Nur wenige Bürger spitzen die Ohren

Trier · Seit einem halben Jahr müssen Rats- und Ausschusssitzungen so abgehalten werden, dass die Bevölkerung Zugang hat. Davon verspricht sich das Land mehr Transparenz und Bürgernähe. Viele Bürgermeister sehen das nicht so, wie eine Umfrage des TV bei Verbandsgemeinden und Städten im Kreis zeigt. Sie beklagen mehr Bürokratie und längere Entscheidungsprozesse.

Nur wenige Bürger spitzen die Ohren
Foto: harald jansen (har) ("TV-Upload jansen"

Trier. Für Michael Hülpes (CDU) ist klar, dass das Land den Kommunen mit der Neufassung der Gemeindeordnung (siehe Extra) einen Bärendienst erwiesen hat. Das Gesetz, so sieht es der Bürgermeister der Verbandsgemeinde Hermeskeil, "führt erkennbar dazu, dass einzelne Bürger und Interessengemeinschaften ihre Einzelinteressen zu Lasten des Gemeinwohls der Gemeinde stärker zur Geltung bringen". Beispielhaft nennt er die Windkraft. Unter anderem wurde in die Gemeindeordnung neu aufgenommen, dass für Bürgerbegehren und Bürgerentscheide weniger Unterschriften als bisher nötig sind (siehe Hintergrund). Um den Bau von Windrädern zu verhindern, sind bereits mehrere Bürgerentscheide in Rheinland-Pfalz initiiert worden.
Ob sich durch das neue Gesetz langfristig die Bürgerbeteiligung erhöhe, bleibe abzuwarten, sagt Bernhard Busch (FDP), Bürgermeister der Verbandsgemeinde Ruwer. Spürbar mehr Akzente zum Wohl der Bürger könnten Gemeinderäte laut Busch setzen, wenn Bund und Land die Kommunen besser finanziell ausstatten würden. Kritisch sieht auch Schweichs Stadtbürgermeister Lars Rieger (CDU) die Neuregelung: "Mit der Gesetzesänderung erweckt das Land den Eindruck, als wäre bis zum 30. Juni 2016 in Räten und Ausschüssen nur gemauschelt worden. Dagegen verwahre ich mich."Warten in der Küche


Obwohl die Ausschusssitzungen seit Mitte 2016 in aller Regel öffentlich sind, gibt es so gut wie keine Besucher. Die kommen allenfalls, wenn sie unmittelbar betroffen sind. In Schweich wollten beispielsweise Bürger, die einen Bauantrag gestellt hatten, wissen, ob der Bauausschuss ihrem Ansinnen stattgibt. In der VG Ruwer besuchten vor einiger Zeit 17 Feuerwehrleute einen Ausschuss, als es um die Anschaffung eines neuen Fahrzeugs für ihre Wehr ging. Und in der VG Schweich mobilisierten lediglich der Flächennutzungsplan Windkraft und das Beitrittsgesuch der Gemeinden Breit, Büdlich und Heidenburg Zuhörer.
Kaum angenommen wird auch die neue Regelung, dass Bürger erstmals einen Haushalt einsehen und Änderungsvorschläge machen können, bevor dieser die Gremien durchläuft. Zu Änderungen im Haushalt hat dies in keinem Fall geführt.
Was viele Verwaltungschefs beklagen, ist die Zunahme der Bürokratie und das Hinauszögern von Entscheidungsprozessen. Sitzungen müssten oft unterbrochen werden, um abzuwägen, was öffentlich behandelt werden dürfe und was nicht. Jürgen Dixius, Bürgermeister von Stadt und VG Saarburg, sagt: "Der Spagat zwischen berechtigtem Informationsbedarf der Ratsmitglieder und datenschutzrechtlichem Geheimhaltungsbedarf Betroffener führt dazu, dass vielfach zwischen öffentlicher und nichtöffentlicher Sitzung hin und her gewechselt werden muss." Mit der Folge, dass Zuhörer zeitweise vor die Tür geschickt werden.
Landrat Günther Schartz (CDU) bezweifelt, ob mit dem Gesetz die angestrebte Transparenz erreicht wird: "Es ist zu befürchten, dass Debatten im Vorfeld nichtöffentlich geführt werden. Und das ist doch gerade die Hinterzimmerpolitik, die der Gesetzgeber vermeiden wollte."
Die neue Gemeindeordnung hat auch schon zu langen Wartezeiten geführt. Etwa dann, wenn dem öffentlichen Sitzungsteil ein nichtöffentlicher vorgeschaltet ist. In Lampaden (VG Kell am See) mussten Besucher eine geschlagene Stunde im Treppenhaus des Bürgerhauses warten, bevor sie in den Sitzungssaal durften. In Paschel (ebenfalls VG Kell am See) fungierte die Küche des Gemeindehauses als Wartezone. Mittlerweile hat es sich in den Verwaltungen eingespielt, dass in den Bekanntmachungen eine ungefähre Zeit angegeben wird, wann die Türen zur öffentlichen Sitzung aufgehen. Danach soll der Bürgermeister unverzüglich über die Ergebnisse des vorausgegangenen nichtöffentlichen Teils informieren.Räte "freier"


