Veruntreuung in Millionenhöhe Bitburger Beamter legt Geständnis ab - „Warum fällt das eigentlich niemandem auf?“

Trier · Im Untreueprozess gegen einen ehemaligen Beamten der Kreisverwaltung Bitburg-Prüm hat der Angeklagte am Donnerstagmorgen ein umfangreiches Geständnis abgelegt. Der 59-jähriger Kreisinspektor gibt eine finanzielle Notlage als Motiv an.

 Veruntreuungsprozess: Der Bitburger Beamte soll 1,5 Millionen Euro auf sein eigenes Konto überwiesen haben.

Veruntreuungsprozess: Der Bitburger Beamte soll 1,5 Millionen Euro auf sein eigenes Konto überwiesen haben.

Foto: Friedemann Vetter

Mit einem Geständnis des Angeklagten hat vor dem Trierer Landgericht der Untreueprozess gegen einen ehemaligen Beamten der Kreisverwaltung Bitburg-Prüm begonnen. Der 59-jährige Kreisinspektor soll im Laufe mehrerer Jahre insgesamt über 1,5 Millionen Euro abgezweigt haben.

 Er habe eine finanzielle Notsituation überbrücken wollen, sagte der 59-Jährige zum Prozessauftakt vor dem Trierer Landgericht. „Das war der schlimmste Fehler meines Lebens.“

Der Kreisinspektor mit einem Bruttomonatsgehalt von 3200 Euro war in der Behörde für die finanzielle Abwicklung von Jugendhilfemaßnahmen zuständig. Ab dem Jahr 2005 soll er laut Anklageschrift der Staatsanwaltschaft regelmäßig Pflegegelder auf ein ausschließlich von ihm genutztes Konto der ahnungslosen Stieftochter umgeleitet haben. Damit dies nicht auffiel, soll der mit seiner Familie in einem luxemburgischen Ort an der Sauer lebende Mann fingierte Pflegefälle angelegt haben, für die er regelmäßig Geld überwiesen habe. Über die Jahre hinweg durchschnittlich rund 10 000 Euro monatlich, haben die Ermittler errechnet.

Der über 13 Jahre laufende Schwindel flog im Juli vergangenen Jahres erst auf, als ein mit der Geldwäscheprüfung beauftragtes Unternehmen die Bank auf die ungewöhnlich hohe Zahl an Barverfügungen aufmerksam gemacht habe, wie die Vorsitzende Richterin Petra Schmitz sagte. Allein zwischen Juli 2013 und Juli 2018 sollen dem quasi eigenen Konto über 700 000 Euro gutgeschrieben worden sein. In den acht Jahren zuvor soll der Kreisinspektor weitere über 800 000 Euro ergaunert haben. Etwa die Hälfte der dem Angeklagten zur Last gelegten Fälle ist aber inzwischen verjährt.

Nachdem der Schwindel aufgedeckt worden war, hatte sich der Beamte selbst der Polizei gestellt und ein Geständnis abgelegt. „Das ist alles richtig“, kommentierte der seitdem in Untersuchungshaft sitzende gebürtige Eifeler auch am Donnerstag die ihm von Staatsanwalt Holger Schmitt vorgeworfenen Taten. Danach habe er 2005 „wegen einer finanziellen Notsituation“ mit der Untreue begonnen. Seine Frau erlitt in dem Jahr mit einem eigenen Sonnenstudio Schiffbruch, die Familie sei aber auf zwei Einkommen angewiesen gewesen, um allen Verpflichtungen auch nachkommen zu können. „Es war eine verzweifelte Situation“, meinte der Angeklagte rückblickend vor Gericht, „ich dachte, jetzt geht alles den Bach runter.“ Das auf das Konto der Stieftochter überwiesene Geld hob er überwiegend bar ab, zahlte einiges auf Luxemburger Konten wieder ein, bezahlte mit dem Rest Privatschule, Nachhilfe oder Reitunterricht für die Söhne, die täglichen Einkäufe und auch mal einen Urlaub. „Ich weiß, dass das für Außenstehende unglaubwürdig klingt“, fügte der 59-Jährige der Aufzählung hinzu. Auf Nachfrage des Gerichts räumte er ein, dass beide Söhne eine Harley Davidson und ein Auto hatten, somit „doch etwas besser materialisiert waren als andere“, wie es die Vorsitzende Richterin ausdrückte.

Staatsanwaltschaft und Kreisverwaltung sind nun daran interessiert, zumindest einen Teil des ergaunerten Geldes zurückzubekommen. Das 600 000 Euro teure Haus der  Familie soll demnächst verkauft werden. Für den Prozess sind zunächst zwei Verhandlungstage anberaumt. Am übernächsten Dienstag ist unter anderem auch der ehemalige Abteilungsleiter des Angeklagten als Zeuge geladen.

„Warum fällt das eigentlich niemandem auf?“

Bitburger Beamter räumt Untreuevorwürfe ein. Aber wie konnte er nur unbemerkt über einen langen Zeitraum so viel Geld hinterziehen?

