101 Mal abgehauen: Ein 69-Jähriger berichtet von Erlebnissen im Heim

Gerolstein · "Das Heim ist mir ein schlechter Lehrmeister gewesen" - das sagt Wolfgang Focke. Der 69-Jährige hat seine Kindheit in mehreren evangelischen Kinderheimen verbracht und dabei schlechte Erfahrungen gemacht. Von seinen Erlebnissen hat er nun in Gerolstein erzählt.

Gebannt hat das Publikum im Pfarrsaal St. Anna bei einer gemeinschaftlichen Veranstaltung der Katholischen Kirchengemeinde St. Anna und der Evangelischen Kirchengemeinde Gerolstein-Jünkerath die Schilderungen von Wolfgang Fockes verfolgt.

Der 69-Jährige hatte nach eigenen Angaben eine schwere Kindheit in mehreren evangelischen Kinderheimen. Von seinen Erlebnissen und von seinem Kampf um Entschädigungszahlungen hat er nun in Gerolstein berichtet. "Das Heim ist mir ein schlechter Lehrmeister gewesen", sagte Focke, Jahrgang 1946. Wenn er etwas Positives im Heim gelernt habe, dann sei es, arbeiten zu können. Lesen und Scheiben habe er nicht gelernt.

Zehn, zwölf Stunden Arbeit bei geringer oder gar ohne Entlohnung seien normal gewesen. Autoritärer Erziehungsstil und Missbrauch seien hinzugekommen. Das alles führte dazu, dass er, wie er im Nachhinein recherchierte, "101 Mal abgehauen" war. Nach 18 Jahren Heimaufenthalt brauchte er weitere 20 Jahre, bis es ihm schließlich gelang, ein geregeltes Leben mit fester Arbeitsanstellung zu führen.

Kein Geld könne ihn für das erlittene Leid entschädigen, sagte Focke. Ihm gehe es um Anerkennung des geschehenen Unrechts. "Und dazu braucht es mehr als nur ein paar warme Worte", so der Pensionär. Groß ist seine Enttäuschung über das, was er hierzu bisher erlebt habe. Sein Fazit: "Wenn es gilt, Verantwortung zu übernehmen und Entschädigung zu zahlen, ducken sich alle gerne schnell weg."

Der evangelische Pfarrer Roman Hartmann kommentierte den Vortrag mit den folgenden Worten: "Wolfgang Focke hat in Gerolstein ein nachdenkliches Publikum zurückgelassen." red

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