Geschichte Würdigung eines renitenten Volkshelden

Trier/Welschbillig · Der Oberbürgermeister, der den Preußen Kontra gab: Uni-Historikerin  Lena Haase legt Biografie zu Wilhelm von Haw vor.

 Wilhelm von Haw um 1860.

Wilhelm von Haw um 1860.

Foto: Stadtarchiv Trier

Trier vor 200 Jahren: Karl Marx wird geboren  und Wilhelm Haw mit 35 Oberbürgermeister. Haw (ausgesprochen „Hau“) bleibt vier Jahre länger Verwaltungschef als Marx in Trier. Der frischgebackene Abiturient geht 1835 nach Bonn zum Studium und Haw weiterhin seiner Lieblingsbeschäftigung nach: Preußen, zu dem Trier seit dem Wiener Kongress 1815 gehört, ärgern. Genauer gesagt: seine direkten Vorgesetzten. Denen fühlt sich der stolze Trierer überlegen und macht ganz clever sein eigenes Ding. Wegen seiner renitenten Haltung gegenüber der Obrigkeit und seiner großen Verdienste um Trier ist Haw Volksheld. Das macht es für den Staat um so schwieriger, den unbequemen Amtsinhaber loszuwerden.

„Er ist eine außerordentlich spannende Persönlichkeit“, findet Lena Haase (26). Die Uni-Historikerin aus Welschbillig weiß, wovon sie spricht. Viele Monate lang hat sie im Stadtarchiv Trier und im Landeshauptarchiv Koblenz  gestöbert und alte Akten und Briefe gewälzt. Resultat der Mühe ist das frisch erschienene Buch „Der Trierer Oberbürgermeister Wilhelm von Haw (1783-1862). Eine politische Biographie zwischen Liberalismus, Katholizismus und preußischem Staat“. Wobei es sich bei weitem nicht „nur“ um die Lebensbeschreibung eines Stadtpolitikers handelt. Lena Haase gelingt es, ein Epochenbild zu zeichnen und damit die Umstände aufzuzeigen, die Haw geprägt haben.

 Mit ihrem 380-Seiten-Buch „Der Trierer Oberbürgermeister Wilhelm von Haw (1783-1862)“: Historikerin Lena Haase aus Welschbillig.

Mit ihrem 380-Seiten-Buch „Der Trierer Oberbürgermeister Wilhelm von Haw (1783-1862)“: Historikerin Lena Haase aus Welschbillig.

Foto: TV/Roland Morgen

Geboren am 7. Februar 1783 in Daun – sein Vater, Sproß einer alteingesessenen Trierer Familie, war dort drei Jahre lang kurfürstlicher Hofrat –, erlebt Wilhelm mit elf Jahren, wie französische Revolutionstruppen das Kurfürstentum hinwegfegen. Unter der Trikolore macht der junge Mann nach dem Jurastudium in Trier und Paris Karriere. 1810 wird er in den französischen Staatsrat berufen, nach Bremen und Herzogenbusch entsandt und Anfang 1814 per Dekret Napoleons Präfekt des Départements de l’Aube.

Anderthalb Jahre später ist Napoleons Epoche endgültig zu Ende. Haw geht zurück in die Heimat, die  den zweiten grundlegenden politischen Systemwechsel binnen zwei Jahrzehnten erlebt und nun unter preußischer Herrschaft steht. Als der Stadtmagistrat den 35-jährigen Rechtsanwalt zum Nachfolger von Triers erstem OB Anton Joseph Recking (1743-1817) wählt, ahnt die Regierung wohl nicht, was da auf sie zukommt. Haw, zugleich Landrat des Stadtkreises Trier, „stößt der Verwaltung immer wieder vor den Kopf“, sagt Biografin Haase: „Der hoch angesehene Bürger, der seine politische Grundprägung in Frankreich erhalten hat, pflegt eine konfliktreiche Beziehung gegenüber den vorgesetzten Instanzen.“

Haw, seit 1819 mit Elisabeth von Nell verheiratet und damit noch intensiver mit der bürgerschaftlichen Elite vernetzt, tritt den Preußen selbstbewusst entgegen und prangert das Elend an, in dem die Bevölkerungsmehrheit lebt. Reaktion: Ordnungsstrafen und Disziplinarverfahren. Als Haw Ende 1839 freiwillig das Rathaus am Kornmarkt verlässt, steckt wohl ein „Deal“ dahinter. Der Preis, den Preußen zahlt, ist die Verleihung des Adelstitels (1842). Auch von Haw gibt nicht klein bei. Er zieht in den Rheinischen Provinziallandtag ein und ins Preußische Abgeordnetenhaus, wo er unter anderem zum Mitbegründer der Katholischen Fraktion avanciert. Ansonsten ist er überall dort aktiv, wo man die protestantischen und fern von Berlin  besonders argwöhnischen Preußen ärgern kann: in der liberalen Casinogesellschaft und der erzkatholischen Marianischen Bürgersodalität, auch in der Freimaurerloge. Obwohl ziemlich eitel und auf Wahrung und Mehrung des eigenen Wohlstands bedacht, hat er eine große soziale Ader.

Ein Vermächtnis ist das Weißhaus, das Haw erbaute und dessen Areal er als Naherholungsgebiet öffentlich zugänglich machte. Die Überwölbung des offen durch die Stadt fließenden Weberbachs geht auf Haw zurück, der damit  einen Krankheitsherd ausschaltete.

Trier widmete seinem zweiten von bislang 18 Oberbürgermeistern (und letztem in der Region geborenen) ein Ehrengrab und benannte 1910 eine Straße in der Südstadt nach ihm.

Bleibt die spannende Frage, ob  Marx und Haw sich begegnet sind. „Zwangsläufig“, sagt Lena Haase. Beide wohnten in der Simeonstraße, und Haw hatte zum Beispiel in der Casinogesellschaft Kontakt zum Vater von Karl Marx.“

Fachleute loben Lena Haases Monografie, die auf ihrer Masterarbeit basiert. „Ein wichtiger und wertvoller Beitrag zur Stadtgeschichtsschreibung“, findet Stadtbibliotheks-Direktor Michael Embach. Uni-Prädsident Michael Jäckel würdigt das Buch als „vielschichtigen Beitrag auch über Eliten und Neuorientierung in Umbruchzeiten“. Es gebe Einblicke in die Welt der Clubs und Salons und beleuchte das Verhältnis von Staat und Religion.

Lena Haase, die 2011 das Abitur (mit sehr gut im Leistungskurs Geschichte) am Angela-Merici-Gymnasium Trier ablegte und Meriten als Mitarbeiterin des Uni-Projekts über die Gestapo in Trier erwarb , forscht derzeit für ihre Doktorarbeit. Thema: Das Verhältnis von Justiz und Polizei im Nationalsozialismus mit Schwerpunkt im Regierungsbezirk.

„Der Trierer Oberbürgermeister Wilhelm von Haw (1783-1862) – Eine politische Biographie zwischen Liberalismus, Katholizismus und preußischem Staat“ (Band 5 der Publikationen aus dem Stadtarchiv Trier) von Lena Haase ist erschienen im Verlag für Geschichte und Kultur Trier und für 24,90 Euro im Buchhandel erhältlich.

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