben eines Aligators wäre ich vorher nicht gekommen.

Gleichwohl bin ich im Gegensatz zum Krokodil froh, den Kopf und vor allem die Nase mehr als 1, 70 Meter oben zu halten: Die Matte muffelt recht käsig.

Tiefenentspannung

Ich lerne noch den „Sonnengruß“ und den „Helden“ und bekomme richtig Spaß an der Mischung aus Gymnastik und Meditation. Am Ende gibt es die „Tiefenentspannung“. Dabei liegen wir wieder mit dem Rücken auf der Matte. Augen zu. Machen einfach nichts. Lehrerin Michaela spricht von oben bis unten jedes Körperteil an: „Die Stirn entspannt sich, die Nase entspannt sich, der Hals entspannt sich …“, sagt sie. Und wie in Hypnose folge ich ihrer Anweisung und lockere die Muskeln nacheinander. Weil ich mich wirklich mit jedem Körperteil wohler fühle, gewinnen ihre Ansagen immer mehr an Glaubhaftigkeit und Autorität. Am Ende bin ich entspannt.

 Michaela Klinkhammer zeigt gerade „den Helden“. Neben den zahlreichen Angeboten der VHS oder der Universität gibt es auch viele private Lehrer in der Region, wie sie.

Michaela Klinkhammer zeigt gerade „den Helden“. Neben den zahlreichen Angeboten der VHS oder der Universität gibt es auch viele private Lehrer in der Region, wie sie.

Foto: Nicolaj Meyer
 M1

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Foto: Michaela Klinkhammer
 In der Rückbeuge verlängert sich der Verdauungstrakt vom After bis zum Mund. Beim Yoga werden auch die Organe geordnet.

In der Rückbeuge verlängert sich der Verdauungstrakt vom After bis zum Mund. Beim Yoga werden auch die Organe geordnet.

Foto: pa/obs/VFMS Schweiz/Institut für Franklin-Methode

Danach sitzen wir zu dritt noch etwas auf unseren Matten und quatschen. „Früher war ich so unbeweglich wie du“, sagt die andere Michaela zu mir, die mit dem Bandscheibenvorfall und fast 20 Jahren mehr auf dem Buckel. Wir lachen nochmal. Für sie sei Yoga „die Lösung“, wie eine Therapie. Ihre Schmerzen würden dadurch gelindert. Für mich war es eine bereichernde Erfahrung – meine Gedankenschubladen werden neu sortiert werden müssen. Ohne Leistungsdruck, ganz locker, das habe ich hier gelernt.

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