Zarte Töne aus Wassergläsern

TRIER. Eigentlich sei es nur eine Notlösung, sagt er. Aber der 34-jährige Sergei Karamy-shev spielt auf wassergefüllten Gläsern perfekt. Die Glasharmonika des 18. Jahrhunderts kommt wieder zu Ehren.

Er steht in der Fußgängerzone. Im Rokoko-Kostüm mit hochhackigen Schuhen, Perücke, weiß gefärbtem Gesicht und rot ausgemalten Lippen. Wie eine Puppe. Wirft jemand eine Münze in die geschickt platzierte Schale, dann beginnen die abgezirkelten Bewegungen. Als wäre er ein Uhrwerk, berührt der Mann die Wassergläser auf einem Tablett und entlockt ihnen pfeifende, zierliche, zerbrechliche Klänge. Sergei Karamyshev spielt Glasharmonika.Einst Inbegriff der modischen Musik

Dieser Instrumententyp hatte schon einmal bessere Zeiten gesehen. Im 18. Jahrhundert war die Glasharmonika geradezu Inbegriff einer modischen Musik - so wie die blassen, schwindsüchtigen Jünglinge, von denen die jungen Damen schwärmten. Mozart hat für die Glasharmonika Kompositionen geschrieben. Und dass sie aus der Mode kam, hat nicht nur mit dem Wechsel des Zeitgeschmacks zu tun, sondern auch mit einer bösartigen Legende. Es verbreitete sich nämlich das Gerücht, Glasharmonika-Spieler würden durch die hohen Töne wahnsinnig. In Deutschland gab es lange Zeit nur einen einzigen professionellen Glasharmonika-Spieler: Bruno Hoffmann. Das ist inzwischen Geschichte. Denn Sergei Karamy-shew ist nicht der einzige, der mit angefeuchtten Fingern unterschiedlich gefüllten Gläser anstreicht und damit Musik macht. Auch andere haben entdeckt, dass man mit der Glasharmonika in der Trierer Fußgängerzone Geld verdienen kann. Karamysev ist 34 Jahre alt und stammt aus Barnaul. Das ist die Hauptstadt der Sibirischen Altai-Region. Eine arme, landwirtschaftlich geprägte Gegend. Wer professionell Musik machen will, hat dort keine Chance. Sergei hat Klavierbau gelernt, Akkordeon und Klavierspiel. Ab Oktober wird er in Berlin weiter Klavier studieren. Eigentlich sei die Glasharmonika nur eine Notlösung, sagt er. Weil Verstärker in der Fußgängerzone verboten seien, müsse er eben auf einem Instrument ohne Verstärker spielen. Darum hat er vor wenigen Monaten angefangen, den Gläsern die wunderbar leichte, ätherische Musik zu entlocken. Einstweilen steht er noch von 12 Uhr bis 18 Uhr in der Trierer Fußgängerzone. Bevor er beginnt, muss er das Instrument stimmen. Die Gläser müssen tropfengenau befüllt werden - je mehr Wasser, um so höher der Ton. Dann spielt er, wenn eine Münze fällt. Und am Ende packt er Geldschale, Tablett und Gläser zusammen und geht nach Hause. Bis zum nächsten Mittag.

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