Großstädterin trifft auf Trierer Idylle: Interview mit Autorin Meike Winnemuth

Trier · Sie hat bei der Quizshow "Wer wird Millionär" 500.000 Euro gewonnen, anschließend eine einjährige Weltreise durch zwölf Städte absolviert und einen Bestseller darüber geschrieben. Nun besucht die Journalistin Meike Winnemuth Trier. Es ist ihre erste Station auf einer einjährigen Tour durch elf deutsche Städte und auf eine Insel.

Trier. Meike Winnemuth sitzt am Esstisch der gemütlichen Wohnung im Trierer Stadtteil Pallien, in der sie derzeit wohnt. Ein Tee steht auf dem Tisch, Foxterrier Fiete strolcht umher. Munter beantwortet die Autorin die Interview-Fragen, die TV-Redakteurin Marion Maier stellt.

Wie kamen Sie unter Hunderten deutscher Städte gerade auf Trier?
Meike Winnemuth: Ich wollte mit der ältesten Stadt anfangen. Es gibt ja einige Städte, die sich um diese Ehre balgen: Worms, Augsburg, Kempten. Welche wirklich die älteste ist, kann man gar nicht mehr recht überprüfen, aber Trier hat sicher das Krönchen auf. Ich hatte mir auf meiner Lesereise Worms angeschaut und war schockiert, wie kriegsversehrt die Stadt ist. Da steht in Wirklichkeit nur noch der Dom, ansonsten ist es eine 60er-Jahre-Hölle. Also habe ich mich für Trier entschieden, weil ich glaube, dass es eine ganz lebendige Stadt ist.

Sie sind zum ersten Mal in Trier?
Meike Winnemuth: Ja, ich war nur einmal bei einer Weinauktion von den tollsten Moselweinen hier. Ich habe keine Ahnung von Trier.

Wie waren die ersten Eindrücke, als Sie im Dunklen angekommen sind?
Meike Winnemuth: Toll. Ich habe ja die Theorie: Eine Stadt, die ich im Dunklen mag, mag ich auch im Hellen. Das Ankommen hier in Pallien, in diesem kleinen Straßendörfchen, hatte sofort was sehr Wohliges, Heimeliges, es hatte eine menschliche Dimension, von der ich dachte: Jo, das könnte schon passen. Allein hier so hoch zu gehen, diese kleinen Steige am Bächlein entlang, das ist unfassbar idyllisch. Und das in Spuckweite zur Innenstadt. Das finde ich irre. In Hamburg ist es halt so: Innenstadt, drum herum die Wohngebiete - und für die Idylle muss man dann erst mal Dutzende von Kilometern fahren.

Mittlerweile haben Sie Ihren Radius schon etwas erweitert: Porta Nigra, Innenstadt, Karl-Marx-Haus, Aom Ecken. Was sagen Sie dazu?
Meike Winnemuth: Aom Ecken wurde mir schon in Hamburg von mehreren Leuten empfohlen, Rosi ist auch dort eine Legende (lacht). Ich habe mich dort mit Dirk Louy verabredet, der die Website flietenfuehrer.de betreibt, also ein ausgesprochener Flietenkenner ist. Und tatsächlich waren die Flügelchen von Rosi - oder besser von Hummel - fantastisch, ebenso die Moselfische, die ich bestellt habe. Toller Laden, tolle Atmosphäre - ich werde mich stoppen müssen, dort nicht jeden Abend hinzugehen.

Sie haben keine Angst, dass es Ihnen nach den großen Städten, die Sie bereist haben, in Trier langweilig wird?
Meike Winnemuth: Nein, überhaupt nicht. Ich glaube, dass hier `ne Menge spannender Leute sind. Das Tolle ist, dass mir durch mein Weblog Leute genau die Art von Aufträgen erteilen, wie ich sie auch schon auf der Weltreise bekommen hatte.

