Abend für Abend läutet die Lumpenglocke

Trier · Schlag zehn tönt sie jeden Abend liebevoll mahnend und erinnernd von St. Gangolf aus über den Trierer Hauptmarkt: die Trierer Lumpenglocke. Sie gehört zu den ältesten Glocken der Stadt und hat in 535 Jahren wohl schon so manche weinselig krakeelende Zecher, sogenannte "Lumpen", durch die Gassen nach Hause begleitet.

 Trierer Wahrzeichen am Hauptmarkt: der 62 Meter hohe Gangolfturm. TV-Foto: Sandra Blass-Naisar

Trierer Wahrzeichen am Hauptmarkt: der 62 Meter hohe Gangolfturm. TV-Foto: Sandra Blass-Naisar

Das Geläut der Lumpenglocke verkündete zu mittelalterlicher Zeit das Schließen der Stadttore, die Sperrstunde. Allzu sesshafte Zecher, die "Lumpen", sollten zu später Stunde aus den Wirtshäusern getrieben werden. Von diesem durchaus bürgerlichen Dienst berichten alte Polizeiverordnungen der Stadt Trier aus den Jahren 1460 und 1463. Damals schlug eine noch ältere Glocke den Zechern die Stunde, denn die Lumpenglocke, wie der Volksmund die Gangolfglocke seit alters her liebevoll nennt, wurde erst 1475 von Meister Nicolaus von Enem gegossen.

Noch heute, erzählt der Domkapitular und Pfarrer von Liebfrauen, Hans Wilhelm Ehlen, zahle die Stadt Trier der Kirchengemeinde jährlich für das Läuten Abend für Abend punkt 22 Uhr 15,50 Euro.

Das Bildnis des Kirchenpatrons St. Gangolf ziert die Glocke hoch oben im Turm und erinnert an die traurige Geschichte des fränkischen Edelmanns vor 1000 Jahren. Obwohl er seiner Frau einen Ehebruch verziehen hatte, um sie zurückzugewinnen, wurde der reiche Gangolf vom bösen Weib samt Liebhaber aus Habgier am 11. Mai 763 gemeuchelt. St. Gangolf wird bis in unsere Tage als Patron der ehelichen Treue verehrt.

Die lateinische Glockeninschrift bedeutet übersetzt: "Meister Nicolaus von Enem machte mich. Ich lobe den wahren Gott. Den Satan schlage ich in die Flucht, den Klerus rufe ich zusammen, durch Gottes Gnade möge Gangulfus alles Schädliche abweisen. Im Jahr des Herrn 1475."

Glocken schmelzen bei Bombardierung 1944



Von den einst sechs alten Glocken der Marktkirche sind die Lumpenglocke und der Zündel, die Feuermeldeglocke, original erhalten. Die anderen vier wurden zum Teil umgegossen, im Krieg zerstört oder für die Waffenproduktion im Ersten und Zweiten Weltkrieg eingeschmolzen.

Heinz Brubach, bis 2000 Pastor der Stadtpfarrkirche, berichtet in seinem Aufsatz über "Die Glocken von St. Gangolf" (erschienen im "Neuen Trierischen Jahrbuch 1996" und in "500 Jahre Kirchturm St. Gangolf in Trier", herausgegeben von Hans Wilhelm Ehlen) vom Kampf um den Erhalt der historischen Glocken, der im Pfarrarchiv nachhaltig dokumentiert ist.

Nur weil sie in die Kategorie "D", historisch wertvoll und unbedingt zu erhalten, eingestuft wurden, blieben Lumpenglocke, Zündel, das Christenlehrglöckchen (genannt "Bärbelchen") und das Messglöckchen (genannt "Katharinenglocke") im Juli 1942 vom Schicksal des Einschmelzens verschont.

Die verheerende Bombardierung Triers am 23. Dezember 1944 ließ allerdings den Dachstuhl der Gangolfkirche völlig ausbrennen. Im Feuer des Bombenhagels schmolzen das Christenlehrglöckchen von 1641 und das Messglöckchen von 1653, das man an den Dom ausgeliehen hatte, dessen Dach wie das von Gangolf lichterloh brannte.

1995 erhielt die Lumpenglocke vertraute Gesellschaft: Die Innenstadtpfarrei Liebfrauen, zu der Gangolf seit zehn Jahren gehört, ließ vier neue Glocken gießen. Sie rufen in Erinnerung an die verloren gegangenen alten Stücke zu Gottesdienst und Gebet. Ganz so, wie es die goldglänzende Inschrift am 62 Meter hohen Turm verkündet: "Vigilate et orate - Wachet und betet".

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