Jubiläum Einer für alle, alle für einen: Auf den Spuren von Friedrich Wilhelm Raiffeisen

Trier/Hamm/Flammersfeld · Auf den Spuren Friedrich Wilhelm Raiffeisens, der wie Karl Marx vor 200 Jahren geboren wurde – und in dessen Schatten steht.

Als Marx und Engel das „Kapital“ schrieben, gründete Raiffeisen den „Brodverein“, Daran erinnert dieses 1997 eingeweihte Denkmal in Weyerbusch.

Als Marx und Engel das „Kapital“ schrieben, gründete Raiffeisen den „Brodverein“, Daran erinnert dieses 1997 eingeweihte Denkmal in Weyerbusch.

Foto: Roland Morgen

Konz, Saarburg, Bitburg, Wittlich, Hermeskeil, Morbach und auch Trier – kaum eine größere Gemeinde oder Stadt in der Region ohne Raiffeisenstraße. Bei der Frage, wer oder was Raiffeisen war, erntet man in  Trier eher Schulterzucken. Auf dem Land hingegen gehört die Antwort zum Basiswissen auch von Schulkindern. Der Raiffeisen, der hat den Bauern und Winzern geholfen.

Dumm nur, dass er anno 1818 geboren wurde, denn just in jenem Jahr erblickte auch ein gewisser Karl Marx das Licht der Welt. Deshalb, so mutmaßen viele Menschen außerhalb Triers, steht Raiffeisens 200. komplett im Schatten von Marx, obwohl er doch auch ein großer Weltveränderer war. Und dazu einer, in dessen Namen kein Blut floss und nicht ganze Nationen unterjocht wurden.

Im Westerwald, wo Raiffeisen herstammt und wirkte, hält sich die Begeisterung über den linksrheinischen Marx-Hype in Grenzen. Dass der Geburtstag ihres großen Landsmann (30. März) im Vergleich zu Marxens 5. Mai ziemlich unterging, liege aber wohl auch an der Westerwälder Mentallität: „Wir sind von jeher bescheidene Menschen“, sagt ein führendes Mitglied eines der zahlreichen Vereine, die sich dem Andenken Raiffeisens widmen. Er möchte anonym bleiben, weil er noch Lästerliches hinzufügt, das ihn „nachhaltig unbebliebt machen“ könnte: „Wir wissen ja noch nicht einmal, welches das Geburtshaus ist.“ Zwei schöne Fachwerkgebäude stehen zur Auswahl: das heutige Raiffeisenmuseum (das sinnigerweise ausgerechnet im Jubeljahr wegen Umbaus bis September geschlossen ist), und die Alte Vogtei, die heute ein Romantik-Hotel beherbergt.

Für die Gemeinde Hamm/Sieg ist der Geburtshaus-Streit offiziell kein Thema mehr: „Wir haben uns darauf geeinigt, dass wir der Geburtsort sind.“ Davon künden auch große Schilder mit Raiffeisen-Konterfei an den Ortseingängen. Falls doch kritische Nachfragen kommen, gibt es eine wahrhaft salomonische Deutung: „Das hat Raiffeisen mit Shakespeare gemeinsam. Der hat ja auch zwei Geburtshäuser.“

Wesentlich mehr Gemeinsamkeiten hat der Hammer mit Karl Marx: Beide 200, Sozialreformer, Aushängeschilder, mit denen Rheinland-Pfalz weltweit punkten kann. Möglicherweise sind sich beide in jungen Jahren sogar mal über den Weg gelaufen. Wenn, dann 1835/36 in Bonn, wo Marx nach dem Abi studiert und Raiffeisen, der in Köln beim Militär ist, sich oft mit Freunden trifft. Wegen eines Augenleidens scheidet Raiffeisen 1843 aus dem Militärdienst aus, wird Bürgermeister in Weyerbusch – und erlebt hautnah das bittere Elend der Landbewohner. Und reagiert. Er entwickelt Modelle bäuerlicher Selbsthilfe wie den „Brod-“ und Darlehensverein.

Während Marx und Engels 1848 das Kommunistische Manifest veröffentlichen, sucht und findet  Raiffeisen weitere praktische Lösungen, die den Menschen unmittelbar helfen.  Er gründet den „Flammersfelder Hülfsverein zur Unterstützung unbemittelter Landwirte“, eine Keimzelle der weltumspannenden Genossenschaften, die seinen Namen tragen. Weltweit sind heute rund eine Milliarde Menschen in Genossenschaften zusammengeschlossen. Alleine in Deutschland sind es etwa 22,6 Millionen Menschen in nahezu 8000 Genossenschaften. Die dahinter stehende Idee, für die der Gründervater mit treffenden Slogans wie „Einer für alle, alle für einen“ und „Was einer nicht schafft, das schaffen viele“ warb, gehört seit 2016 zum Immateriellen Unseco-Weltkulturerbe.

Raiffeisen – ein frommer, unermüdlicher und charismatischer Netzwerker, der seine guten Beziehungen im Interesse der Allgemeinheit nutzt und Wucherern und Ausbeutern erfolgreich die Stirn bietet.

Eine weitere epochale Tat ist der von ihm initiierte und organisierte Ausbau der Straße von Weyerbusch und Flammersfeld nach Rengsdorf und Neuwied, bis dahin nicht mehr als ein unwegsamer Feldweg. Als sie endlich umfassend auf Vordermann gebracht worden ist, können die Westerwelder ihre Waren ihre Erzeugnisse unabhängig von Wetter und Jahreszeit zum Rhein bringen, was ihnen neue Absatzchancen eröffnet.

Josef Zolk (68), als früherer Bürgermeister von Flammersfeld quasi Amtskollege und „sowie großer Raiffeisen-Fan“, ist bestens auf den Vergleich mit Marx vorbereitet: „,Raiffeisen schrieb nicht das Kapital. Er nahm es in die Pflicht.“

Und ihre berühmte Galionsfigur erweise sich auch 130 Jahre nach seinem Tod „als Segen für die Westerwälder“. So profitiere die Region gerade 2018 vom Gedenktourismus. Auffallend: „Viele Österreicher und Japaner kommen zu uns. Bei ihnen sind Genossenschaten ein ganz großes Thema.“

In Deutschland auch. Alleine hier gibt es 1424 Raiffeisen-Straßen. Straßen und Plätze, die nach Karl Max benannt sind, lassen sich an drei Händen abzählen.

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Ein Mann der Tat – und mit Weitsicht: Lebensgroße Figur  Friedrich Wilhem Raiffeisens (1818-1888)  in seinem Flammersfelder Wohn- und Amtshaus, das heute Museum ist.

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Foto: Rooland Morgen/Roland Morgen
 1424 Raiffeisen-Straßen (hier die in Hamm/Sieg) gibt es alleine in Deutschland.

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Foto: Roland Morgen
Prominente Trierer zu Besuch: Neben Bundespräsident  Frank-Walter Steinmeier und seiner Gattin Elke Büdenbender haben sich Ministerpräsidenten Malu Dreyer und ihr Mann, Triers früherer OB Klaus Jensen, ins Gästebuch des Raiffeisenhauses Flammersfeld eingetragen.

Prominente Trierer zu Besuch: Neben Bundespräsident  Frank-Walter Steinmeier und seiner Gattin Elke Büdenbender haben sich Ministerpräsidenten Malu Dreyer und ihr Mann, Triers früherer OB Klaus Jensen, ins Gästebuch des Raiffeisenhauses Flammersfeld eingetragen.

Foto: Roland Morgen
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