Mit offenen Augen durch die Liebfrauenkirche

Trier · Die gotische Liebfrauenkirche hat sehr viel zu zeigen. Viele Details sind aber versteckt oder zu entschlüsseln. Rund 100 Experten und Interessierte haben bei einer internationalen Tagung die Kirche unter die Lupe genommen.

Trier. Sie ist ungefähr 780 Jahre alt und hat ihren Charme noch nicht verloren. Die Liebfrauenkirche in Trier hat noch lange nicht alle ihre Geheimnisse preisgegeben. Über 50 Wissenschaftler und 60 Interessierte aus Deutschland, Frankreich, Österreich, der Schweiz und aus den USA sind nach Trier gekommen, um sie aufzuspüren, zu erklären und damit neue Ansätze für die Forschung über die Kirche zu liefern.
Zu zweit, zu dritt, in kleinen Grüppchen: Die Kunsthistoriker, Restauratoren und Architekten betrachten gründlich die Merkmale im bunten Inneren der "Rose aus Stein". Die Kirche zieht die Aufmerksamkeit der Forschung und auch der Touristen und Besucher aus zahlreichen Gründen an. Sie ist in vielerlei Hinsicht einzigartig. "Deshalb ist sie seit 1986 Weltkulturerbe der Unesco", sagt Professor Dr. Dr. Andreas Tacke, Professor für Kunstgeschichte an der Universität Trier und mit Stefan Heinz Mitveranstalter der Tagung.
Eine seltene Rose


Die Liebfrauenkirche ist einer der frühesten gotischen Sakralbauten in Deutschland. Zudem ist ihre Bauweise sehr selten. "Es ist ein Zentralbau. Der ist unterschiedlich zu anderen gotischen Kirchen wie dem Kölner Dom, die sich in der Länge entwickeln", erklärt Tacke. Auch ihr Grundriss ist unüblich: Er stellt eine "rosa mystica", eine "geheimnisvolle Rose", dar.
Trotz ihrer Bedeutung ist die Trierer Liebfrauenkirche bislang kaum, geschweige denn interdisziplinär, hinreichend wissenschaftlich untersucht worden. So kam Tacke auf die Idee mit der Tagung.
"Mit den Beiträgen der Teilnehmer veröffentlichen wir ein Buch im nächsten Jahr", sagt Tacke. "Das ist eine Chance, um die Kirche im neuen Glanz nach der Restaurierung zu präsentieren", freut sich Hans Wilhelm Ehlen, Pfarrer von Liebfrauen. "Man sieht nur, was man weiß", sagt er und meint damit die Sichtweisen, die die Tagung hervorgebracht hat. Mit neuen Augen sieht man zum Beispiel die Kirche, wenn man über die Ähnlichkeiten mit dem benachbarten Dom Bescheid weiß. "Diesen Aspekt haben wir in der Tagung herausgearbeitet", erklärt Tacke.
Die Liebfrauenkirche ist, im Fachjargon ausgedrückt, eine Annexkirche. Das heißt, sie liegt an dem Dom, und dieser stellt sozusagen den Bauherrn dar. "Zwischen den Kirchen entsteht ein Dialog", erklärt Tacke. Es gibt Bauelemente der Liebfrauenkirche, die man als Antwort zum Dom interpretieren kann, "natürlich in bescheidener Form." So sehen die Fassaden einheitlich aus: Die zwei seitlichen Treppentürme sind eine Antwort auf den größeren Bruder, dessen Treppentürme viel mächtiger sind.
Ein weiteres Ergebnis der Tagung, die zur Spurensuche durch die Kirche führt, handelt von der Vergangenheit. "Im Mittelalter würdigte man alles, was alt und traditionsreich war", sagt der Professor. "Daher hat man Finessen in die Kirche eingebaut, die für vergangene Zeiten typisch sind". Zum Beispiel sind alle Fenster geschlossen, auch wenn sie keinen Stützpunkt bilden und deshalb offen sein könnten. "Es geht um ein nicht Wollen, nicht um ein nicht Können", sagt Tacke. "Über solche Vorträge habe ich mich sehr gefreut", sagt Pastor Ehlen, "sie waren spannend, lehrreich und innovativ". Die Tagung habe gezeigt, dass die Liebfrauenkirche mit ihren Lichtspielen, ihren Statuen, ihrer Malerei noch ein offenes Kapitel der Kunstgeschichte sei.Extra

Was haben die Chinesische Mauer, die Liebfrauenkirche in Trier und der Machu Picchu in Peru gemeinsam? Sie alle gehören zum Unesco-Welterbe. Das sind Orte, Gebäude und Regionen, die besonders wichtig für die Geschichte und Kultur der Menschen sind. Oder sie müssen geschützt werden. Die Unesco ist eine internationale Organisation, die sich für Erziehung, Wissenschaft und Kultur einsetzt. Ihre Mitglieder entscheiden, welche Stätten diese Bezeichnung verdienen. Auch die Porta Nigra und das Amphitheater in Trier sind zwei von den 911 Stätten, die auf der ganzen Welt Welterbe sind. bc

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