Ab auf die Walz - mit 73

Steffeln · Obwohl längst im Ruhestand, hat sich Karl Harings aus Steffeln mit 73 Jahren einen Jugendwunsch erfüllt. Er ist zwei Wochen auf die Walz gegangen, um die alte Tradition der Schmiedegesellen nachzuerleben, von der ihm sein Vater viel erzählt hatte.

 Karl Harings in seiner Werkstatt in Steffeln. Foto: Privat

Karl Harings in seiner Werkstatt in Steffeln. Foto: Privat

Steffeln. Man sieht sie immer seltener: Handwerker, die nach erfolgreich abgelegter Gesellenprüfung auf die sogenannte Walz gehen. Und wenn man jemanden sieht, der an die alte Tradition anknüpft, ist es in der Regel ein junger Mensch - und kaum ein Ruheständler. Doch davon hat sich Karl Harings aus Steffeln, Kreis Vulkaneifel, nicht beirren lassen und ist mit 73 Jahren auf die Walz gegangen. Seine Motivation: das zu erleben, wovon ihm sein Vater, Schmiedemeister Nikolaus Harings, so viel erzählt hatte. Zur Vorbereitung schnitzte sich Karl Harings einen Wanderstab und besorgte sich bei der Handwerkskammer Trier und bei den Kreisverwaltungen die Anschriften von Schlossereien und metallverarbeitenden Betrieben. So präpariert machte er sich nach Klotten (Kreis Cochem-Zell) auf, um flussaufwärts an der Mosel seine persönlichen Walz-Erfahrungen zu sammeln.
"Ich habe alle vorgeschriebenen Regeln der Schmiedezunft erfüllt", berichtet Harings. "Ich führte meinen Gesellenbrief mit, war schuldenfrei und hielt die Entfernung von 50 Kilometern vom Heimatort ein, benutzte keine öffentlichen Verkehrsmittel und ging nur zu Fuß."
Einige Abweichungen erlaubte sich der 73-Jährige aber doch. Er wanderte ohne die einstige Zunftkleidung, den schwarzen Cordanzug mit Stehkragenhemd und schwarzem Zylinder, und statt der vorgeschriebenen 301 Tage lediglich 14 Tage.
In den Betrieben arbeitete er auch nicht mehr viele Tage oder Wochen. Stattdessen führte er erkenntnisreiche Fachgespräche mit Kunstschmieden, Schlossereien und Landmaschinenfachbetrieben. "Ich denke, eine Walz nach den alten überlieferten Formen ist heute wahrscheinlich nicht mehr möglich", meint Harings. "Die Tradition, bei den Betrieben nur relativ kurze Zeit zu arbeiten und vom Meister noch beköstigt und beherbergt zu werden, kann ich mir nicht mehr vorstellen." Darum habe er sich auch nicht mehr mit dem alten Zunftgruß "Grüß Gott, Meister und Gesellen! Ein wandernder Schmied bittet um Arbeit und Unterkunft" angekündigt, sondern sagte: "Gott segne das ehrbare Handwerk! Ein wandernder Schmied würde gerne mit dem Meister sprechen und bittet um einen Eintrag in sein Wanderbuch."
Kaum jemand kam auf die Idee, dass Harings auf der Walz sein könnte. "Die Menschen auf der Straße oder dort, wo ich übernachtete, meinten meist, ich sei als Pilger auf dem Jakobsweg unterwegs. Aber wenn sie erfuhren, dass ich als Schmiedegeselle auf der Wanderschaft war, waren sie alle sehr interessiert. Sie kannten zwar wandernde Zimmerleute, aber dass dies einst auch Schmiede taten, war ihnen unbekannt."
Ohnehin habe sich viel geändert, sagt Harings: "Seit meiner Ausbildungszeit hat sich das Schmiedehandwerk sehr stark verändert. Schmiedebetriebe wie noch zu meines Vaters Zeiten sind alle verschwunden. Wohl gibt es noch Kunstschmiede, die wahre Künstler sind. Die Arbeit der früheren Dorfschmiede haben nun große Schlossereien und Landmaschinenfachbetriebe übernommen, die mit modernster Computertechnik arbeiten." Das sagt er ohne Wehmut, denn er hat selbst in seinen 45 Jahren Arbeit am Eisen den Wandel in der Technisierung miterlebt.
Sein Resümee: "Die ehemalige Schmiedewalz hat keine Zukunft mehr. Aber nach der Gesellenprüfung in anderen Unternehmen Erfahrungen zu sammeln, nach der Meisterprüfung einen eigenen Betrieb zu gründen oder als Meister zu arbeiten, das hat auch heute nichts an Bedeutung verloren." Und schon schmiedet der Rentner neue Pläne: "Auf der Walz an der Mosel war für mich ein wunderbares Erlebnis. Bei guter Gesundheit will ich nächstes Jahr von Klüsserath weiter flussaufwärts entlang der Mosel wandern." aviExtra

 Auf die traditionelle Zunftkleidung hat Karl Harings während der Walz verzichtet – unterwegs wurde er deshalb oft für einen Pilger gehalten. Foto: privat

Auf die traditionelle Zunftkleidung hat Karl Harings während der Walz verzichtet – unterwegs wurde er deshalb oft für einen Pilger gehalten. Foto: privat

Mit Walz oder auch Gesellenwanderung bezeichnet man die seit dem Mittelalter bestehende Tradition von Gesellen, die sich nach dem Abschluss ihrer Lehrzeit auf Wanderschaft begaben. Sie mussten ledig, kinderlos und schuldenfrei sein und sollten weit ab von ihrem Heimatort ihre während der Lehre erworbenen Kenntnisse und Fertigkeiten erweitern und vertiefen und fremde Orte kennenlernen. Erst nach erfolgreicher Walz und weiteren Arbeitsjahren konnten die Gesellen sich dann zum ‚Meisterstück‘ (Meisterprüfung) anmelden. Zur Walz gehörten eine bestimmte Berufsbekleidung (Tracht, Kluft) sowie genau einzuhaltende Regeln und Anforderungen, die von der entsprechenden Berufszunft festgelegt wurden.

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