Was sind das für Jobs?
Meike Winnemuth: Eine Frau mailte mich zum Beispiel an und sagte, ihr Großvater Watkin Brauer habe in den 30er Jahren am Theater Trier als Regisseur und Schauspieler gearbeitet. Und durch ihre Mutter hat sie die tollsten Geschichten über ihn gehört, aber sie vermutet, dass dieser Großvater ihrer Mutter eine ganze Reihe Bären aufgebunden hat, weil der auch einige der Münchhausen-Geschichten mehr oder minder zu seinen eigenen deklariert hatte. Und jetzt bat sie mich, herauszufinden, ob es über diesen Watkin Brauer noch Unterlagen im Archiv des Theaters gibt, ob ich irgendwas rausfinden kann. Das ist natürlich total klasse, wenn man sich anhand so einer Figur mit einer bestimmten Zeit beschäftigen kann. Sie erinnerte sich auch noch an das alte jüdische Kaufhaus, das dort gestanden haben muss, wo heute Sinn-Leffers ist, wo dann die fünf Töchter des mittellosen Schauspielers und Regisseurs teilweise für lau eingekleidet wurden. Ein brotloser Künstler und die Kaufleute waren so nett, den kleinen fünf Töchtern Mäntel zu geben. Tolle Geschichte. Sie fragte: Was ist aus dieser Familie geworden?. Und das ist natürlich für mich ein idealer Auftrag, weil ich dadurch mit ganz vielen Leuten reden und schauen kann, ob da irgendwas herauszufinden ist. Ein anderer Auftrag - und ich weiß nicht, ob ich den erfüllen kann, das hängt auch von der Kooperation des Bistums ab: Schau dir bitte den Heiligen Rock an. Ich weiß, dass der unter Verschluss ist, dass das schwierig werden könnte.

Wie haben Sie die anderen Städte ausgesucht, die Sie noch besuchen?
Meike Winnemuth: Ich versuche, mir in jedem Bundesland eine Stadt zu suchen. Die Stadtstaaten fallen ohnehin weg, die sind mir zu groß, aber weil ich zwei Städte in Nordrhein-Westfalen ausgesucht habe - das ist nun mal das bevölkerungsreichste Land - fallen zwei Bundesländer durch den Rost: Sachsen-Anhalt und Saarland. Zwei Sachsen-Anhaltiner haben mich dafür schon wüst beschimpft.

Wie sind Sie auf die Idee gekommen, ein Jahr durch Deutschland zu reisen?
Meike Winnemuth: Das war eine fast logische Fortsetzung der Weltreise.

Sie fangen im Großen an und kommen dann ins Naheliegende?
Meike Winnemuth: Ja, das klingt jetzt wie ein toller Plan, aber das war es natürlich gar nicht. Als ich zurückkam von der Reise, habe ich festgestellt, dass ich die Erde nun ein bisschen kenne, mein eigenes Land aber überhaupt nicht. Ich habe unterwegs oft Fragen nach Deutschland nicht beantworten können und habe mich zutiefst geschämt dafür. Die Deutschen neigen dazu, im Urlaub immer das Weite zu suchen, ins Warme zu fahren und sich die direkte Umgebung gar nicht anzuschauen - das galt auch für mich. Hinzu kam, dass ich in den vergangenen 30 Jahren nur in Großstädten gearbeitet und gewohnt habe: in Hamburg vor allem und in Berlin und München. Alles dazwischen ist mir ziemlich entgangen.

Sie haben nie in einer Kleinstadt gelebt?
Meike Winnemuth: In Göttingen habe ich studiert, und das war's dann auch schon mit der Kleinstädterei. Ich finde blamabel, dass ich so wenig Ahnung habe von diesem Land. Als ich letztes Jahr auf Lesetour unterwegs war mit meinem Weltreisebuch, bin ich durch sehr viele kleine Städte gekommen, von denen ich zuvor noch nie gehört hatte und dachte, das ist ja Wahnsinn, was es da gibt, wie schön das ist, wie abwechslungsreich, wie unterschiedlich. Ich habe mich nicht einkriegen können vor Entzücken, dass man im Schwabenländle allen Ernstes Ade sagt zum Abschied. Ich dachte zunächst, die wollen mich veralbern. Aber nein: Ade - wunderschön! Lauter so banale Dinge, die den Leuten dort total selbstverständlich vorkommen, mir aber fremd sind und geradezu exotisch erscheinen, die hoffe ich, in diesem Jahr kennenzulernen.

Wie sind Sie unterwegs? Mit dem Zug?
Meike Winnemuth: Nein, im Auto. Ich habe durch Fiete einfach zu viel Gepäck. Man reist mit einem Hund wie mit einem Kleinkind. Was der alles braucht! Körbchen, Futter, Spielzeug, Krams… Deshalb mit Auto. Wobei ich das Auto nun für einen Monat stilllege. Ich habe meinen Führerschein gestern abgegeben.

Müssen?
Meike Winnemuth: Müssen, ja, leider. Ich gestehe es zerknirscht: Ich habe bei der Lesetour zu viel Gas gegeben. Blöd gelaufen, völlig zurecht erwischt und völlig zurecht verknackt zu einem Monat Lappen abgeben. Ich habe gehofft, dass das erst im Februar nötig sein würde, weil ich dann ja einen Monat auf einer autofreien Insel verbringe. Aber das Amt Bremen bestand auf sofortige Abgabe, also habe ich ihn gestern hier zur Polizei getragen. Macht nichts: Ich denke, Trier lässt sich gut zu Fuß navigieren oder mit dem Fahrrad.