Der Hermeskeiler Bürgermeister Michael Hülpes gibt der Gesetzesänderung eine Mitschuld daran, dass es immer schwieriger wird, Bürger für die Mitarbeit in Räten zu gewinnen: "Wenn es keinen Unterschied mehr zwischen den Rechten der Ratsmitglieder und der Bürger gibt, dann macht es auch keinen Sinn mehr, sich für ein Ratsmandat zu bewerben." Michael Gansemer (53), Elektrotechniker aus Saarburg und eifriger Besucher von Rats- und Ausschusssitzungen in Saarburg und beim Kreis, begrüßt die Änderung: "Das ist ein gewaltiger Schritt in Richtung Transparenz. Vorher wurde ja gleich alles nichtöffentlich behandelt, wenn nur ein Name vorkam." Nach Gansemers Erfahrungen ist auch der Meinungsaustausch mit Räten am Rande von Sitzungen oder am Telefon viel freier geworden.Erfahrungsberichte von Volksfreund-ReporternEin Gewinn

Für die Berichterstattung in der VG Saarburg bringt das Gesetz echte Vorteile. Interessante Diskussionen, die in Ausschüssen im Vorfeld zu Ratssitzungen laufen, sind nun verfolgbar. An Themen, über die Ausschüsse allein entscheiden, kommen Journalisten und Bürger nun viel leichter dran - insbesondere über die Vorlagen im Ratsinformationssystem, das die Saarburger Verwaltung auf ihrer Homepage pflegt. Die Kehrseite: Ausschusssitzungen können langatmige Detaildiskussionen enthalten, die man mithören muss, wenn das spannende Thema hinten auf der Tagesordnung steht. Trotz des neuen Gesetzes kommen immer noch kaum Bürger zu den Sitzungen. Marion Maier

Gängige Praxis

Wenn es um frühzeitige Information geht, sind sowohl der Landkreis als auch die Verbandsgemeinde Trier-Land vorbildlich. Seit Jahren werden Sitzungsunterlagen frühzeitig zur Verfügung gestellt. Mag sein, dass anfangs das eine oder andere Gremienmitglied dem Herrschaftswissen nachgetrauert hat, das die Vorlagen bieten. Doch damit lässt sich offenbar leben. In den Verbandsgemeinden Schweich und Ruwer geht es weiter zu wie in der guten alten Zeit. Ratsfrauen und -herren sind informiert und entscheiden. Interessierte Bürger dürfen nur zuhören und müssen schweigen. Eine Praxis, mit der die Mehrheit offensichtlich zufrieden ist. Harald Jansen

Früher informiert

Der Bürger hat einen leichteren Zugang zu Informationen, weil wichtige Themen jetzt schon in Ausschüssen öffentlich beraten werden und Journalisten diese Themen frühzeitig aufgreifen können. Das ist ein Vorteil, den die Änderung der Gemeindeordnung mit sich bringt. Zurzeit wird er von den Bürgern im Hochwald noch selten genutzt - möglicherweise muss sich diese Neuerung erst noch herumsprechen. Andere Änderungen sind vermutlich gut gemeint, aber nicht praktikabel. Nichtöffentliche Sitzungsteile vorzuziehen und interessierte Bürger erstmal im Treppenhaus warten zu lassen - das dürfte wohl eher abschreckend als einladend wirken. Christa Weber

Besserer Einblick

Vorlagen sind in der VG Konz nun öffentlich, früher hinter verschlossenen Türen geführte Diskussionen ebenfalls. Auch Protokolle werden relativ zeitnah nach Sitzungen publiziert. All das ist im Internet über das Bürgerinformationssystem auf der Homepage der VG einsehbar. Die Verwaltung hat zudem eine volle Stelle für Öffentlichkeitsarbeit geschaffen. Der zuständige Mitarbeiter kümmert sich nun nicht nur um Journalistenanfragen, sondern beantwortet auch die Fragen von Bürgern. Das alles macht das System transparenter. Ein größeres Interesse an Kommunalpolitik hat das nicht hervorgerufen. Zuhörer gibt es in Sitzungen weiterhin selten. Christian KremerExtra

Das "Landesgesetz zur Verbesserung direktdemokratischer Beteiligungsmöglichkeiten auf kommunaler Ebene" ist seit dem 1. Juli 2016 in Kraft. Wichtige Änderung für die Kommunen ist die Neufassung des Paragrafen 46, Absatz 4 der Gemeindeordnung. Diese besagt, dass Ausschüsse und Gemeinderäte grundsätzlich öffentlich tagen müssen. Nur wenn "Gründe des Gemeinwohls" oder "schutzwürdige Interessen Einzelner" tangiert sind (beispielsweise bei Personalangelegenheiten oder Grundstückskäufen) darf die Öffentlichkeit ausgeschlossen werden. Ferner sollen alle Haushaltspläne vor der Beschlussfassung mindestens zwei Wochen öffentlich einsehbar sein, damit Bürger Einwände geltend machen können. alfExtra

Bürgerentscheid: Wollen Bürger über eine Angelegenheit ihrer Orts- oder Verbandsgemeinde selbst entscheiden, können sie einen Bürgerentscheid beantragen. Diesen Antrag nennt man Bürgerbegehren. Die Gemeindeordnung von Rheinland-Pfalz regelt im Paragrafen 17 a, wie dabei vorzugehen ist: Ist das Thema für einen Bürgerentscheid zulässig - ausgenommen sind etwa Haushaltsfragen oder Bauleitpläne - dann muss das Begehren schriftlich bei der Verwaltung eingereicht werden. Das muss spätestens vier Monate nach dem Beschluss geschehen, gegen den sich das Begehren richtet. Nach der neuen Gemeindeordnung (ab 1. Juli 2016) sind dafür weniger Unterschriften nötig: Bei Gemeinden unter 10 000 Einwohnern müssen neuerdings neun Prozent der bei der letzten Wahl wahlberechtigten Einwohner unterzeichnen (vorher zehn Prozent). Neuerdings muss auch kein Vorschlag mehr gemacht werden, wie die verursachten Kosten gedeckt werden können. cweb

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