„Schlampig und verantwortungslos“ - Gericht verhandelt zum zweiten Mal über Trierer Baumunglück und Tod einer Fußgängerin

Trier · Ein aufsehenerregender und außergewöhnlicher Prozess beginnt von vorn: Aufgrund der Berufung des Verteidigers Roderich Schmitz wird das Landgericht alle Umstände neu beleuchten, die im November 2012 im Rautenstrauchpark zum Sturz einer morschen Kastanie und zum Tod einer Fußgängerin geführt haben.

Schuldig der fahrlässigen Tötung und fahrlässigen Körperverletzung: Mit harten Worten begründete Strafrichter Wolf-Dietrich Strick Ende November 2013 nach drei Verhandlungstagen das Urteil in erster Instanz. "Ich bin der festen Überzeugung, dass Sie Schuld tragen", sagte der Richter und sah dabei den Angeklagten an. "Schlampig und verantwortungslos haben Sie alles unterlassen, was richtig und wichtig war."

Nach Ansicht des Gerichts hatte die Hauptverhandlung die Anklage der Trierer Staatsanwaltschaft bestätigt: Der Angeklagte, ein heute 54-jähriger Gärtnermeister, sei innerhalb des Grünflächenamts der Stadt Trier für eingehende Kontrollen von Bäumen zuständig gewesen, die aufgrund von Schäden oder Krankheiten auffallen. Die Kastanie im Rautenstrauchpark sei ihm bereits am 23. Juli von einem Kollegen als verdächtig gemeldet worden. Der Angeklagte habe sich den Baum am selben Tag angesehen und eine intensive Kontrolle angekündigt, aber nicht durchgeführt. "Ich habe in diesem Fall die Priorität nicht gesehen" - so erklärte er die Situation.

Mit 120 Tagessätzen zu je 40 Euro übertraf die von Strafrichter Strick verhängte Geldstrafe die Forderung von Staatsanwalt Arnold Schomer um weit mehr als das Doppelte. Doch der Angeklagte trage weder allein die Verantwortung für das tragische Unglück, noch sei er ein Krimineller - das betonte Strick. Der Strafrichter rügte "eklatante Organisationsmängel" innerhalb der Verwaltung. "Es war nicht nur was faul am Baum, sondern auch in der Baumpflege."

Die Stadt Trier reagierte auf das Unglück mit der Vergabe der Baumkontrollen an einen externen Dienstleister. Die Vorwürfe von Strafrichter Strick akzeptierte die zuständige Baudezernentin Simone Kaes-Torchiani (CDU) nicht. Im TV-Interview sagte sie: "Wir müssen uns nicht den Vorwurf machen, wir hätten etwas versäumt oder nicht getan. Gegen menschliche Fehler ist niemand gefeit."

Zehn Monate nach dem Prozess in ersten Instanz soll am 6. Oktober das Berufungsverfahren beginnen. Marcel Heinemann, stellvertretender Medienreferent des Trierer Landgerichts, erläutert den Hintergrund. "Im Gegensatz zur Revision bedeutet eine Berufung eine komplette Neuaufnahme des gesamten Verfahrens." Ein Beschuldigter, der sich gegen eine Verurteilung wehren will, müsse diesen Schritt nicht argumentativ begründen. "Es genügt die simple Aussage: Ich lege Berufung ein", erklärt Heinemann.
Es gibt keinen Abwägungsprozess, ob eine Berufung inhaltlich zulässig ist, betont der Richter am Landgericht Trier. "Wenn die Berufung form- und fristgerecht nach dem Vorliegen des Urteils eingereicht worden ist, dann geht das Verfahren in die zweite Instanz", so Heinemann. "Inhaltliche Abwägungen oder Stichhaltigkeitsüberprüfungen gibt es nicht."

Sieben Termine hat das Landgericht für das Berufungsverfahren festgelegt. Der Prozess soll am 6. Oktober beginnen und dann am 8., 13., 15., 22., 27. und 29. Oktober weitergeführt werden. Ob das Verfahren tatsächlich am 29. Oktober abgeschlossen werden kann, steht jetzt noch nicht fest.

Neben Staatsanwaltschaft und Verteidigung sind auch die Nebenkläger wieder geladen, unter ihnen Walter Schrage, dessen Frau Gisela durch den fallenden Stamm getötet worden ist.
Auch das zweite Unfallopfer, ein durch den Baumsturz schwer verletzter und seitdem gehbehinderter Trierer Jurist, wurde in erster Instanz als Nebenkläger von einem Anwalt vertreten.
Extra:

Berufung und Revision gehören zu den Rechtsmitteln, mit denen Urteile angefochten werden können. Beide Verfahren bedeuten die Überprüfung eines Urteils durch ein höheres Gericht, sind aber in ihrer Wirkung grundsätzlich verschieden. In einem Berufungsverfahren wird der gesamte Prozess in der höheren Instanz neu gestartet. Die Beweisaufnahme wird wiederholt, alle Beweise werden neu gesichtet und juristisch gewürdigt. Das Berufungsgericht kann dabei zu neuen und eigenen Betrachtungen kommen. Berufungen sind im Strafrecht nur gegen Urteile eines Amtsgerichts möglich und werden dann in zweiter Instanz vor einem Landgericht verhandelt.
Eine Revision rollt dagegen nicht die Beweisaufnahme neu auf, sondern überprüft, ob das Urteil formell und juristisch korrekt zustande gekommen ist oder ob es Rechtsfehler gegeben hat.

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