Justiz Täter und Opfer in einer Person

Trier · Ein 28-jähriger irakischer Kurde aus der Vulkaneifel wurde vom Vorwurf der räuberischen Erpressung freigesprochen. Wegen Drogendelikten hat der Vorbestrafte aber zwei Jahre Haft bekommen. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

 Der Angeklagte und nun Verurteilte hat Jugendliche Cannabis gegeben. Foto: Daniel Karmann (dpa)

Der Angeklagte und nun Verurteilte hat Jugendliche Cannabis gegeben. Foto: Daniel Karmann (dpa)

Foto: dpa/Daniel Karmann

Das Entsetzen stand dem Angeklagten I. beim Plädoyer der Staatsanwaltschaft ins Gesicht geschrieben, die sechs Jahre und drei Monate Haft für ihn forderte. An zwei Verhandlungstagen eines Strafprozesses vor dem Landgericht Trier hatte er sich als Beklagter zu verantworten – ein schmaler, eher kleiner Mann in weinroter Haftanstaltskleidung, der in Handschellen in den Verhandlungssaal geführt wurde. Auch einige ehemalige Nachbarn aus dem Kylltal, wo I. zuletzt gelebt hatte, kamen als Zuschauer. Der 28-jährige irakische Kurde kam vor zehn Jahren als Flüchtling in die Vulkaneifel.

Beleuchtet wurde ein „ungesundes Beziehungsnetz“, wie es Staatsanwalt Volker Anton ausdrückte: eine gescheiterte Integration in ein Dorf und eine gebrochene Biografie einerseits, Jugendliche ohne sinnvolle Freizeitgestaltung andererseits. Die Wohnung von I., so wurde im Verfahren klar, war Anlaufstelle im Dorf für einheimische Kinder und Jugendliche, die „abhängen und was rauchen“ wollen.

Nachdem I. bereits eine vierjährige Haftstrafe wegen sexueller Delikte an Minderjährigen verbüßt hatte und nach seiner Entlassung seit 2014 unter Führungsaufsicht stand, wurde ihm nun von dem Jugendlichen N. aus dem privaten Umfeld  etwas anderes zur Last gelegt: Er behauptete, dass ihn der Angeklagte Anfang September 2018 im Streit um ein Handy mit einem Messer bedroht und der Freiheit beraubt habe.

Zudem habe I. ihm Marihuana zum Rauchen gegeben. Letzteres räumte I. zu Prozessbeginn ein und sagte, es tue ihm leid. Doch die räuberische Erpressung leugnete er. Im Prozess wurde der Jugendliche N. der Lüge überführt. Er selbst hatte dem jetzigen Angeklagten I. das fragliche Handy gestohlen.

„Unwahre Aussagen sind nicht von möglicherweise wahren Aussagen zu trennen“, so Richter Armin Hardt, darum sei bei erwiesenen bewussten Falschbehauptungen des einzigen Belastungszeugen ein Freispruch des Angeklagten rechtlich zwingend. Auch die vernehmenden Kriminalbeamten hatten geschildert, dass der polizeibekannte Jugendliche N. bei Straftaten selbst „kein Kind von Traurigkeit“ sei. Wegen vorsätzlicher Falschaussage muss N. nun mit einem eigenen Verfahren rechnen. Es steht im Raum, dass er I. aus Angst vor eigener Strafverfolgung anzeigte.

Blieb der Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz: Entlastend wirke sich das Geständnis aus, ferner die Tatsache, dass lediglich Kleinstmengen einer weichen Droge an Minderjährige weitergegeben wurden.

Auch die Schwere der Untersuchungshaft, in der I. seit September saß, nannte Richter Hardt als Umstand, der berücksichtigt werden könne. „Er ist besonders haftempfindlich, weil er niemanden hat, der sich um ihn kümmert.“ Sodass jedoch auch die Sozialprognose nicht günstig ausfalle – negativ in der Waagschale der Urteilsfindung.

Schwerwiegend sei darüber hinaus, dass es drei Gesetzesverstöße innerhalb kurzer Zeit gegeben habe und dass I. Jugendliche zum Marihuana-Konsum gebracht habe, die zuvor keine illegalen Drogen nahmen.

Unter Einrechnung eines anderen, noch nicht rechtskräftigen Urteils des Amtsgerichts Daun gegen I., auf dessen Revision er nun verzichtete, sei das Gesamturteil von zwei Jahren ohne Bewährung „tat- und schuldangemessen“, so Hardt in seiner Begründung.

Mit seinem Urteil folgte er teilweise der Verteidigerin Gabriele Franz, die auf den Grundsatz „Im Zweifel für den Angeklagten“ verwiesen hatte und darüber hinaus I. als einsamen Flüchtling schilderte, der kaum Chancen auf gute Kontakte zu Erwachsenen hatte und darum die Nähe von deutlich Jüngeren suchte. Sie sagte: „Ihnen gegenüber gab er immer nach, sie waren stärker als er.“

Fand I. wirklich keine Akzeptanz im Eifeldorf? Die anwesenden Besucher aus dem Kylltal schilderten ihre Sichtweise in der Gerichtspause: Man habe I. gut aufgenommen, ihm Wohnung und Arbeit gegeben und auch nichts von seinen Vorstrafen gewusst. „Wir sind nicht rechts oder ausländerfeindlich. Uns geht es nur darum, was er getan hat.“ Sie nennen ihn noch immer beim Vornamen. Aber in ihren Augen ist er eindeutig Täter geworden.

Kein Verständnis haben sie auch für die Eltern der Jugendlichen, die bei I. ein- und ausgingen: „Ich muss doch wissen, wo mein Kind abends und nachts bleibt!“

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