79 und kein bisschen leise

Sarmersbach · In Sarmersbach ist die Welt noch in Ordnung. Hier sagen sich Fuchs und Hase gute Nacht und müssen danach nicht fürchten, dass jemand ihren Schlaf stört. Es sei denn, Hubert Pauly ist mit seinem Traktor unterwegs.

Sarmersbach. Hubert Pauly dreht den Zündschlüssel im Schloss. Einige Sekunden vergehen - nichts passiert. Nach einer Minute: immer noch nichts. Doch dann ertönt ein Röhren: Die alte Maschine erwacht zum Leben. Und wie! Über das Grollen des Motors ist Pauly kaum zu verstehen. Oder liegt es am Eifeler Platt? "Bevor dat Ding anspringt, muss ich immer 'ne Gedenkminute für Rudolf Diesel einlegen!", scherzt der 79-Jährige.
79 Jahre - genauso alt ist auch sein Traktor. "Der's von 1937 - selbes Baujahr wie ich", sagt Pauly. "Dafür hab ich mir dat Kerlchen ja anjeschafft." Er ist einer dieser älteren Männer, die immer einen Scherz auf den Lippen haben oder eine Anekdote zu erzählen. Eine hat er auch jetzt auf Lager: Wie ist er eigentlich zu seinem Normag NG 22 gekommen?



Trecker war ein "Schrotthaufen"


Jahrelang hat Pauly nach einem Traktor gesucht, der so alt ist wie er. Fündig ist er 2011 geworden, über das Internet. Ein bayrischer Bauer hat ihm den Trecker für rund 3800 Euro überlassen. Die Restaurierung habe gut das Dreifache gekostet und fast ein anderthalbes Jahr gedauert. Der Traktor, "damals nicht viel mehr als ein Schrotthaufen", sagt er
Wer sich den Normag heute anschaut, mag das kaum glauben: das strahlende Rot der Felgen, das glänzende Grün der Kotflügel… Dafür habe Pauly aber auch schwer schuften müssen, wie er sagt. Monatelang hat er an der Maschine geschraubt, gedengelt und geschliffen. Bremsen, Motor, Lenkrad - vieles musste repariert, manches ganz ersetzt werden. Dafür ist der Trecker jetzt wie neu. Naja fast.
Es ruckelt und zuckelt, knattert und rattert. Trotz des dicken Leders der Sitze spürt man jedes Schlagloch, jeden Stein auf der Straße. Mit etwa 20 Kilometern pro Stunde holpert der Normag durch Sarmersbach. "Schneller geht nicht", sagt Pauly und dreht das Lenkrad mit zwei Armen. "Von wegen Servolenkung", sagt er und lacht. Es geht vorbei an Wiesen, Feldern und Wäldern, Scheunen, Ställen und Fachwerkhäusern. Irgendwo wiehert ein Pferd. Hach, man könnte sich einfach zurücklehnen, die dörfliche Idylle und die Landluft genießen - wären da nicht der Dieselgeruch und der schwarze Qualm, der aus dem Auspuff wabert. Und irgendwie knarzt und knackt es immer irgendwo. Ist das normal?
"Der is eben'n Opa", sagt Pauly, und der älteste Trecker in der Region, da ist er sich sicher. "Hab noch kein' älteren gesehen." Die meisten Trecker machen wohl vor den 80 schlapp. Nicht so sein Normag - "der hat schon einiges durchgemacht". Sogar einige Umzüge habe die Maschine hinter sich. Bevor er bei dem Bayern landete, sei der Trecker in Ostdeutschland und Holland über die Äcker gerumpelt, erzählt sein Besitzer. Heute soll der Alte aber nicht mehr schuften. "Der is' jetzt im Ruhestand." Genau wie Pauly, der selbst jahrelang körperlich gearbeitet hat: in der Landwirtschaft, auf dem Bau und in Fabriken.
Nur im Sessel zu sitzen, kommt für den 79-Jährigen allerdings auch heute nicht in Frage. Wenn er nicht gerade an einem seiner vier alten Traktoren oder seiner zwei Oldtimer herumwerkelt, kümmert er sich um die "Hubertus Farm", seinen Garten, in dem er allerhand Tiere hält: Elf Eichhörnchen, einige Hühner und Kaninchen. "Darüber freuen sich auch die Enkel, wenn die mal zu Besuch sind", sagt er. Und auch die Spritztouren mit dem Traktor seien für die Kinder seiner Tochter immer eine Attraktion. Meistens fahren sie dann zu den Windrädern, "oben aufem Berg": seinem Lieblingsplatz. Von dort habe man eine tolle Aussicht. Heute will Pauly aber nicht so weit fahren.
Er blickt zu den dunklen Wolken am Himmel. Nieselregen tröpfelt auf die Karosserie. Der Normag schleppt sich tapfer vorwärts bis zur Garage. Pauly schafft es mit dem Trecker rein, bevor es richtig zu schütten beginnt. Das Grollen der Maschine klingt in dem Schuppen noch lauter als draußen - bis Pauly den Schlüssel wieder dreht. Der Traktor stottert noch eine Weile weiter, zittert wie ein Erfrierender. Dann erstirbt der Motor mit einem Summen. Es klingt fast wie ein Seufzer. Bleibt zu hoffen, dass es nicht sein letzter war.
Extra

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