Volksfreund-Serie Auf das Leben! Zu Besuch beim Weinstand auf dem Trierer Hauptmarkt

Trier · Der Weinstand auf dem Trierer Hauptmarkt lockt sie alle an: Rentner und Studenten, Einheimische und Touristen, Besserverdiener und Menschen, die drei Jobs brauchen, um über die Runden zu kommen. Der TV hat sich für einen Tag dazugesellt. Und festgestellt, dass im Wein tatsächlich Wahrheit liegt.

Weinstand Hauptmarkt Trier: Reportage vom Besuch am Stand
Foto: Friedemann Vetter

Wir befinden uns am Weinstand im Herzen Triers. In ganz Trier ist es kurz nach 10. In ganz Trier? Nein! Nur auf dem Hauptmarkt ist es 9.53 Uhr, weil es die Uhr an der Kirche St. Gangolf so will. Der zickige Zeitmesser wird an diesem Tag noch für jede Menge Gesprächsstoff sorgen.


Müßiggang liegt in der Luft, und das sei auch erlaubt, jetzt, wo sich der Betrieb noch in Grenzen hält. Hier noch mal kurz abwischen, da ein bisschen umräumen. Und über die Wettervorhersage freuen, die endlich Sonne satt - und damit auch ein gutes Geschäft - verspricht.

Weinstand Hauptmarkt Trier: Reportage vom Besuch am Stand
Foto: Friedemann Vetter


Die ersten Gäste trudeln ein, einige absichtlich, weil sie jeden Morgen da sind. Andere zufällig, weil sie Erledigungen in der Stadt machen müssen oder Norbert Kiebel kennen, dessen Sohn Markus das Weingut in Mehring mit seiner Frau Alexandra 2011 übernommen hat. Deren Vater, Weinkommissionär Hermann Rosch, schenkt mit Kiebel zusammen aus. Die beiden sind guter Dinge, "aber das sind wir auch bei schlechtem Wetter, so wie gestern. Ständen wir hier mit missmutiger Miene, würden wir nichts verkaufen. Ganz einfach." Und weil die Arbeit, jede Arbeit, gut gelaunt mehr Spaß macht, gibt's mit jedem Kunden ein kleines Schwätzchen und für die sonst eher biertrinkende TV-Redakteurin einen Ratschlag: "Vor 10 Uhr keinen Wein, nach 10 Uhr kein Wasser!" Tja. Sagen Sie das mal der Uhr am Gangolf, die nach wie vor auf 9.53 Uhr beharrt…

Nebenan diskutiert der Marktstandverkäufer mit einem Mann über die Qualität des Spargels. Die Blumenfrau knipst sehr bedächtig die Enden der Stängel ab. Französische Schüler wuseln aufgeregt zwischen mit Tüten bepackten Menschen umher. Fast ist es, als schirme der Weinstand all die Geräusche, den Stress, die geschäftige Hektik ab. Eine Ruheoase mitten auf dem belebtesten Platz der Stadt.


Inzwischen ist der Weinstand fest in der Hand der Stammkundschaft. Die kennt sich, aber nicht jeder mag jeden, wie manch einer unverhohlen zugibt. Anders bei Hans und Maria, auch wenn Maria für Hans* Geschmack ein bisschen zu viel über Krankheiten redet und Hans für Marias Geschmack ein bisschen mehr zuhören könnte. Dann lachen beide, und Hans drückt Maria ein Glas Rosé in die Hand. "Trocken", sagt sie, was anderes komme ihr nicht ins Glas, "als Diabetikerin". Gut, dass Hans das nicht gehört hat.

Für die 80-Jährige bedeutet diese Zeit am Weinstand ein Stück Glück. Sie weiß, wie flüchtig das bisweilen sein kann. "Ich hatte nicht immer ein schönes Leben. Mit 38 wurde ich Witwe, stand alleine mit vier Kindern da." Eines von ihnen ist mittlerweile ebenfalls gestorben. Trotzdem versprüht sie an diesem Morgen Lebensfreude - samt dem nächsten Ratschlag in Sachen Wein: "Ein Gläschen Wein, das trinke täglich, dann bleibst du jung und auch beweglich. Das sieht man doch an mir!", sagt sie. Und dann: "Ich hatte keine Zeit, alt zu werden."


Das Alter. Darüber sinniert Hans Bousonville aus Wellen öfter mal, vor allem, wenn er morgens die Todesanzeigen im TV durchblättert. "Da sind immer mehr dabei, die jünger sind als ich. Das macht nachdenklich." Aber auch dankbar. So freue er sich auf seinen 70. Geburtstag im nächsten Jahr. Auch die goldene Hochzeit 2021 sei ein großes Ziel. Und jetzt, liebe Frau Bousonville, bitte genau lesen: "Ich habe das Glück, dass dieselbe Frau immer noch da ist."

