Im Alter in die alte Heimat

Deutsche Geschäfte und deutsche Sprache auf den Straßen: Im 18. Jahrhundert haben Deutsche das Bild der zweitgrößten russischen Stadt Sankt Petersburg geprägt. Auch die Vorfahren von Elvira Isaak ließen sich wohl zu dieser Zeit dort nieder. Die heute in Trier lebende gebürtige Petersburgerin erzählt von ihrer lebenslangen engen Verbindung mit Deutschland.

 Elvira Isaak schaut sich gerne alte Fotos aus ihrer Petersburger Zeit an: Sie erinnern die heutige Triererin an ihr bewegtes Leben. TV-Foto: Irina Figut

Elvira Isaak schaut sich gerne alte Fotos aus ihrer Petersburger Zeit an: Sie erinnern die heutige Triererin an ihr bewegtes Leben. TV-Foto: Irina Figut

Trier-Kürenz. (ifi) Eigentlich ist Elvira Isaak Russin. Denn geboren und aufgewachsen ist die muntere 89-Jährige in der russischen Stadt Leningrad, heute Sankt Petersburg. Auch Isaaks Mutter und Großmutter verbrachten ihr ganzes Leben in der Stadt an der Newa. Doch die deutsche Kultur beeinflusste Elvira Isaak von klein auf.

Die Mutter Erna Wladimirowna hieß mit Mädchennamen Eisenberg und sprach mit ihren Eltern Deutsch. Von der Großmutter weiß Elvira, dass ihre Vorfahren einst auf Einladung des russischen Zaren Peter I. nach Petersburg gezogen waren (siehe Extra). "Angeblich stamme ich aus einer Adelsfamilie", sagt sie etwas unsicher. Denn die Verwandten mütterlicherseits trugen den Namenszusatz "von".

Die Deutsche Sprache fast vergessen



Mit sechs Jahren lernte Elvira Isaak Deutsch und besuchte eine deutsche Schule in Sankt-Petersburg. "Ich habe meine deutsche Herkunft nie verborgen", sagt die alte Frau. Ihre deutsche Nationalität habe zwar im Ausweis gestanden, doch niemand habe sich damals daran gestört. "Keiner wusste, dass ich deutsch bin." Mit dem russischen Nachnamen ihres ersten Ehemannes, Malyschewa, fiel sie während des zweiten Weltkrieges nicht auf. "Das hat mir während der Leningrader Blockade geholfen", meint Isaak. Mit Tränen in den Augen erinnert sie sich an den Winter 1941/42, in dem deutsche Truppen den Belagerungsring um die Stadt schlossen. Damals starben ihr Mann und ihre Mutter.

Um die Leute vor dem Hungertod zu retten, wurden sie in entfernte russische Gebiete evakuiert. "Wenn sie gewusst hätten, dass ich deutsch bin, hätten sie mich nie evakuiert", sagt Isaak. So kam sie nach Baschkirien westlich des Uralgebirges und von dort in die russische Stadt Glazov. "Ich hatte damals die deutsche Sprache fast vergessen", berichtet sie. In Glazov lernte sie ihren zweiten Mann, einen Wolgadeutschen, kennen: Barthuli Johannes. Mit ihm bekam sie drei Kinder: Valentina, Vitaly und Alexander. Die Familie zog nach Kasachstan.

Nach dem Tod ihres zweiten Mannes heiratete die gebürtige Sankt Petersburgerin Walther Isaak. Als nach dem Fall des Eisernen Vorhangs die Auswanderung möglich wurde, rückte ein Lebenstraum in greifbare Nähe: "Ich wollte schon immer nach Deutschland", sagt sie. Die Familie stellte einen Antrag, er wurde genehmigt. 1989 reiste Elvira Isaak mit Mann und Kindern in die Bundesrepublik, die Heimat ihrer Vorfahren - zum ersten Mal und für immer. Nach einer ersten Station in Norddeutschland kamen die Isaaks in die Region, verliebten sich in Trier und zogen schließlich in die Stadt. Sie habe ihren Schritt nie bereut, sagt Elvira Isaak. Mit ihrer bewegten Vergangenheit weiß die alte Frau zu leben. "Ich lasse den Kopf nie hängen."

Extra Petersburger Deutsche: In Sankt Petersburg machten Deutsche bis zur Oktoberrevolution 1918 fast die Hälfte aller ansässigen Ausländer aus. Sie waren in allen Bevölkerungsschichten vertreten: von Kleinbürgern bis zur Zarenfamilie. Deutsche ließen sich in unterschiedlichen Bezirken der Stadt nieder, und dort entstanden die "Slobodas" - deutsche Vorstädte. Die erste Welle von deutschen Einwanderern kam im 18. Jahrhundert mit der Gründung der Stadt. Der russische Zar Peter I. lud Architekten, Gelehrte, Künstler und Händler an die Newa ein. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts lebten in Petersburg 50 000 Deutsche. (ifi)

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