Urteil Wegen Zwangsprostitution angeklagt – wegen Körperverletzung verurteilt

Trier · Der 20-Jährige soll laut Landgericht Trier unter anderem eine Tür eingetreten und dann seine Freundin verprügelt haben. So lief der letzte Tag in einem ungewöhnlichen Prozess.

Wegen Zwangsprostitution in Trier angeklagt –  wegen Raub und Körperverletzung verurteilt.
Foto: Friedemann Vetter

Die Sachlage im Prozess um Zwangsprostitution vor der Großen Jugendkammer des Trierer Landgerichts ist ungewöhnlich. Der 20-jährige Hauptangeklagte wird zwar zu vier Jahren und neun Monaten Einheitsjugendstrafe verurteilt. Aber der schwerwiegende Vorwurf, er habe eine damals obdachlose 27-Jährige gewaltsam zur Arbeit in Bordellen in Düsseldorf und Trier gezwungen, kann aus Sicht des Gerichts nicht ausreichend belegt werden.

Dass es dennoch zu einer vergleichsweise hohen Jugendstrafe kommt, liegt unter anderem daran, dass es an der Bereitschaft zur und Ausübung von körperlicher Gewalt beim Angeklagten keineswegs gemangelt haben soll. Bei zahlreichen Streitigkeiten ums Geld hatte er die 27-Jährige laut Urteil verprügelt. Einmal griff er dabei sogar zu einem Gürtel mit Metallschnalle.

Auch seiner vorherigen Lebensgefährtin setzte der junge Mann zu: Als er sie bei einer ihrer Freundinnen aufsuchte, trat er laut Gericht kurzerhand die Eingangstür ein. Anschließend wurde das Opfer auf eine Couch gezerrt, und es setzte Schläge. Ziel auch dieser Attacke war die Geldbeschaffung: Der Angeklagte entwendete aus der Handtasche die EC-Karte seiner damaligen Freundin und erpresste später noch die zugehörige PIN-Nummer.

Sogar vor der eigenen Familie machte die Gewalt nicht halt. Die Schwester erhielt bei einer seiner Attacken laut Gericht Faustschläge ins Gesicht und wurde mit dem Kopf mehrmals gegen eine Autotür gedonnert. Eine Narbe veranschaulicht noch bei der Zeugenvernehmung im Gerichtsaal diesen Übergriff.

Ein Blick auf die Vorstrafenliste zeigt eine lange Vorgeschichte solcher Taten. Vorsitzender Richter Günther Köhler bescheinigt dem Angeklagten in der Urteilsbegründung: „Sie sind ein dissozialer Straftäter, der seit Erreichen der Strafmündigkeit am laufenden Band Straftaten begeht, die immer schwerer werden.“

Dessen ungeachtet reicht es nicht für eine Verurteilung wegen Zwangsprostitution. Denn der Zusammenhang zwischen der Gewalt und der Ausübung dieser Tätigkeit sei nicht sicher. So soll die Frau schon früher in diesem Gewerbe tätig gewesen sein, bevor sie mit dem Angeklagten zusammentraf. Ein Telefonat und mehrere Handy-Kurznachrichten mit Liebesbezeugungen erweckten außerdem den Eindruck, dass sie Gefühle für den Angeklagten hegte. Ihre Geldüberweisungen aus Trier an ihn seien mit dem Betreff „Familienkasse“ versehen – auch das stütze die These, dass sie von einer langfristigen Beziehung und gemeinsamen Zukunft mit dem Angeklagten träumte.

„Sie hatte außerdem ein massives Eigeninteresse, denn gerade im Tatzeitraum plagten auch sie Geldsorgen“, ergänzt Richter Köhler. All diese Umstände deuten laut Urteilsbegründung darauf hin, dass die Prostitution ebenso gut freiwillig ausgeübt worden sein könnte. Und damit gelte hier der Rechtsgrundsatz „in dubio pro reo“ – im Zweifel für den Angeklagten.

Negativ wirken sich für den 20-Jährigen die erheblichen übrigen Straftaten aus und seine Unbelehrbarkeit – augenscheinlich durch die Missachtung vorheriger Sanktionen des Staates inklusive einer laufenden Bewährung zum Tatzeitpunkt. Jugendstrafrecht wird angewendet, weil der Staat die Hoffnung noch nicht aufgegeben hat, erzieherisch auf den jungen Mann einzuwirken. Die Unterbringung in einer stationären betreuten Wohngruppe nach der Haft wäre aus Sicht der psychologischen Gerichtsgutachterin eventuell erfolgversprechend, um seine dissoziale Persönlichkeitsstörung zu bekämpfen. Eine reine Drogentherapie wegen seines Cannabis-Konsums helfe dagegen nichts gegen das eigentliche Problem – weshalb das Gericht auf die Anordnung einer solchen verzichtet.

Den zweiten Angeklagten sieht die Jugendstrafkammer als Mitläufer an – oder besser als „Mitfahrer“. Der 21-Jährige steuerte laut Gericht bei mehreren Fahrten mit allen Beteiligten das Auto nach Düsseldorf und Trier. Einen Führerschein hat er indes bis heute nicht. Beim Überfall mit der eingetretenen Wohnungstür soll er Schmiere gestanden und die Situation verbal mit angeheizt haben. Für diese Delikte verurteilt ihn das Gericht zu einer Jugendstrafe von einem Jahr und setzt diese zur Bewährung aus. Der 21-Jährige und sein Anwalt verzichten auf weitere Rechtsmittel.

Im Fall des verurteilten 20-Jährigen ist noch eine Revision zur Überprüfung der juristischen Aspekte des Urteils möglich.

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