"Hier wohnte Josef Meyer"

WALDRACH. Als einziger Ort in der Verbandsgemeinde Ruwer hat Waldrach jetzt sogenannte Stolpersteine. Sie wurden jüngst in der Ruwergasse eingebaut. Rund 100 Interessierte verfolgten die Verlegung.

Freitagnachmittag vor dem Haus von Gisela Becker-Hau: Ergriffen stehen viele Waldracher, darunter auch rund 20 Schüler der zehnten Klassen der Regionalschule, in der Ruwergasse. Unter ihnen ist auch der extra aus Amsterdam angereiste Joop Levy. Er ist der Enkel der im Jahre 1943 aus diesem Haus deportierten jüdischen Familie von Josef Meyer. Joop Levy, seine Mutter konnte nach Holland flüchten, schaut voller Anteilnahme auf die sechs einzubauenden Steine. "Hier wohnte Josef Meyer - Jahrgang 1871 - deportiert 1943 - Theresienstadt - ermordet 22.6. 1944", kann er auf einem der Steine lesen. Eindrucksvoller Moment

Levy will dabei sein und seinen Vorfahren die Ehrerbietung zeigen und Respekt erbringen, wenn der Kölner Künstler Gunter Demnig die von ihm erfundenen "Stolpersteine" in den Fußweg einbaut. Sie erinnern an die Opfer der NS-Zeit. Mit Tränen in den Augen spricht der 71-jährige Levy von einem eindrucksvollen Moment. Nur stockend vor Rührung kommen die Worte über seine Lippen. Auch den Jugendlichen und den anderen Anwesenden ist die Betroffenheit anzusehen. Die Mädchen und Jungen haben sich mit Lehrerin Ruth Müller und Lehrer Arne Thau mit der Thematik "Stolpersteine" und deren Hintergrund intensiv beschäftigt. "Zunächst untersuchten wir, was Stolpersteine sind, und warum sie gelegt werden." Ebenso wurde über die Begriffe "lebensunwertes Leben" und "Euthanasie" diskutiert. Thau: "Danach haben wir einen Auszug aus dem nationalsozialistischen Kinderbuch ‚Der Giftpilz' untersucht, in dem Kinder als Erziehungsinhalt vor den ‚bösen Juden' gewarnt wurden, was sehr verabscheuungswürdig für die Klassen war." Schüler Björn Kawik (17) sagt: "Es ist wichtig, das Geschehen nicht zu vergessen. Deshalb befürworte ich diese Stolpersteine." Auch für die 16-jährige Nina Flesch ist das eine "interessante Sache, die auf ihre besondere Art an die Schandtaten erinnert". Gisela Becker-Hau und Joop Levy hatten die Schüler vorab sogar im Unterricht besucht und mit ihnen über die Greueltaten gesprochen. Bernd Schneiders aus Trier initiierte die Waldracher Aktion "Stolpersteine" gemeinsam mit der Arbeitsgemeinschaft Frieden Trier und stellte die Kontakte her. "Die Deportierten Josef Meyer, Clara Ermann, Erwin Meyer, Max Meyer, Irma Wolff und Walter Wolff waren geliebte und geachtete Mitglieder der Gemeinde", sagt der Initiator. Leider hätten sie einen totbringenden Makel gehabt: "Sie waren Juden."Erinnerung und Mahnung

Mit schwerem Gerät arbeitet Gunter Demnig im Vorgarten des Hauses Nr. 2. Seine Technik ist perfekt, und so sind nach rund einer Stunde alle mit einer Messingplatte versehenen sechs Steine eingebaut. Bis Ende 2006 hat er rund 9000 Steine in über 190 Städten und Ortschaften verlegt. "Ein Mensch ist erst vergessen, wenn sein Name vergessen ist", sagt Gunter Demnig. Mit den Steinen vor den Häusern hält er die Erinnerung an die Menschen lebendig, die einst hier wohnten. Für 95 Euro kann jeder eine Patenschaft für die Herstellung und Verlegung eines "Stolpersteins" übernehmen. Initiativen, Schulen, Angehörige und Hinterbliebene recherchieren die Daten von Menschen, die während der Zeit des Nationalsozialismus verfolgt, deportiert und ermordet wurden. Zu den von den Nationalsozialisten während des "Dritten Reiches" verfolgten Gruppen gehörten Juden, Sinti und Roma, politisch Andersdenkende, Mitglieder von Widerstandsbewegungen, Homosexuelle und Zeugen Jehovas. Ganz ohne kritische Stimmen geht es aber auch bei den "Stolpersteinen" nicht. So vertrat etwa die Stadt Krefeld gemeinsam mit der jüdischen Gemeinde die Auffassung, dass auf diese Weise die Namen der Opfer "ständig mit Füßen getreten werden". In Waldrach hingegen sollen sie Erinnerung und Mahnung sein.

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