Einzelkämpfer gegen den Müll am Straßenrand

Wittlich · Im Frühling zieht es die Menschen in die Natur. Ein Mann sorgt dafür, dass sie etwas sauberer bleibt: Mit einer auffälligen orangefarbenen Jacke, einem Müllbeutel und einer Umhängetasche ausgerüstet - so ist Rainer Schäfer seit einiger Zeit in der Region Trier unterwegs. Er sammelt das ehrenamtlich ein, was andere achtlos in die Natur werfen: Müll. Der TV hat ihn dabei begleitet.

Wittlich. Treffpunkt fürs Müllsammeln mit Rainer Schäfer ist die Hasenmühle, wo er Schach spielt und auch bei Ausbesserungsarbeiten hilft.
Rainer Schäfer ist 44 Jahre alt, gelernter Heizungsbauer, wohnt in einem Campingwagen im Sportzentrum Kröver Berg. Er ist alleinstehend, arbeitsuchend und ein leidenschaftlicher, wenn auch ungewöhnlicher Sammler. Schäfer hebt das auf, was andere wegwerfen: Müll.
Warnweste an, und los geht\'s



Es geht zu einem Parkplatz am Pichterberg (K54). Erste Maßnahme: orangefarbene Weste anziehen, um aufzufallen, wenn man dicht an der Straße entlangläuft und oft nicht viel Platz zwischen Autos und Wegrand ist.
Schon auf dem Parkplatz wird der erste Fund gemacht: ein gutes Kilo Mandarinen - weder faul noch ungenießbar - achtlos dahin geworfen. "Da sieht man, dass es den Leuten noch gut´geht," kommentiert Schäfer kopfschüttelnd.
Weiter geht es bergab Richtung Wittlich. Schon nach 200 Metern ist die 75-Liter-Tüte halbvoll mit Unrat. Pfandflaschen und -dosen kommen in einen separaten Beutel, denn die kann er noch gegen Pfand im Real-Markt abgeben.
Den vorbeifahrenden Autoinsassen fällt der Mann mit dem orange-roten Müllbeutel sofort auf. Staunende Blicke und die Frage: "Was macht der denn da?" ist in ihren Gesichtern zu lesen.
Unbeirrt davon sammelt Schäfer weiter. Kaum zu glauben, was hier alles am Straßenrand liegt und vor allem in welch großer Menge: Fahrzeugteile, eine Videokassette, Verpackungen aller Art, Papiertaschentücher, Dosen, Flaschen und vieles mehr. Das alles hebt der Naturliebhaber mit seiner Greifzange auf. Er sieht alles, selbst den kleinsten Schnipsel im Gras. Noch unglaublicher ist aber, was Rainer Schäfer aus seinen Funden schließt: "Müll verrät mehr über die Psyche, als die Leute glauben." So werden an der K 54 die rechte Straßenseite und die Kurven zur Entsorgung bevorzugt. Die Erklärung: Die Leute kommen vom Einkaufen aus Wittlich und "plündern" schon während der Heimfahrt die ersten Snack- beziehungsweise Fastfoodtüten und in der Kurve fährt man langsamer. Auch hätten die Leute im Frühjahr für größere Einkäufe wieder mehr Geld zur Verfügung als im Januar und Februar. Ab Ende Mai bis Ende September werde es dann wieder sauberer, weil die Menschen für den Urlaub sparen. Diese Schwankungen in der Mülldichte machten sich deutlich bemerkbar.
Wirklich skurrile Funde hat der Sammler noch nicht gemacht, außer einer funktionsfähigen Kamera und einer LED-Leuchte. Aber darum geht es ihm auch nicht. Vielmehr versucht er die Leute zu sensibilisieren, ihr Bewusstsein für die Umwelt zu schärfen. Sie sollen erkennen, dass es ihre Heimat ist, die sie belasten. Denn jeder Unrat verschmutzt die Natur, wird zum Beispiel bei Mäharbeiten geschreddert, geht ins Erdreich und letztendlich ins Grundwasser.
Die vollen Tüten, nach einigen hundert Metern sind es drei Stück, stellt Schäfer gut sichtbar am Straßenrand ab. Hier kommen dann die Streckenkontrollen der Masterstraßenmeisterei Wittlich zum Einsatz: Sie sammeln die Säcke ein und entsorgen sie ordnungsgemäß. Ralf Schmitz, Leiter der Straßenmeisterei, weiß Schäfers Einsatz zu schätzen und sagt: "Durch seine Sammeltätigkeit sind die Straßenränder viel sauberer geworden, und dies wirkt einer weiteren Vermüllung entgegen. Auch können wir die Kosten für die Müllsammlung reduzieren. Ich wünsche mir aber nicht so sehr weitere Freiwillige, die sich ehrenamtlich beim Mülleinsammeln betätigen, sondern vielmehr ein anderes Bewusstsein bei den Verkehrsteilnehmern die ihren Müll wild entsorgen oder während der Fahrt aus dem Fenster werfen."
Oft verbergen sich hinter größeren und illegalen Müllablagerungen auch menschliche Schicksale.
Das weiß Schäfer. Er bringt es dann nicht übers Herz, die Menschen anzuzeigen. Er glaubt, dass sie das aus seelischer Überforderung tun und begründet das so: "Plötzliche Arbeitslosigkeit oder der Verlust eines Partners zwingt manchen aufgrund seiner Finanznot, in eine kleinere Wohnung zu ziehen, wo nicht alles reinpasst. Der Sperrmülltermin ist womöglich längst vorbei und ihr Ausweg ist die Entsorgung im Wald."
Während Schäfer von menschlichen Schicksalen erzählt, findet er wieder eine Pfandflasche und bemerkt: "Die gebe ich ab und kaufe mir davon Mülltüten und Proviant für unterwegs." Aber das Geld ist hierbei nebensächlich. Er ist überzeugt von dem, was er tut und sagt: "Ich mache das aus Liebe zur Natur. Damit kann ich die Welt nicht retten, aber ich kann die Menschen aufwecken, die es könnten."Extra

Der gebürtige Trierer Rainer Schäfer führt Buch und hat seit Februar 2012 mehr als 600 Müllsäcke à 120 Liter und 80 Müllsäcke à 75 Liter gefüllt. Er ist in den Landkreisen Bernkastel-Wittlich, Bitburg-Prüm und Cochem-Zell unterwegs und hat bereits weit mehr als 300 Kilometer zurückgelegt. In einen 75-Liter-Beutel passen etwa 2000 Einzelteile. Pro Stunde schafft er rund drei Kilometer, und pro Strecke springt etwa ein Euro Pfand aus Dosen und Flaschen für ihn raus. Zehn illegale Müllablagerungen hat er bereits beseitigt und aufgeklärt. 63 Autoreifen, 41 Radkappen, fünf Fernseher hat er eingesammelt und entsorgt. ukuExtra

Die Straßenmeisterei Wittlich sammelt im Jahr etwa 70 Tonnen Müll auf den Parkplätzen und entlang der Straßenränder ein. Jährlich im Frühjahr wird das DRK-Sozialwerk in Bernkastel-Kues beauftragt, die am stärksten belasteten Straßen zu entmüllen. Bei der Straßenmeisterei Wittlich sind das 20 Kilometer Bundesstraßen, 50 Kilometer Landesstraßen und zehn Kilometer Kreisstraßen. Der Müll wird beidseits jeweils auf einer Breite von drei Metern eingesammelt und entsorgt, auch die Parkplätze(12000 Quadratmeter) werden grundgereinigt. Fünf bis sechs Mitarbeiter sind hier im Einsatz. uku

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