Gesellschaft Dieser Jurist aus Trier will mit 100 Jahren nur noch halbtags arbeiten

Trier · Rudolf Zimmer ist 95 Jahre alt und seit mehr als 60 Jahren Anwalt in Trier. An Letzterem soll sich so schnell nichts ändern. Eine Begegnung.

 Die Arbeit ist sein Leben: Schon morgens um fünf Uhr sitzt Rudolf Zimmer an seinem Schreibtisch. Auf dem Bild ist er „erst“ 93 Jahr alt.

Die Arbeit ist sein Leben: Schon morgens um fünf Uhr sitzt Rudolf Zimmer an seinem Schreibtisch. Auf dem Bild ist er „erst“ 93 Jahr alt.

Foto: Lisanne Dornoff

Wenn der 60. Geburtstag naht, steigt bei vielen die Vorfreude auf den Ruhestand. Nicht so bei Rudolf Zimmer. Der 95-Jährige arbeitet seit mehr als 60 Jahren als Anwalt. Ein Zeitraum, der bei vielen Menschen die gesamte Lebensspanne umfasst. Doch bei Zimmer, so scheint es, gibt es nur einen geringen Unterschied zwischen Leben und Arbeit. Arbeit bedeutet für ihn Leben.


Um fünf Uhr morgens sitze er bereits im Büro, erzählt er. Feierabend mache er gegen 16 Uhr. Dazwischen: kaum Urlaub, nur kurze Pausen. „Ich habe Spaß an meinem Beruf!“, begründet Zimmer mit wachem Blick seine lange Berufstätigkeit. Bereits vor zwölf Jahren erschien im Wochenendjournal des Trierischen Volksfreunds ein Bericht über den damals noch 82-Jährigen, überschrieben mit Zimmers Motto: Streiten hält jung. Das, bemerkt Zimmer, beziehe sich auf das Gericht, nicht auf den Alltag: „Ich bin nicht streitsüchtig, aber ich bin durchsetzungsfähig.“

Er erzählt von der Verteidigung eines Gewerbetreibenden, dem eine fünfeinhalbjährige Haftstrafe drohte. „Wenn ich das Gefühl habe, dass jemandem Unrecht geschieht, dann habe ich mich zu wehren.“ Der Kampf vor Gericht habe sich über zwölf Jahre hingezogen und mit dem Freispruch des Mandanten geendet. Für Rudolf Zimmer ein großes Erfolgserlebnis. „Ohne Streit wäre das nicht möglich gewesen.“

Wenn Zimmer von seinem Beruf redet, merkt man schnell: Hier erzählt niemand von alten Tagen, vergangenen Zeiten. Zimmer muss keine Erinnerungen hervorkramen. „Meine berufliche Erfahrung lebt dadurch, dass ich noch arbeite.“ Trotz seiner 95 Jahre steht Zimmer noch immer voll im Berufsleben. Er wirkt zwanzig Jahre jünger, redet flüssig, antwortet wendig, humorvoll und intelligent.

Seine Kanzlei ist ein Ein-Mann-Betrieb. „Ich brauche ja keine Kollegen, wenn ich alleine klarkomme.“ 1923 in Konz geboren, zog er mit zwei Jahren „in die Metropole Trier“. Zehn Jahre verlor er durch Dienste während des Zweiten Weltkriegs, danach hatte er nur noch ein Ziel vor Augen: Jurist zu werden.

Rudolf Zimmer lebt für seinen Beruf. Das bedeutet jedoch nicht, dass er außerhalb seiner Arbeit keine Beschäftigung findet. Er begeistert sich für die Musik. 260 Liedtexte habe er für seinen in diesem Jahr verstorbenen Freund, den belgischen Musiker Johan Stollz, geschrieben, erzählt der Jurist. „Er hat irgendetwas improvisiert, und ich habe mir vorgestellt, was man daraus machen kann.“ Das Duo trat gemeinsam auf – unter anderem in Trier, in der damaligen Bar Natascha am Stockplatz. Seine Freizeit verbringt er auch gerne damit, in seinem Anwesen an der Obermosel „nach dem Rechten zu schauen und die Wiese zu säubern“. Er lacht. Außerdem ist Zimmer oft bei seiner Familie. Er hat drei Töchter. Sein Enkel ist, ganz der Großvater, ebenfalls Anwalt in Trier. Den fachlichen Austausch genieße er sehr, sagt der 95-Jährige.

Vor wenigen Jahren ist Rudolf Zimmers Kanzlei aus der Dietrich- in die Schönbornstraße gezogen. „Ich fühle mich überall wohl, wo ich arbeiten kann!“, erzählt er. Ans Aufhören denke er nicht. „Wenn mir das gesundheitlich möglich ist, dann mache ich mindestens noch fünf Jahre voll und dann halbtags weiter.“ Und zum 100. Geburtstag gibt es dann eine große Feier in der Kanzlei? Der 95-Jährige lacht. Bei diesem Mann ist nichts auszuschließen.

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