Von Rolf Seydewitz

Trier. Als der Angeklagte am Donnerstagmorgen im großen Sitzungssaal des Trierer Landgerichts zum ersten Mal das Wort ergreift, ist er kaum zu verstehen. Immer wieder stockt dem 59-Jährigen die Stimme, übers Gesicht laufen Tränen. „Entschuldigung“, sagt der mit Handschellen gefesselte Mann Richtung Richterbank, „ich bin emotional sehr aufgeladen.“

„Sie müssen sich nicht entschuldigen“, entgegnet die Vorsitzende Richterin Petra Schmitz, hörbar darum bemüht, die für den Angeklagten angesichts des Medienauftriebs zusätzlich angespannte Situation wenigstens etwas zu entkrampfen. Zumindest vorübergehend hat Schmitz damit Erfolg, auch wenn der Angeklagte im Laufe des dreistündigen ersten Verhandlungstags immer wieder plötzlich in Tränen ausbricht und sein Gesicht für kurze Zeit hinter einem großen blauen Taschentuch verschwindet.

Seine Ehefrau, die noch mehr weint als ihr Mann, sitzt am gleichen Tisch, hat aber zwei Stühle zwischen sich und dem Angeklagten frei gelassen. Um zu demonstrieren, dass sie mit der mutmaßlichen Untreue ihres Mannes nichts zu tun hat? Oder ist sie nach der Tat, von der niemand in der Familie gewusst habe, wie der Angeklagte an diesem Tag mehrfach beteuert, zu ihm auf Distanz gegangen, wie man vielleicht vermuten könnte? Nein, sagt sein Verteidiger Wolfgang Simon, davon können nun wirklich keine Rede sein.

Stimmen die Aussagen des Angeklagten, und davon gehen offenbar auch die Ermittler aus, dann hat der seit 1988 bei der Kreisverwaltung Bitburg-Prüm tätige Beamte im Alleingang und ohne Mitwisser gehandelt, als er jahrelang die Kassen des Jugendamts um insgesamt 1 541 576,10 Euro erleichtert hat. Durchschnittlich 10 000 monatlich soll sich der Kreisinspektor so neben seinem normalen A­9-Gehalt von 3200 Euro  genehmigt haben.

Wie so etwas über einen Zeitraum von knapp anderthalb Jahrzehnten möglich war, ohne dass es jemandem auffiel, ist eine der spannenden Fragen in dem am Donnerstag vor dem Trierer Landgericht begonnenen Prozess. Da liegt es auf der Hand, dass die Kontrollen in der entsprechenden Abteilung der Bitburg-Prümer Kreisverwaltung bis Juli vergangenen Jahres zumindest verbesserungswürdig gewesen sein dürften, auch wenn Landrat Joachim Streit nach Publikwerden des Falls rasch versuchte, andere Mitarbeiter aus dem Schussfeld zu bekommen. Für die Vorgesetzten sei es „unmöglich“ gewesen, bei der „hohen kriminellen Energie“ die von dem Angeklagten für die Untreue erdachten Phantom-Personen zu erkennen, sagte Streit seinerzeit.

„Ich dachte immer, das muss doch irgendwann irgendjemandem auffallen“, sagt der Angeklagte am ersten Prozesstag. Glaubt man dem Kreisinspektor, gab es in der Abteilung keine Kontrollen, die den Namen auch verdienten, sondern nur „Plausibilitätsprüfungen“. Er habe die ganze Zeit über nie mitbekommen, dass der Amtsleiter oder jemand anderes vorbeigekommen wäre und sich eine Akte gezogen hätte. „Es gab auch keine Stichprobe“, sagt der 59-Jährige.

Dann wäre womöglich aufgefallen, dass auf ein und dasselbe Konto Geld für mehrere fiktive Empfänger überwiesen wurde. „Ich habe mich wirklich gewundert, dass das niemandem aufgefallen ist“, meint der Angeklagte. Sich selbst schildert er am ersten Verhandlungstag als treusorgender Familienvater, der alles unternommen hat, damit es seiner Frau, den beiden leiblichen und den beiden Stiefkindern an nichts gefehlt hat.

Als einschneidendes Erlebnis schildert der dabei in Tränen ausbrechende Mann einen 20 Jahre zurückliegenden Verkehrsunfall, bei dem einer seiner Söhne eine schwere Kopfverletzung erlitten habe. Der Junge musste später wegen auftretender Komplikationen operiert werden, überlebte schließlich gerade so eine lebensgefährliche Operation im Ausland. An den Folgeschäden leide der Sohn noch heute.

Richtig schwarzsieht der mit seiner Familie in einem kleinen luxemburgischen Ort unweit von Echternach lebende Mann aber erst, nachdem seine Frau wegen eines Rückenleidens nicht mehr als Altenpflegerin arbeiten kann und sie mit einem eigenen Sonnenstudio Schiffbruch erleidet: „Da dachte ich, alles geht den Bach runter und du musst das auf Teufel komm raus zusammenhalten.“ Da zweigte er nach eigenen Angaben zum ersten Mal Geld ab, das ihm nicht gehörte. Knapp 500 Auszahlungsanordnungen, die angeblich Leistungen der Jugendhilfe etwa für Beihilfen zu Führerscheinen, Ferienfreizeiten oder für Weihnachten beinhalteten, soll der Kreisinspektor sich insgesamt genehmigt haben. „Das Geld“, sagt er, „ist durchgesickert wie ein Sieb.“ Rückblickend verstehe er selbst nicht, wie er so viel Geld habe verbrauchen können.

Die geschädigte Kreisverwaltung hofft, wenigstens ein Teil zurückzubekommen. Das Auto des Ehepaars ist schon verkauft, das Haus fast und das Konto blockiert. Unterm Strich könnten einige Hunderttausend Euro veruntreute Steuergelder zurückfließen. „Was ich habe, soll man ruhig nehmen“, sagt der Angeklagte. „Ich brauche nichts mehr.“

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