Apropos Frau. Ob sie sich denn überhaupt noch etwas zu sagen haben, wenn sie sich Vormittag für Vormittag am Weinstand treffen, will der TV von einer vierköpfigen Stammgast-Gruppe wissen. "Klar haben wir das! Ich bin seit 30 Jahren verheiratet. Muss ich mehr sagen?", fragt einer von ihnen augenzwinkernd. In der Weinstand-Clique wird über dies und das geredet und gerne auch über Wein gefachsimpelt. Nicht jeder Winzer kommt gut an, die vier Herren würden sich eine strengere Auswahl der Betriebe wünschen. "Zum Teil ist das keine Werbung für Trier."

Doch weder Winzer noch Wetter können sie davon abhalten, sich am Weinstand zu treffen, "da sind wir eisern, auch wenn's kalt ist". Einen Verbesserungsvorschlag sendet Günter Grünewald aber doch in Richtung Trier Tourismus und Marketing GmbH (TTM): "Es wäre gut, wenn sich eine Seite des Standes abdecken ließe, denn hier zieht's manchmal sehr."
Ein kurzer Blick auf die Uhr besagt - nichts Brauchbares. 9.53 Uhr. Die Herren nehmen's mit Humor: "Da können wir zu Hause sagen, dass wir nur deshalb jetzt erst zurückgekommen sind, weil wir nicht wussten, wie spät es wirklich ist." Doch der Magen irrt sich nicht: Zeit für die Mittagspause.

Weinstand Hauptmarkt Trier: Reportage vom Besuch am Stand
Foto: Friedemann Vetter


Der Nachmittag - oder wie es auf dem Hauptmarkt heißt: 9.53 Uhr - zieht neues Publikum an. Touristen, Pärchen, kleinere Gruppen. Und liefert den Beweis, dass Wein nicht nur jung und beweglich hält, sondern manchmal sogar Völker verbindet und Vorurteile abbaut.

Als Belgier hat Danny van den Bosch von seinem Großvater, der im Zweiten Weltkrieg kämpfte, viel über die Deutschen gehört. Meist Schlechtes. Bis ihn Francine de Witte, deren Vater Deutscher ist, überredete, das Nachbarland zu besuchen. Aus Skepsis wurde Liebe auf den ersten Schluck: "Der deutsche Wein und Sekt, das deutsche Essen - es ist fantastisch. So etwas haben wir in Belgien nicht." Dort gebe es zwar gutes Bier, aber eben keinen Wein. "Trier ist toll, die Menschen sind sehr nett. Besonders er hier", sagt van den Bosch und zeigt auf Norbert Kiebel, der mit seiner lustigen und gemütlichen Art super bei seinen Kunden ankommt. Eines aber hat er den ganzen Tag über verschwiegen. "Ich habe meinen Vater eben abgelöst", erzählt Markus Kiebel am Abend. "Er hat ja schließlich heute Geburtstag." Ach so? Dann eben auf diesem Weg nachträglich alles Gute zum 57.!


Die Dämmerung bringt noch einmal ganz neue und ganz schön viele Gäste. Studenten, größere Gruppen und Menschen wie Frank Witzmann. Als Trierer kann er gleich mal mit einem Vorurteil über seinesgleichen aufräumen: dass es als Fremder schier unmöglich ist, mit einem Trierer ins Gespräch zu kommen. "Hier am Weinstand findet sich immer jemand, mit dem man plaudern kann - mal Small Talk, mal über interessante Dinge." Überhaupt habe sich der Stand zu einem Insidertreff entwickelt. Schon schalten sich zwei Männer von links ein - übrigens Trierer, übrigens von sich aus. Das Thema, das die beiden umtreibt? "Gestern hat die Uhr da oben am Gangolf verrückt gespielt, hat sich ständig gedreht. Wir hatten gerade mal einen Sekt getrunken, da waren plötzlich drei Stunden vergangen." So ist das eben in netter Gesellschaft und einem Glas Wein oder Sekt in der Hand: Die Zeit vergeht wie im Flug. "Aaaah, die Lumpenglocke", rufen gleich mehrere Gäste, als es 22 Uhr schlägt. Die gute Nachricht: Die Uhr an St. Gangolf funktioniert wieder. Die schlechte: Es ist Zeit zu gehen.

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