Zu alt oder nicht qualifiziert

Trier · Die offiziell guten Arbeitsmarktzahlen verschleiern einiges - etwa, dass über eine Million Menschen bundesweit Langzeitarbeitslose sind. Die Initiative Aktion Arbeit des Bistums Trier wirbt für ein Umdenken in der Politik, unter anderem mit einem Aktionstag am Freitag, 9. September.

Zu alt oder nicht qualifiziert
Foto: Frank Goebel (fgg) ("TV-Upload Goebel"

Trier. Auf dem deutschen Arbeitsmarkt ist die Welt in Ordnung - zumindest den offiziellen Zahlen nach: So hat die Bundesagentur für Arbeit (BA) im Juli gerade einmal 2,6 Millionen Erwerbslose gezählt. Das ist der niedrigste Stand seit 25 Jahren. In Rheinland-Pfalz gelten 5,4 Prozent aller erwerbsfähigen Menschen als arbeitslos.
Doch ein großer Teil der Leistungsempfänger von Hartz IV oder Sozialgeld geht in die Statistik gar nicht ein: So gilt als nicht arbeitslos, wer zwar einen Job sucht, zum letzten Erfassungstermin aber an einer arbeitsmarktpolitischen Maßnahme teilgenommen hat. Auch Menschen über 58 Jahre und alle, die innerhalb eines Jahres kein Jobangebot erhalten haben oder krankgeschrieben waren, werden von der BA nicht zu den Arbeitslosen gezählt, sondern in einer gesonderten Gruppe als Unterbeschäftigte gezählt.
Projekte unterstützen


"Zu den 2,6 Millionen Arbeitslosen in Deutschland kommen damit noch einmal 3,7 Millionen Unterbeschäftigte hinzu", erklärt Andrea Steyven von der Aktion Arbeit. Die Initiative des Bistums Trier sammelt seit mehr als dreißig Jahren Spenden zur Unterstützung arbeitsmarktpolitischer Projekte - und will am Freitag mit einem Aktionstag auf das Schicksal von bundesweit über einer Million Langzeitarbeitsloser aufmerksam machen (siehe Extra). Einer Studie der Bertelsmann-Stiftung zufolge suchen mehr als 43 Prozent aller Arbeitslosen schon länger als ein Jahr nach einem neuen Job. Knapp ein Drittel ist sogar mehr als zwei Jahre arbeitslos.
Einer von ihnen ist der Trierer Klaus Kuhn. Der 50-Jährige hat sich nach seinem Hauptschulabschluss als Helfer verdingt - auf Baustellen, Schiffswerften oder bei einem Fitnessgerätehersteller. "Da habe ich ja auch sofort ganz gutes Geld verdient", erinnert er sich durchaus gerne an die Zeit. Für eine geregelte Ausbildung sah er damals wohl keine Notwendigkeit - was er heute bereut: Denn mit den Jahren wurde es für Kuhn schwieriger, noch einen der Jobs zu ergattern, die für Niedrigqualifizierte offenstehen: Obwohl er durchaus eine Reihe vor allem handwerklicher Kenntnisse hat, fehlt ihm jeder offizielle Nachweis darüber.
"Ich stelle mir schon oft vor, was alles aus mir hätte werden können", sagt er. "Dann sehe ich die Menschen um mich herum bei ihrer Arbeit und denke mir: Mensch, das könntest du sein!"
Doch auch in immer länger werdenden Perioden der Arbeitslosigkeit verliert er nicht die Hoffnung - und nimmt darum gerne an Qualifizierungsprojekten teil. Derzeit kommt er für 39 Stunden die Woche in die Holzkunstwerkstatt des Bürgerservice. Dort werden Grundkenntnisse in der Holzbearbeitung vermittelt, indem etwa Spielzeug und Dekoratives hergestellt werden.
Schwierige Situation


"Das ist doch besser, als nur zu Hause rumzusitzen. Da würde ich ganz trübsinnig werden", sagt Kuhn. So bewege ich mich und lerne noch was dazu." Seine Hoffnung: "Irgendwann wird sich das auch auszahlen."
Für seine schwierige Lage gibt sich Kuhn selbst die Schuld. Der Gesellschaft macht er keine Vorwürfe - nur die weitverbreiteten Vorurteile gegen Langzeitarbeitslose machen ihn traurig: Dass sie einfach nur zu faul wären oder alle trinken. "Dabei konnte ich Alkohol noch nie etwas abgewinnen", sagt er.
Langzeitarbeitlose seien häufig dem Generalverdacht ausgesetzt, an ihrer Situation nichts ändern zu wollen: Das haben das Bistum Trier und die rheinische Kirche kürzlich während einer gemeinsamen Tagung festgestellt: "Diese Stigmatisierung ist auf Dauer zermürbend: Das Gefühl der totalen Perspektivlosigkeit stellt sich ein", heißt es in einer gemeinsamen Erklärung.
Die fordert unter dem Titel "Umdenken, Umsteuern, Umfinanzieren!" von Politik und Gesellschaft, "die Situation der Betroffenen differenziert zu betrachten und sich auf die Komplexität der Ursachen und Folgen von Langzeitarbeitslosigkeit einzulassen".Extra

Das Programm beim Aktionstag: "Außer der Aktion Arbeit selbst und dem Diözesancaritasverband wirken 14 arbeitsmarktpolitische Träger mit mehr als 120 Personen an unserem Aktionstag mit", freut sich Andrea Steyven, Geschäftsführerin der Aktion Arbeit im Bistum Trier. 11 Uhr: Musik der CarMen Allstars 11.30 Uhr: Eröffnung durch Domvikar Hans Günther Ullrich, Beauftragter für die Aktion Arbeit 12 Uhr: Einführung in die Ausstellung "Stell mich an, nicht AUS!" 13 Uhr: Rundgang durch die Trägerlandschaft mit Aktionen, Kaffee und Kuchen; 15 Uhr: Freischaltung der Internetseite zur Unterstützung des Aufrufs "Umdenken - Umsteuern - Umfinanzieren!" 17 Uhr: Schlusswort fgg

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