Wie gehen Sie vor, wenn Sie eine Stadt erkunden?
Meike Winnemuth: Furchtbar unplanmäßig. In den ersten Tagen mache ich überall - sofern das angeboten wird - eine kleine Führung mit, um mich grob zu orientieren. Und der Rest ergibt sich. Da passiert viel über zufällige Begegnungen, aber auch über die Aufträge, die mir Leute erteilen. Oder natürlich das gute alte Freund-eines-Freundes-eines-Freundes-Prinzip: Ich kenn da einen, der wohnt in Trier … Ich verlasse mich sehr auf Empfehlungen und zufällige Begegnungen. Ich freue mich auf alle weiteren Tipps, gerne auch von Ihren Lesern, was ich hier machen soll. Oder ich sehe Dinge, die mich aus irgendeinem Grund interessieren, und folge den Fährten ungefähr so wie ein Hund. Das ist komplett planlos und gerade deshalb für mich so unterhaltsam, weil ich Pläne nicht furchtbar gerne mag.

Aber ein paar Pläne haben Sie doch, oder?
Meike Winnemuth: Ein Weinkommissionär, den ich mal bei einer Geschichte für den Feinschmecker kennengelernt habe, hat mir angeboten, eine kleine Besichtigungstour einiger Güter zu machen - unter anderem auch zu von Othegraven zu fahren, also zum Weingut, das Günther Jauch gehört. Da muss ich natürlich hin - aus verschiedenen Gründen (lacht)!

Wollen Sie Herrn Jauch, der ja auch irgendwie dran beteiligt war, dass Sie auf Weltreise gingen, auch treffen?
Meike Winnemuth: Ich glaube nicht, dass er jetzt um diese Jahreszeit dort sein wird. Der wird gelegentlich mal aufschlagen und huldvoll in Richtung der Fässer grüßen, aber sicherlich nicht jetzt im Januar.

Sie waren auf Weltreise allein unterwegs, nun mit Hund. Wie kam das?
Meike Winnemuth: Schon während der Weltreise dachte ich, dass ich mir endlich meinen Kindertraum vom Hund erfüllen möchte. Wenn ich eins auf der Reise gelernt habe, dann das Now-or-never-Prinzip, also: Warum warten mit den Träumen? Man muss gewisse Dinge einfach irgendwann mal angehen und nicht immer nur auf den Sanktnimmerleinstag verschieben. Er ist auch ein willkommenes Prokrastinationsmittel (Erledigungsblockade): Immer, wenn mir nichts einfällt, denke ich: Der Hund muss dringend mal raus. Mir tut es gut, vier, fünf Mal am Tag mein Hirn auszulüften. Wenn man einen Knoten im Kopf hat, löst sich der meistens beim Spazierengehen. Ich habe den Eindruck, auch wenn ich jetzt zwei Stunden am Tag auf ihn verwende durch unser Spazierengehen, die hol ich locker wieder rauf, die hätte ich sonst beim Surfen am Computer verdaddelt.

Das heißt, Ihre Art, die Umgebung zu erkunden, hat sich auch geändert?
Meike Winnemuth: Ja klar. Das habe ich schon während der Lesereise gemerkt. Ich hätte mich früher wahrscheinlich mit einem Buch ins Hotelzimmer gelegt bis zur Lesung und jetzt gehe ich raus und sehe viel mehr. Ich treffe dadurch auch viel mehr Leute. So ein Hund ist ein unfassbares Kommunikationsmittel.

Das ist wie Kinderwagen - oder fast noch besser.
Meike Winnemuth: Fast noch besser. Er ist natürlich auch ziemlich entzückend. Er ist ja keine reißende Bestie, im Gegenteil. Viele Leute verbinden nostalgische Gefühle mit so einem Foxterrier und sagen: Oh, meine Oma hatte auch mal so einen.

Wie ist sein Name?
Meike Winnemuth: Fiete.

Also ist es ein Weibchen?
Meike Winnemuth: Nein, ein Rüde. Das ist ein Matrosenname. Fiete ist die norddeutsche Koseform Friedrich. Hein und Fiete - das sind so klassische Hamburger Namen.

