Trierer Bischof verkündet schärfere Regeln gegen Missbrauch

Trier · Die katholische Kirche hat ihre acht Jahre alten Missbrauchs-Leitlinien deutlich verschärft. Potenzielle Opfer sollen so künftig besser geschützt, Vertuschung und Verschleierung verhindert werden, sagte gestern der Trierer Bischof Stephan Ackermann.

(sey) Wer in Zukunft in der katholischen Kinder- oder Jugendarbeit eingesetzt werden will, muss ein erweitertes polizeiliches Führungszeugnis vorlegen. Darin werden schon geringfügige Bestrafungen festgehalten.

Gibt es Bedenken gegen den Einsatz eines Bewerbers, muss er sich zudem begutachten lassen. Das sehen die neuen Leitlinien der katholischen Kirche zum Umgang mit sexuellem Missbrauch vor, die der Sonderbeauftragte der Deutschen Bischofskonferenz, Stephan Ackermann (47), gestern Nachmittag vorgestellt hat. Im Gegensatz zu den alten Leitlinien gelten die neuen nicht nur für katholische Geistliche, sondern auch für Ordensangehörige sowie alle haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeiter der Kirche.

Die 27 deutschen Bischöfe hatten Ackermann Ende Februar mit einer Überarbeitung beauftragt, nachdem im Zusammenhang mit dem Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche heftige Kritik an den alten Leitlinien aufgekommen war. So warf etwa Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) der Kirche mangelnde Kooperation mit den Strafverfolgungsbehörden vor. Die bayerischen Bischöfe kündigten daraufhin an, künftig jeden Verdachtsfall der Staatsanwaltschaft zu melden.

Stephan Ackermann war stets gegen eine generelle Anzeigepflicht und hat sich damit durchgesetzt. Laut den neuen Leitlinien sollen die Strafverfolgungsbehörden künftig zwar grundsätzlich informiert werden, allerdings nur, wenn das Opfer auch zustimmt.
Die Frage einer Entschädigung der Opfer klammern die neuen Leitlinien zwar aus. Klar ist aber auch: Es wird ein finanzielles Angebot der katholischen Kirche geben. Laut Ackermann wird es dem von der Bundesregierung einberufenen Runden Tisch vorgelegt werden. "Wir halten ein abgestimmtes Vorgehen für richtig und wichtig", sagte Ackermann.

Wahrscheinlich bekommt das Bistum Trier demnächst einen neuen Missbrauchsbeauftragten. Prälat Rainer Scherschel (68) muss sein Amt wohl abgeben, weil er dem Domkapitel angehört und Leiter der Stabsstelle Priester ist. Nach den ab heute geltenden Leitlinien sollen die Missbrauchsbeauftragten jedoch "nicht zur Leitung des Bistums gehören".
Kommentar

Revolution im Rekordtempo

Warum die neuen Leitlinien des Trierer Bischofs überzeugen

Die katholische Kirche gibt es gemäß ihrem Selbstverständnis seit 2000 Jahren. Wer in einem solchen Organismus Veränderungen bewirken will, benötigt für gewöhnlich Zeit, viel Zeit. Der Fortschritt ist in dieser Glaubensgemeinschaft noch langsamer als eine Schnecke.

Vor diesem Hintergrund ist das, was sich in den zurückliegenden Monaten in der Kirche getan hat, zumindest eine kleine, wenn auch punktuelle Sensation. Der konservative deutsche Klerus hat seine alten Missbrauchsleitlinien über Bord geworfen und durch neue, zeitgemäße und für kirchliche Verhältnisse ziemlich deutliche Verhaltensregeln ersetzt. Noch einmal: eine kleine Revolution in Rekordgeschwindigkeit.

Möglich war all dies nur, weil der Handlungs- und Erwartungsdruck dieses Mal so groß war, dass die gewohnte Aussitzen- und Vertuschen-Strategie nicht mehr greifen konnte. Es war der Trierer Bischof Stephan Ackermann, der Anfang Februar als erster im deutschen Episkopat ein Ende der kirchlichen Omerta (Mauer des Schweigens) und eine lückenlose Aufklärung forderte, als sich die meisten seiner Mitbrüder noch wegduckten. Dass Ackermann wenige Tage später zum Missbrauchssonderbeauftragten ernannt wurde, war da nur konsequent.

Sieben Monate danach steht nun fest: Der Sonderbeauftragte hat Wort gehalten. Und: Stephan Ackermann hat nicht enttäuscht, auch wenn etwa die Bundesjustizministerin nach Veröffentlichung der neuen Leitlinien gestern mäkelte, sie sehe noch Klärungsbedarf. Gemessen an dem schwammigen Vorgängermodell sind die neuen Verhaltensmaßregeln klar und deutlich. Natürlich hat der Staat ein Verfolgungsinteresse, will, dass mutmaßliche Täter zur Rechenschaft gezogen werden. Aber es gibt eben auch viele Opfer, sagen Experten, die genau das partout nicht wollen, denen es reicht, wenn „ihr Fall“ den Kirchenoberen bekannt und von ihnen ernst genommen wird. Wer dieses Ansinnen ignoriert, ignoriert die Opfer ein zweites Mal.

Im Gegensatz zu seinem Vorgänger Reinhard Marx hat Stephan Ackermann das verstanden. Die bayerischen Bischöfe waren im März mit der Ankündigung vorgeprescht, künftig jeden Missbrauchsverdachtsfall unabhängig vom Opferwillen anzuzeigen. Dies fordert nicht einmal der Gesetzgeber. Besonders dreist aber war die Marx-Initiative, weil sie den gerade erst ernannten Sonderbeauftragten mächtig in Zugzwang brachte. Dass Ackermann sich davon nicht beirren ließ, die bayerischen Kollegen durch die neuen Leitlinien jetzt sogar zur schmerzhaften Rolle rückwärts zwingt, ist umso bemerkenswerter. Letztlich hat sich der Trierer Bischof damit auch endgültig von seinem wortgewaltigen Vorgänger emanzipiert.

r.seydewitz@volksfreund.de

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