Soziales Umfrage: So käme ein Gesellschaftsjahr in der Region an

Trier · Sollen junge Menschen künftig verpflichtend ein Jahr für die Allgemeinheit arbeiten? Oder die Flüchtlinge, die nach Deutschland kommen? Vorschläge aus der Politik werden auch in Trier diskutiert – mit überraschendem Ergebnis.

 Morgenroutine im Club Aktiv: Der Freiwillige Ahmad Ijary liest Marcus, einem Besucher der Tagesförderstätte, aus der Zeitung vor. Ahmad lernt so Deutsch, Marcus trainiert sein Gedächtnis.

Morgenroutine im Club Aktiv: Der Freiwillige Ahmad Ijary liest Marcus, einem Besucher der Tagesförderstätte, aus der Zeitung vor. Ahmad lernt so Deutsch, Marcus trainiert sein Gedächtnis.

Foto: Noah Drautzburg

Ahmad Ijary hat vor wenigen Wochen sein Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ) in der Tagesförderstätte des Clubs Aktiv begonnen. Der gebürtige Syrer ist 2015 geflüchtet und hat in Trier seinen Realschulabschluss nachgeholt. In der Schule hat er vom FSJ erfahren.

Ahmad assistiert den Besuchern bei allem, das sie selbstständig nicht können. Probleme gebe es dabei nicht, sagt er. „Die Besucher sind ein bisschen schwer zu verstehen, aber die Mitarbeiter helfen mir.“ Betreuerin Sandra Mertes ist sehr zufrieden: „Was ich toll finde, ist seine Einstellung, sich zu integrieren, und auch für unsere Marotten offen zu sein.“ Selbst den Trierer Dialekt habe er bereits angenommen. Eine Herausforderung sei die Zusammenarbeit nicht, im Gegenteil.

Ahmad Ijarys Beispiel könnten bald alle Asylbewerber folgen müssen. Die Generalsekretärin der CDU, Annegret Kramp-Karrenbauer, hat eine Dienstpflicht für Flüchtlinge ins Spiel gebracht, kurz nachdem sie bereits die Diskussion um ein allgemeines „Gesellschaftsjahr“ angestoßen hatte. Gegenwind erhielt sie von Bundeskanzlerin Angela Merkel, die zunächst das Stellenangebot des Bundesfreiwilligendienstes ausbauen möchte.

Auch der Koalitionspartner SPD spricht sich mehrheitlich dafür aus, die bestehenden Dienste attraktiver zu gestalten. Die meisten Deutschen sehen das einer Umfrage des ZDF-Politbarometers zufolge anders: 68 Prozent der Befragten sprechen sich für eine Dienstpflicht aus. Bei Anhängern aller Parteien findet der Vorschlag eine Mehrheit.

Wie bewerten soziale Einrichtungen in der Region die Diskussion? Der Tenor überrascht: Statt sich über den Personalsegen zu freuen, wie man vermuten könnte, stehen Zurückhaltung und Ablehnung im Vordergrund.

Kitas, Krankenhäuser, Jugendzentren – die sozialen Lerndienste im Bistum Trier kooperieren mit rund 800 Einrichtungen und haben sich klar gegen eine Dienstpflicht ausgesprochen. „Natürlich möchte ich auch, dass sich möglichst viele Menschen für einen Freiwilligendienst entscheiden“, sagt die stellvertretende Leiterin Kerstin Becker. Allerdings sei der Effekt ein ganz anderer, wenn man das freiwillig tue. An Interesse der Schulabgänger mangelt es derzeit nicht, wie der kaufmännische Leiter der sozialen Lerndienste, Sebastian Lauterbach, erklärt. Durch gezielte Öffentlichkeitsarbeit könne man jährlich genau die 580 Freiwilligenstellen besetzen, die der Staat bereitstelle. Mit mehr Werbung könne man aber zehn bis 20 Prozent mehr Bewerbungen erzielen, schätzt Lauterbach. Dazu fordert der Verbund aus Bistum und Caritasverband für Freiwillige Vergünstigungen für Bus und Bahn und eine Anrechnung bei der Studienzulassung.

Zweifel gibt es an einem weiteren Punkt: „Eine Dienstpflicht kann schnell instrumentalisiert werden, um Personalmangel zu beheben“, fürchtet Lauterbach. Auch die Idee, man könne einen besseren sozialen Zusammenhalt erreichen, hält er für einen Trugschluss. Das sei leichter zu realisieren, „wenn es aus eigener Motivation erfolgt“.

Etwas offener für den Vorschlag zeigt sich Rita Bossung-Neumann, die die Freiwilligendienste für die Awo Rheinland koordiniert. Sie versteht die guten Umfragewerte für den CDU-Vorstoß. „Es schadet wirklich niemandem“, sagt sie. „Mir haben schon Leute erzählt, dass sie nur wegen des Zivildiensts einen sozialen Beruf ergriffen haben.“ Dennoch hält auch sie es für sinnvoller, die bestehenden Angebote attraktiver zu gestalten.

Paul Haubrich, Geschäftsführer des Clubs Aktiv, spricht sich dagegen „tendenziell für ein verpflichtendes soziales Jahr“ aus. Trotz Bedenken hinsichtlich der Motivation und Zuverlässigkeit der Schulabgänger. Nach dem Wegfall des Zivildienstes habe man individuelle Hilfe in der bis dahin üblichen Form nicht mehr bezahlbar organisieren können. Eine allgemeine Dienstpflicht für Flüchtlinge hält er allerdings aufgrund der Sprachbarriere für nicht umsetzbar. „Wenn die Kommunikation nicht funktioniert, kann schnell etwas passieren.“

Auch Ahmad Ijary von der Tagesförderstätte sieht den Vorstoß skeptisch. Dabei ist der junge Syrer so etwas wie das Vorzeigebeispiel für die Befürworter der Idee: Nach seinem FSJ möchte er eine Ausbildung als Pfleger beginnen.

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