Aus dem Archiv Marathonsitzung des Trierer Stadtrats: Im Schweinsgalopp gen Geisterstunde

Trier · 51 Tagesordnungspunkte und großes Mitteilungsbedürfnis im öffentlichen Teil: In seiner letzten Sitzung des Jahres diskutiert sich der Trierer Stadtrat in akute Zeitnot.

 Fast geschafft: Nach mehr als sechs Stunden Dauer geht der öffentliche Teil der letzten Sitzung des Trierer Stadtrates im Jahr 2017 um 23.09 Uhr zu Ende.

Fast geschafft: Nach mehr als sechs Stunden Dauer geht der öffentliche Teil der letzten Sitzung des Trierer Stadtrates im Jahr 2017 um 23.09 Uhr zu Ende.

Foto: Medienhaus Trierischer Volksreund/Roland Morgen

Dass es ein langer Abend werden wird, ist klar. 51 Tagesordnungspunkte im öffentlichen Teil, dazu noch ein Dutzend weitere im anschließenden nichtöffentlichen – die letzte Stadtratsitzung des Jahres ist vollgepackt bis zur Oberkante.

Es ist eine Arbeitssitzung. Viele Beschlüsse müssen gefasst werden, um Projekte auf den Weg zu bringen.Oder, wie OB Wolfram Leibe (SPD) es  formuliert, „damit die Kollegen weiterarbeiten können“. Zum Beispiel bei Bebauungsplänen. Ohne Segen des Rates stockt der Verfahrensprozess (Beteiligung, Offenlage). Oder Straßenausbau. Im Falle etwa der Benediktinerstraße (Trier-Nord) würde die Vorbereitung eines Millionenprojekts auf Eis liegen, zumindest bis zur nächsten Ratssitzung am 7. Februar.

Eilig scheinen die Herren und Damen Stadträte zu Beginn (17 Uhr) nicht zu haben. Der Einwohnerfragestunde (TV-Freitagausgabe) folgen Anfragen der Fraktionen. Sieben an der Zahl – und gewaltig ausufernd. So will die FDP wissen, ob Baudezernent Andreas Ludwig auf seiner China-Reise Systemkritik geübt und die Menschenrechtslage angeprangert habe. Nein, habe er nicht, erklärt der CDU-Beigeordnete. Gleichwohl habe er in Gesprächen mit Bildhauer Wu Weishan, in dessen Atelier die 4,40 Meter hohe Karl-Marx-Bronzestatue für den Simeonstiftplatz entsteht, kontrovers über Marx diskutiert. „Heiße Luft“, findet FDP-Vormann Tobias Schneider. „Bin ich etwa Bundeskanzler oder Justizminister?“, kontert Ludwig.

Zwei Stunden beansprucht der Anfragenblock. Weiter geht es mit neun Anträgen der Fraktionen. Ein Highlight der schon traditionellen Art: Die Grünen, diesmal in Person von Peter Hoffmann, fordern ein Verbot von Wildtieren in Zirkussen. Das Ansinnen, Zirkussen mit Zebras (wie der im Messepark gastierende Weihnachtscircus), Elefanten, Affen und Co. keine Auftrittserlaubnis in Trier zu geben, steht im bereits fünften Jahr in Folge auf dem Programm – und scheitert wie gehabt an einer breiten Mehrheit. Nicht, weil es an Mitleid für ihrer Freiheit beraubte Kreaturen mangelt, sondern: „Die Stadt ist der falsche Adressat“, erklärt Ordnungsdezernent Thomas Schmitt (CDU). Ein Verbot auszusprechen, sei rechtswidrig. Abhilfe könne lediglich über das Tierschutzrecht geschaffen werden. Dennoch: Es wird kräftig diskutiert, weitere Redner melden sich zu Wort, und für die CDU kündigt Jörg Reifenberg vorsorglich an, man werde, wenn es auch dann keinen rechtlichen Spielraum gebe, den nächsten Wildtierverbot-Antrag ebenfalls ablehnen. Die FDP votiert „aus alter Tradition“ mit den Grünen. Begründung Katharina Haßler: „Wir haben das schon 2009 gefordert.“

Nicht kontrovers diskutiert, dafür aber von jedem Mitantragsteller ausgiebig erläutert wird das gemeinschaftliche Ansinnen von CDU, SPD, Grünen, UBT, Linken, FDP und Piraten zur Anpassung von Kita-Öffnungszeiten an die heutigen Lebens- und Arbeitsrealitäten. Ein  Ziel: Betreuungsangebote bis 20 Uhr. Diese Marke ist nun auch in der Ratssitzung fast erreicht, was OB Leibe dazu animiert, auf den schleppenden Fortgang aufmerksam zu machen.

Noch bleibt der Appell, auf die Tube zu drücken, ungehört. Die Redelust im Plenum ist ungebremst. Eine geschlagene halbe Stunde wird über den Antrag der Linken diskutiert, die Stadt solle Verwaltungsinformationen auf der Transparenzplattform des Landes einstellen. Die SPD signalisiert Zustimmung, die CDU äußert rechtliche und finanzielle Bedenken. Die UBT findet, Trier bietet bereits genügend Transparenz-Portale wie das Ratsinformationssystem. Die Grünen mahnen die noch ausstehende Antwort auf einen vor geraumer Zeit gestellten  eigenen Transparenz-Prüfantrag an. Linksfraktionschefin Theresia  Görgen zeigt sich kompromissbereit  und ändert ihren Antrag in einen Prüfauftrag um, der angenommen wird.

Um 21.25 Uhr wird Leibe energisch. „Ich achte jetzt aufs Timing!“, kündigt er an mit Hinweis darauf, dass die Sitzung bis Mitternacht beendet sein müsse. Tagesordnungspunkt 19 ist an der Reihe. Die AfD fordert mehr Parkplätze in der Innenstadt und bezieht dafür verbale Prügel („absurd“, „fern jeder Faktenlage“ „Sinngehalt gleich null“) von allen Seiten. Fraktionschef Michael Frisch verteidigt sich, man werde „ein Stück weit missverstanden“. In der überbordenden Diskussion zieht Reiner Marz (Grüne) die Reißleine und fordert sofortige Abstimmung. Gut eine Stunde später tritt Marz erneut auf den Plan und fordert – wieder mit Erfolg – Halbierung der Redezeit von maximal vier Minuten pro Ratsmitglied und Tagesordnungspunkt.

Gegen  22.45 Uhr sind die Fraktionsanträge abgehakt, ab jetzt geht es um Verwaltungsvorlagen – und plötzlich alles sehr schnell. Themen wie die Änderung des Grundsatzbeschlusses zur Sporthalle am Mäusheckerweg (Neubau statt Generalsanierung) oder die Kostenfortschreibung bei Ausbau des Nikolaus-Koch-Platzes (2,15 statt 1,6 Millionen Euro) werden in einem Abstimmungsstakkato durchgewunken. Um 23.10 Uhr ist das erste Großziel erreicht: Ende der öffentlichen Tagesordnung. Ohne Publikum geht es ebenfalls zügig weiter. Eine halbe Stunde vor Mitternacht erklärt OB Leibe die Sitzung für beendet.

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