„Die Kirche greift in Grundrechte ein“

Trier. · Der Trierer Stadtrat fordert volle Arbeitnehmerrechte für alle Beschäftigten kirchlicher Einrichtungen. Der Beschluss berührt auch zwei Jahre nach den Änderungen der Bischofskonferenz 2015 ein hochsensibles und emotionales Thema.


Wer sich scheiden lässt und dann wieder heiratet, muss um seinen Job fürchten - wenn er für die katholische Kirche arbeitet. Das war über Jahrzehnte hinweg die Realität der Arbeitnehmer in kirchlichen Einrichtungen, bis die Bischofskonferenz das Arbeitsrecht 2015 geändert und gelockert hat. Seitdem sollen Scheidung und Neuheirat oder auch die eingetragene Lebenspartnerschaft "nur noch in Ausnahmefällen" Gründe sein, Mitarbeitern in katholischen Krankenhäusern, Kindergärten oder Schulen zu kündigen.

Wann ist ein Fall ein Ausnahmefall? Die Antwort der Bischöfe: wenn ein "erhebliches Ärgernis in der Dienstgemeinschaft" vorliegt oder die "Glaubwürdigkeit der Kirche beeinträchtigt" sei.

Der Stadtrat ist damit nicht zufrieden. Basierend auf einem Antrag der SPD und einer Ergänzung der Grünen beschließt die Mehrheit am Donnerstagabend mit 30 gegen 22 Stimmen eine Offensive zur Schaffung gleicher Arbeitnehmerrechte in staatlichen und kirchlichen Einrichtungen.

Detlef Schieben (SPD) erläutert den Antrag seiner Fraktion. "Das kirchliche Arbeitsrecht weicht stark ab vom staatlichen Recht." Das Betriebsverfassungsgesetz gelte gar nicht, das allgemeine Gleichbehandlungsgesetz nur bedingt "Diese Sonderrechte haben für die davon betroffenen Beschäftigten teilweise gravierende Folgen."

Schieben nennt konkrete Beispiele: Das Streikrecht sei den Mitarbeitern weitestgehend untersagt, ein Austritt aus der Kirche führe in der Regel zur Kündigung.

Dieses Recht der Kirchen gelte auch dann, wenn die kirchlichen Einrichtungen von staatlichen Stellen finanziert werden. Schieben präsentiert den zentralen Punkt des Antrags: "In Sozialeinrichtungen, die weitgehend aus öffentlichen Mitteln finanziert werden, müssen die Grundrechte, insbesondere Religions- und Weltanschauungsfreiheit, gewährleistet sein."

Barbara Engel-Ries (CDU) fordert vergebens die Verweisung des Antrags in den Steuerungsausschuss und kritisiert den Antrag der SPD als "populistisch". Reiner Marz (Die Grünen) erklärt: "Die Kirche greift hier in Grundrechte ein." Theresia Görgen (Linke) spricht sogar von einer "Verachtung der Grundrechte".

Michael Frisch (AfD) fordert: "Wo Kirche draufsteht, muss auch Kirche drin sein." Sofort kontert Tobias Schneider (FDP): "Wo Kirche draufsteht, ist sehr oft das Geld von Steuerzahlern drin, die keine Bindung zur Kirche haben." Professor Hermann Kleber (UBT) vergleicht den Antrag der SPD mit dem Bluff eines Pokerspielers, "der schlechte Karten hat und seinen Mitspieler zwingen will, dessen Trümpfe preiszugeben".

Was wird jetzt geschehen? Der Beschluss des Stadtrats verpflichtet die Verwaltung, "mit den von der Stadt finanzierten kirchlichen Einrichtungen in 2017 Gespräche zu führen, die zum Ziel haben, die Situation für die Arbeitnehmer in der Praxis zu erörtern". In künftigen Verträgen mit externen Trägern sollen "Vereinbarungen bezüglich der arbeitsrechtlichen Regelungen der Beschäftigten" getroffen werden. Der Zusatzantrag der Grünen verpflichtet die Verwaltung, "den Zugang zu weltanschaulich neutralen Einrichtungen für alle Kinder entsprechend dem Bedarf zu ermöglichen".

Was sagt das Bistum? Die stellvertretende Pressesprecherin Judith Rupp wird vom TV über den Ratsbeschluss informiert. Sie sagt in einer ersten Reaktion: "Wir nehmen den Stadtratsbeschluss zur Kenntnis und stehen selbstverständlich für Gespräche zur Verfügung. Grundsätzlich ist unser Eindruck, dass die öffentliche Wahrnehmung der Arbeitnehmerrechte in kirchlichen Einrichtungen nicht immer der Realität entspricht. Die Rechte sind gewährleistet aufgrund des Prinzips der Dienstgemeinschaft."Kommentar

Wichtige Diskussion bekommt wieder Feuer

Von Jörg Pistorius

Kirchliche Mitarbeiter müssen nicht mehr automatisch um ihre Jobs fürchten, wenn sie nach einer Scheidung wieder heiraten oder eine homosexuelle Lebensgemeinschaft starten. Eine klare Verbesserung zum vorher geltenden tiefen Eingriff der katholischen Kirche ins Privatleben ihrer Beschäftigten. Bevor jedoch der Applaus für diesen Schritt zu laut wird: Die Änderung des Kirchenrechts 2015 war überfällig und beruht mit Sicherheit auch auf der Einsicht, dass die Zahl der Mitarbeiter ebenso schnell sinkt wie die der Mitglieder, wenn die katholischen Leitbilder von Sex, Ehe und Moral weiterhin so streng durchgepeitscht werden wie bisher.

Die Lage hat sich also verbessert, aber von einer Gleichberechtigung kirchlicher und staatlicher oder gar privatwirtschaftlicher Arbeitnehmer kann natürlich immer noch keine Rede sein. Das wird auch der Stadtrat Trier nicht ändern. Doch sein Beschluss gibt einer seit 2015 verflachten Debatte wieder Feuer. Das ist gut.

j.pistorius@volksfreund.de

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