Weinersatz, Abführmittel, Nationalgetränk

Früher ersetzte er Wein und Wasser, heute teilt er die Geschmäcker in Liebhaber und Hasser. Die Geschichte des Viezes offenbart ein eigenwilliges Bild des Apfelweins und seiner Produzenten.

Trier. Weinersatz oder natürliches Abführmittel? Die Herkunft des Wortes "Viez" ist umstritten. Am Stammtisch erzählt man sich nach der dritten Porz oft Folgendes: Die französischen Besatzer gaben dem Apfelwein den Beinamen "vite-vite", "schnell-schnell". Das bezieht sich auf die Geschwindigkeit des Toilettengangs nach dem Viezgenuss. "Mir gefällt die Variante besser, dass der Viez der Weinersatz der armen Leute war - der Vize-Wein eben", sagt Gerd Scholten, Leiter der Weinbau-Abteilung im DLR Mosel und Autor des Werkes "Trierer Viez". "Historisch ist das aber auch nicht gesichert."

Nicht nur die Herkunft des Wortes Viez ist unklar, auch über seine Geschichte weiß man relativ wenig. "Die Leute, die Äpfel hatten, haben einfach auch Viez gemacht. Das war eine günstige Art der Konservierung. Das wussten schon die Römer", sagt Scholten.

Geschichts- und damit gesichtslos ist der Viez aber nicht. "Dahinter steckt eine Menge Tradition. Jede Familie gibt das Wissen darüber weiter, wie man die verschiedenen Apfelsorten mischt", sagt Franz-Josef Scheuer, Obst-Experte des DLR. Er wuchs auf einem Bauernhof in Merzkirchen (Kreis Trier-Saarburg) auf - gekeltert wurde dort über mehrere Generationen. "Die alten Sorten, wie roter oder weißer Trierer, geben dem Viez seine typische saure Note". Der Anbau dieser Sorten nimmt ab, weil Streuobstwiesen verschwinden oder vernachlässigt werden. Ein Prozess, der schon vor Jahrhunderten einsetzte: Erst Karl der Große, dann Friedrich Wilhelm von Preußen - beide förderten den systematischen Anbau von Obstplantagen. Und auch die Franzosen forcierten die Apfelernte während ihrer Besatzung: Sie wollten den kohlensäurearmen "Cidre" aus Trierer Produktion als Getränk für die Masse. Heute mischt man auch Tafeläpfel wie den Golden Delicous in den Most. "Somit hat sich der Geschmack verändert - von sauer zu gezähmt", ergänzt Scholten. "Wir werden wohl nie erfahren, wie der Viez im Mittelalter geschmeckt hat." A propos Geschmack: "Im Gegensatz zum Wein lässt sich der Viezgeschmack nur schwer kategorisieren", sagt Scholten, der jedes Jahr auch die Apfelweine der Region prämiert: "Er ist ein sehr individuelles Getränk." Was früher aus purer Notwendigkeit getrunken wurde, ist heute eine Frage des Gaumens. Der herb-saure Charakter teilt die sensiblen Konsumentengemüter von heute in absolute Liebhaber und Hasser. Das verhindert auch eine Vermarktung im großen Stil, sagt Scholten. "Wenn man Marketing betreibt, müsste man auch den Geschmack an die Masse anpassen. Das wollen weder die Viezfans, noch die Viezhersteller." Vor ein paar Jahren sei eine gemeinsame Vermarktung geplant gewesen - ohne Erfolg. "Das liegt auch am Charakter der Viezhersteller", sagt Scholten diplomatisch.

Die Eigenwilligkeit von Produzent und Produkt hat den Viez auch immer der Mode entzogen - auch wenn Viez-Limo und Viez-Cola seit den 70ern bei jüngeren Leuten beliebt sind. Die Menge des Konsums des Trierer "Nationalgetränks" war vor allem an den Weinbau gekoppelt: Ein gutes Traubenjahr war ein schlechtes für den Viez. Wurden Weinberge aber stillgelegt oder fiel die Lese nicht so ergiebig aus, war der Apfelwein wieder beliebt. Kurz: Ob Wein oder Vize-Wein, getrunken wird immer - was, das entscheidet am Ende die Natur. Damals wie heute.

Am Montag lesen Sie im Rahmen der TV-Themenwoche, wie Viez gemacht wird.

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