Interview Trierer Medienprofessor hört auf: „Journalismus ist auch in Zukunft wichtig“

Trier · Nach 22 Jahren als Medien-Professor an der Uni Trier hält Hans-Jürgen Bucher heute seine Abschiedsvorlesung. Zu seiner Emeritierung blickt er auf dramatische Umbrüche zurück – und wirft einen Blick in die Kristallkugel.

 Professor Hans-Jürgen Bucher hielt am Dienstag seine letzte reguläre Vorlesung im Hörsaal 1 der Universität Trier.  

Professor Hans-Jürgen Bucher hielt am Dienstag seine letzte reguläre Vorlesung im Hörsaal 1 der Universität Trier.  

Foto: Friedemann Vetter

Twitter hielt er anfangs für eine Modeerscheinung, später setzte er den Kurznachrichtendienst in seinen Vorlesungen ein: Hans-Jürgen Bucher erzählt im TV-Interview, was es bedeutet, eine Branche im Wandel zu begleiten, und was man Studierende in einem sich rasant ändernden Umfeld lehrt. Nach seiner Emeritierung will er sich für ein zukunftsfähiges Trier engagieren.

Als Sie vor 22 Jahren Medienwissenschafts-Professor in Trier wurden, gab es weder Facebook noch iPhones, und die App war noch nicht erfunden. Wie sehr hat Sie überrascht, was seither passiert ist?

Hans-Jürgen Bucher: Schon zu Beginn war erkennbar, dass die Ausschreibung als Printprofessur zu kurz griff. Bereits in meinem Bewerbungsvortrag hat die Digitalisierung der Medien eine Rolle gespielt. Der Durchbruch des Internets an sich hat mich nicht überrascht – wie schnell die digitalen Medien dann zunehmend unseren Alltag bestimmten, dagegen schon. Als bei einer Tagung um die Jahrtausendwende erstmals vom „Internet in der Hosentasche“ die Rede war, dachte ich, das würde allenfalls für IT-Spezialisten interessant werden. Dasselbe ist mir mit dem Kurznachrichtendienst Twitter passiert, den ich anfangs für ein Tool hielt, über das sich Jugendliche verabreden. Es ist allerdings eine Stärke des Fachs, dass wir Fragen, die solche Entwicklungen  für die Forschung aufwerfen, immer in den Studiengang eingebaut haben.

Was lehren Sie Studierende in einem Fach, dessen Umfeld sich derart rasant wandelt?

Bucher: Die hohe Dynamik im Medienbereich bedeutet, dass man im Studium erworbenes Wissen nicht ein Leben lang anwenden kann. Wir vermitteln deshalb Orientierungswissen über die Bedeutung von Medien in der Gesellschaft. Bei uns lernen angehende Medienwissenschaftler aber auch, Medien zu analysieren und ein Bewusstsein für Kommunikationsqualität zu entwickeln. Und klassische Kompetenzen, wie Quellen zu überprüfen, oder die Bereitschaft, immer auch die Gegenseite zu hören und zu berücksichtigen, sind auch in Zukunft wichtig.

Hat die Digitalisierung auch Ihren Studiengang revolutioniert?

Bucher: Die Krise in der Medienbranche hat sich auf die Erwartungshaltung der Studierenden ausgewirkt: Am Anfang strebte eine große Zahl den Journalismus als Berufsziel an. Heute ist das eine Minderheit – der Trend geht zu PR und strategischer Kommunikation. Auf diese Bedürfnislage haben wir unser Angebot ein Stück weit angepasst. Die Digitalisierung hat sich auch in der Lehre niedergeschlagen: 1998 habe ich zum Beispiel das erste Teleseminar organisiert, bei dem wir Seminarräume an der TU Ilmenau und in Trier über das Internet verbunden haben. Und seit 2008 gibt es in meinen Vorlesungen eine Twitter-Wand: Darauf erscheinen Zwischenfragen, die die Studierenden per Smartphone oder Laptop stellen.

22 Jahre Professor an der Uni Trier: Was kommt Ihnen in den Sinn, wenn Sie zurückdenken?

Bucher: Am erfreulichsten finde ich, dass es gelungen ist, ein damals neu gegründetes Fach fest zu etablieren. Es zählt heute zu den Studiengängen an der Uni Trier, die steigende Bewerberzahlen verzeichnen. Das Fach ist erfolgreich in der Einwerbung von Forschungsgeldern und hat wichtige Forschungen angestoßen. Besonders viel Resonanz fand das Projekt Interactive Science, in dem fast vier Jahre lang fächerübergreifend und zusammen mit anderen Unis untersucht wurde, wie die Digitalisierung Wissenschaft und Wissenschaftskommunikation verändert. Und schließlich ist es auch gelungen, das Fach zukunftsfähig auszurichten: Die Stärke der Trierer Medienwissenschaft, visuelle und digitale Medien zusammenzubringen, bleibt auch in Zukunft erhalten.

Diesen Freitag halten Sie Ihre Abschiedsvorlesung. Was folgt dann – etwa Ruhe?

Bucher: Noch nicht ganz, an der Uni wird mich ein Projekt zur Wissenschaftskommunikation im Internet und im Fernsehen weiter beschäftigen, das noch bis zum Sommer 2020 läuft. Ich freue mich, dafür mehr Zeit zu haben. Außerdem liegt mir die Lokale Agenda 21 sehr am Herzen: Deren Hauptthema, die Nachhaltigkeit, ist eine Grundvoraussetzung dafür, dass Trier eine lebensfähige Stadt bleibt. Dafür werde ich mich künftig noch stärker engagieren. Ich habe mir vorgenommen, mein Gitarrespiel zu optimieren. Sobald dann das Wetter besser wird, will ich endlich mal mit dem Rad von Trier aus in meine Heimatstadt Fridingen im oberen Donautal fahren – und zwar nicht mit einem E-Bike!

Wir haben viel über Entwicklungen in den 22 Jahren ihrer Professur gesprochen. Schauen Sie doch bitte jetzt mal in Ihre Medienwissenschafts-Kristallkugel und vervollständigen folgende Sätze: Nachrichten gibt es in 22 Jahren …

Bucher: … auf ganz unterschiedlichen Kanälen, jederzeit und von sehr verschiedenen Anbietern. Die Unterscheidung von News und Fake-News wird ein noch größeres Problem sein. Für die Überprüfung und Einordnung braucht es den journalistischen Profi.

Journalismus wird …

Bucher: … auch in Zukunft wichtig sein, wenn wir eine demokratische Gesellschaft haben wollen. Er ist die Instanz, die den Einflussreichen einer Gesellschaft auf die Finger schauen kann und gleichzeitig ein Sprachrohr der Bürger ist. Deshalb bin ich sicher, dass sich neue Finanzierungsmöglichkeiten finden werden, wenn alte nicht mehr funktionieren – genossenschaftliche Konstruktionen wie bei der taz in Berlin zum Beispiel könnten auch Modelle für eine ganze Reihe anderer Tageszeitungen sein.

Der typische Leser wird 2041 …

Bucher: … genauso wenig existieren wie heute. Wir haben schon jetzt sehr unterschiedliche Typen – von dem, der ausschließlich Informationen zur Kenntnis nimmt, die über Social Media bei ihm landen, bis hin zum Nachrichtenjunkie, der sich aktiv umfassende Informationen aus verschiedenen Quellen beschafft. Diese Bandbreite wird es auch in Zukunft geben.

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