Schikane? - Club Aktiv beklagt Zunahme von Diskriminierung - Inklusionsgespräch soll Bewusstsein bei Behörden schaffen

Trier · Klartext reden wollen die Interessenvertretungen von Behinderten beim 4. Trierer Inklusionsgespräch. Für diese Veranstaltung haben sie bewusst einen provozierenden Titel gewählt: "Alles Schikane? - Werden Menschen mit Behinderung um ihre Rechte gebracht?"

In der Begleitung und Beratung von Behinderten im täglichen Leben hat der Club Aktiv jahrzehntelange Erfahrung. "Unsere Klienten würden Behörden und Krankenkassen auch gerne als Dienstleister kennenlernen, die Unterstützung geben", sagt Klaudia Klaus-Höhl, die federführend für den Verein das 4. Trierer Inklusionsgespräch organisiert (siehe Extra). Häufig seien Behinderte einfach nicht in der Lage, zum Beispiel die Anträge für Wohngeld oder Hilfsmittel alleine ordnungsgemäß auszufüllen. "Die Leute ziehen spätestens dann oft den Kopf ein, wenn es um Widerspruch gegen einen Bescheid oder um eine berechtigte Klage geht."

Dabei müsse es gar nicht so weit kommen, wenn die Menschen beraten würden, sagt Paul Haubrich, Club-Aktiv-Geschäftsführer und selbst Rollstuhlfahrer. "Was wir brauchen, sind Lotsenstellen, die funktionieren. Bei den Verwaltungen würde mehr wirkliche Sorge um die Menschen helfen." Vor allem eine bessere Zusammenarbeit zwischen der Stadt und dem Kreis sei wünschenswert.

Bei dem Inklusionsgespräch im Rahmen des Europäischen Protesttags zu Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen soll am 6. Mai in Trier zum Beispiel darüber diskutiert werden, wie ein hier beispielhaft dargestellter realer Fall verhindert werden kann:
Ein Mann, der durch eine Erkrankung zum Rollstuhlfahrer geworden ist, benötigt zum Umsetzen auf die Toilette einen Haltegriff. Nach dem entsprechenden Antrag bei der Pflegekasse liefert ein Sanitätshaus den Haltegriff, montiert diesen aber nicht, da die Kasse dies nicht bezahlt. Eine Fachfirma lehnt die Montage ebenfalls ab, aus Haftungsgründen, weil bei dem Haltegriff kein Montagematerial und auch kein Zertifikat beiliegt, das belegt, wie der Griff ordnungsgemäß befestigt werden muss und ob er überhaupt das Gewicht des behinderten Mannes aushält. Die Montagefirma kontaktiert Lieferanten und Herstellerfirma mit dem Ergebnis: Es gibt keine Montagematerialien dafür und auch kein Zertifikat über die Belastbarkeit.

Am Ende hat die Pflegekasse ein Hilfsmittel bezahlt, das nicht montiert werden kann. Hersteller und Lieferant haben ihr Geld bekommen. Aber der Mann hat noch immer keinen Haltegriff und braucht mehr Hilfen als eigentlich notwendig, wenn er auf die Toilette muss.

Aber natürlich gebe es auch positive Beispiele für die Unterstützung von behinderten Menschen, versichern die Verantwortlichen beim Club Aktiv: Wie bei dem jungen Mann mit Schwerbehinderung, der bei seiner Familie lebt. Er hat kein eigenes Einkommen, keinen Beruf und kaum Außenkontakte. Die Familie bittet die Stadt Trier um Hilfe und erhält diese auch. Die Mitarbeiterin der Eingliederungshilfe besucht die Familie, bespricht mit dem jungen Mann, was er braucht, um die Situation zu verbessern, und begleitet ihn durch das komplizierte Antragsverfahren für Grundsicherung und für die Hilfen, die seine Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ermöglichen. Inzwischen hat er sich dank der Unterstützung entschlossen, sein Leben aktiv in die Hand zu nehmen und denkt über eine eigene Wohnung nach.
"Leider nimmt die Zahl der negativen Fälle zu", sagt Paul Haubrich. "Bei unserer Veranstaltung wollen wir vor allem die Verantwortlichen von Ämtern und Einrichtungen dafür sensibilisieren, wie es behinderten Menschen in solchen Situationen geht."Meinung

Den Nerv getroffenMenschen mit Behinderung habe das Recht, an allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens teilzuhaben. Das ist Gesetz. Noch ist aber sehr viel zu tun, um das zu gewährleisten. Denn viele Menschen mit Behinderungen brauchen Unterstützung im Alltag. Sie benötigen technische Hilfsmittel und Dienstleistungen. Sie benötigen auch Hilfe, um sich durch den Wust von Formularen und Anträgen zu arbeiten. Formulare in einfacher Sprache gibt es nicht. Spezielle medizinische Hilfsmittel sind teuer, deren Beantragung ist also besonders schwierig und wird häufig abgelehnt - auch wegen Formfehlern. Reine Schikane? - Mit diesem Titel für das 4. Trierer Inklusionsgespräch beweisen die Veranstalter Mut. Denn natürlich sind die Telefone heiß gelaufen, sobald die Prospekte für die Veranstaltung im Umlauf waren. Werden Menschen mit Behinderung um ihre Rechte gebracht? - Behörden, Kassen und Verwaltungsdienststellen reagierten mit einer Welle der Empörung angesichts des Generalverdachts, man gebe sich keine Mühe mit den Anliegen behinderter Menschen. Natürlich gibt es auch positive Beispiele. Und zum Glück haben sich die Wogen inzwischen wieder so weit geglättet, um sachlich in die Diskussion einzusteigen. Bei der geht es nicht darum anzuprangern. Es geht darum, zu lernen, die besonderen Bedürfnisse der Menschen mit Behinderung zu verstehen und bessere Dienstleister zu werden. r.neubert@volksfreund.deExtra

Das 4. Trierer Inklusionsgespräch "Reine Schikane? - Werden Menschen mit Behinderung um ihre Rechte gebracht?" findet im Rahmen des Europäischen Protesttags zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderung am Mittwoch, 6. Mai, 18 Uhr, im Schammatdorf-Zentrum Trier, Im Schammat 13a, statt. Veranstalter sind der Club Aktiv und weitere Akteure. Schirmherrin ist Triers Sozialdezernentin Angelika Birk. Club Aktiv e.V., www.clubaktiv.de , info@clubaktiv.de , Telefon 0651 97859-0 Behindertenbeirat Trier, www.behindertenbeirat-trier.de , behindertenbeirat@trier.de , Telefon 0651/718-1033. Gemeinsam Leben Gemeinsam Lernen e.V., Regionalgruppe Trier, www.gemeinsamleben-rheinlandpfalz.de , Telefon 0651/308681 (Ute Jäcker). Eine Schule für alle, www.eine-schule-fuer-alle-region-trier.de , Telefon 0651/534 01 (Hildegard Muriel). Netzwerk Gleichstellung und Selbstbestimmung RLP, Regionalgruppe Trier, www.selbstbestimmung-rlp.de , info@selbstbestimmung-rlp.de , Telefon 0651/8250-160 und 0651/1454645. r.n.

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