Ist der Hund auch ein Mittel gegen einsame Momente?
Meike Winnemuth: Ich neige nicht zur Einsamkeit. Ich bin Einzelkind, bin sehr happy alleine aufgewachsen und fand das auch immer die beste Voraussetzung, nach außen zu gehen. Warum sollte ich mich langweilen? Ich habe es toll gefunden, andere Kinder zum Spielen kennenzulernen. Ich war dadurch auch genötigt, rauszugehen. Ich finde das auch ganz in Ordnung, sich wieder zurückzuziehen, gerade wenn man so wie ich ein sehr öffentliches Leben führt. Denn es kommt zu meinem größten Schock tatsächlich vor, dass ich auf der Straße erkannt werde. Ich reise durch diese ganze Geschichte mehr unter Beobachtung. Ich habe durch das Bloggen eine Riesen-Reisegesellschaft hinter mir, und die wächst und wächst. Das ist ein anderes Reisen, vielleicht auch weniger unbefangenes Reisen, als es das auf der Weltreise war.

Und so was wie Heimweh ist Ihnen fremd?
Meike Winnemuth: Total. Ich bin ja hier zu Hause. (Lacht)

Das heißt auch, in den nächsten zwölf Monaten haben Sie nicht vor, mal einen Abstecher nach Hamburg zu machen?
Meike Winnemuth: Nein, es ist nicht geplant. Es kann höchstens sein, dass ich mal im Frühsommer kurz für einen Tag hinfahre, um meine Winter- gegen die Sommergarderobe auszutauschen. Ich habe jetzt natürlich mehr dicke Pullis und Gummistiefel dabei, die ich hoffentlich im Juni nicht brauche.

Als Stückchen zu Hause ist die Teekanne aus Buenos Aires dabei - auch die Ukulele?
Meike Winnemuth: Nein, die ist nicht dabei, die habe ich sehr vernachlässigt. Dabei ist die Wandergurke. Die wird mich aber sofort wieder verlassen. Eie Freundin aus Hamburg hat die geschenkt bekommen. Die hing an deren Weihnachtsbaum und die hat sie mir weitergeschenkt. Die soll ihren eigenen Weg durch die Republik machen. Jeder, der sie hat, soll sich mit ihr fotografieren lassen und dann weitergeben. Am Ende des Jahres kommt sie hoffentlich wieder bei mir an über etliche Stationen. Die bring ich jetzt gleich mal auf den Weg: Die bekommen Sie. Viel Spaß damit!

Was steht als Nächstes auf dem Programm?
Meike Winnemuth: Ich treffe ein paar Leute, unter anderem eine Künstlerin in ihrem Atelier. Ansonsten weiß ich es wirklich noch nicht, das ergibt sich bei mir so von Tag zu Tag. Ich gehe gerne die Wege anderer Leute, ich finde es spannend, was Leute antworten auf die Frage: Was ist typisch für deine Stadt und deine Region, was findest du hier schön, berichtenswert, bemerkenswert, was würdest du mir zeigen? Würde man mich dasselbe zu Hamburg fragen, dann müsste ich erstmal scharf nachdenken. Es ist interessant, was man dann für Antworten findet. Schauen wir mal, was passiert.

Extra

Meike Winnemuth wurde in Schleswig-Holstein geboren und lebt in Hamburg. Sie hat Anglistik und Germanistik studiert und die Hamburger Henri-Nannen-Schule für Journalisten absolviert. Sie hat unter anderem in der Redaktionsleitung von RTL-Die Woche und als stellvertretende Chefredakteurin von Cosmopolitan gearbeitet. Als freie Journalistin schreibt sie derzeit für den Stern und andere Zeitschriften. Ihr Reiselogbuch "Vor mir die Welt" über die weltweite Städtetour war 2012 für den Grimme Online Award nominiert. Ihr aktueller Weblog ist zu finden unter www.zurueckauflos.comExtra

Mit dem Start ihrer Deutschlandtour hat Meike Winnemuth ihre so genannte Wandergurke auf die Reise geschickt. Sie hat die Gurkennachbildung TV-Redakteurin Marion Maier übergeben. Und nun soll das Teil weiter seine eigene Reise antreten. Spielregel: Jeder Kurzzeitbesitzer sollte sich mit der Gurke ablichten lassen und das Foto an Meike Winnemuth schicken mit Angaben zu Person, Ort und Details, wie die Gurke in seine oder ihre Hände gelangt ist. Bei Einverständnis werden Foto und Angaben im Reiseweblog der Autorin ( www.zurueckauflos.com ) veröffentlicht. Der TV verlost die Gurke unter den Lesern, die uns Tipps zumailen, was Meike Winnemuth sich in Trier anschauen oder unternehmen soll. Wer mitmachen möchte, mailt bis Donnerstag, 16. Januar, an echo@volksfreund.de mai

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