Kultur Katz-Theater: Das Irrenhaus spielt verrückt

Trier · Ein tiefgründiges Spektakel – das Katz-Theater präsentiert vor begeistertem Publikum Friedrich Dürrenmatts „Die Physiker“ in der Tufa

 Möbius (Andreas Scherf, Zweiter von rechts) verstört die Familie seiner Ex-Frau (von links: Katharina Caspar, Dirk Eberhard, Joshua Greif).

Möbius (Andreas Scherf, Zweiter von rechts) verstört die Familie seiner Ex-Frau (von links: Katharina Caspar, Dirk Eberhard, Joshua Greif).

Foto: TV/Michael Thielen

„Noch jemand ohne Einweisungsschein?“ fragt Regisseurin Tanja Finnemann am Eingang des kleinen Saals der ausverkauften Tufa die Patienten/Besucher des Dürrenmatt-Stückes. Das Publikum wird in das abgedrehte Geschehen eingebunden, das sich später in der Irrenanstalt von Les Cerisier in der Schweiz entfalten wird. Dass mit diesem 1962 entstandenen Schauspiel auch Bezüge zu heute hergestellt werden können, zeigt Finnemann mit ihrem Ensemble vom Katz-Theater bereits zu Beginn der Aufführung: Eine Art Chor aus mas­kierten, anstaltsweiß gekleideten Figuren schreit dem Publikum aktuelle Zitatfetzen von Politikern entgegen: So schwadroniert etwa US-Präsident Trump davon, dass Belgien eine schöne Stadt und die globale Erwärmung eine Erfindung der Chinesen sei. Die Parallelen zu Figuren im Stück sind allzu auffällig.

In der Anstalt, in der im Verlauf des Stückes drei Morde geschehen, befinden sich drei Physiker, die sich für Einstein (köstlich: Thora Kleinert) und Newton (herrlich durchgeknallt: Stephan Moll) halten, sowie Möbius, eindrucksvoll und überzeugend gespielt von Andreas Scherf, dem immer wieder der weise Salomo erscheint. Und da ist auch noch die undurchsichtige, aber offensichtlich irre Anstaltsleiterin von Zahnd (erstklassig: Elke Hennig), die die Weltformel, die Möbius entwickelt hat, an sich gebracht hat und die Weltherrschaft anstrebt.

Dürrenmatt bezeichnet sein Schauspiel als Komödie, denn in einer Zeit ohne Verantwortliche „kommt uns nur noch die Komödie bei“. Die heutige Welt habe zur Groteske geführt.

Finnemann lässt diese zentralen, im Stück angelegten Elemente vom Katz-Ensemble genüsslich und sinnenfreudig ausspielen, zur großen Freude des Publikums, das überschwänglich applaudiert und nach Zugabe ruft. Da wird chargiert, wild gepafft und gehustet oder lasziv gezüngelt. Das Luftpolstersofa knarzt, Alkohol wird herumgereicht, man torkelt und stolpert. Die Fragen, die Kriminalinspektor Voß (vielseitig: Anna Schönwälder-Knauf) den verdächtigen Physikern zur Aufklärung der Morde stellt, werden auf einem Notizblock mit „bla, bla,“ und „blub, blub“ veralbert. Die Zuschauer amüsieren sich köstlich über die völlig verzogenen „Buben“, die Möbius‘ Exfrau bei einem Besuch zusammen mit ihrem neuen Gatten anschleppt und die schauderhaft dissonant Flöte spielen.

Aber es gelingt Finnemann, diesen Slapstick-Elementen und der Situationskomik immer wieder Ernstes und Nachdenkliches entgegenzusetzen, vor allem durch Auftritte des Chors mit kritischen Kommentaren zur aktuellen Lage.

Zwar scheint sich das Publikum noch darüber zu amüsieren, wie Möbius seine unsterblich in ihn verliebte Schwester Monika (spektakulär: Julia Genter) mit einer Lampenschnur umbringt, damit das Geheimnis, das er in der Irrenanstalt bewahren will, nicht entdeckt wird. Aber das Lachen bleibt einem im Halse stecken: Alles war vergebens. Das Geheimnis wurde längst enthüllt und missbraucht. Die Physiker entschließen sich freiwillig dazu, in der Anstalt zu bleiben.

Am Schluss des Stückes weist die Regisseurin mit Filmprojektionen auf den weiß gekleideten Chor darauf hin, dass wir möglicherweise alle in einem Irrenhaus leben: Da fahren Autos in entgegengesetzter Richtung, eine tickende Uhr dreht sich rasend schnell rückwärts in die Vergangenheit, Clowns beherrschen die Welt, Atombomben explodieren.

Das Publikum ist mucksmäuschenstill. Dann lang anhaltender Beifall.

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