Bischöfliches Internat „Und da warst du schnell ausgeliefert“: Das steht im Abschlussbericht zu Gewalt und Missbrauch im Albertinum Gerolstein

Gerolstein · Mindestens 54 Kinder wurden in den 1950er bis 1980er Jahren im ehemaligen Bischöflichen Internat Albertinum in Gerolstein körperlich und psychisch misshandelt. Einigen wurde sexuelle Gewalt angetan. Der Abschlussbericht dokumentiert eine „ununterbrochene Gewaltgeschichte“, wie der Trierer Bischof sagt.

Schauplatz von Gewalt und Missbrauch: das Albertinum in Gerolstein, früher kirchliche Erziehungsanstalt, steht seit einigen Jahren leer.

Schauplatz von Gewalt und Missbrauch: das Albertinum in Gerolstein, früher kirchliche Erziehungsanstalt, steht seit einigen Jahren leer.

Foto: TV/Mario Hübner

Auf 137 Seiten steht schwarz auf weiß, was einige Schüler im ehemaligen Bischöflichen Internat in Gerolstein in den 1950er bis 1980er Jahren erleiden mussten – und was das Bistum Trier daraus schlussfolgern sollte. Der Abschlussbericht unter der Leitung zweier Wissenschaftlerinnen ist am Freitag in Trier veröffentlicht worden. Unter den Verfassern sind auch ehemalige Internatsschüler.

54 ehemalige Albertinum-Schüler haben sich an dem Aufarbeitungsprojekt beteiligt. Im Interview, mit Briefen und Mails haben sie ihre traumatischen Erfahrungen geschildert. Unter anderem ist von Stockschlägen, sexuellem Missbrauch, Ohrfeigen, stundenlangem Eingesperrtsein in dem Bericht die Rede. „Nachts konntest du dich nicht verstecken. Und da warst du dem ausgeliefert…“, schildert ein ehemaliger Schüler darin.

Die Folgen der Gewalttaten spürt manch einer noch heute. Am Rande der Veröffentlichung sagt ein heute 81-Jähriger, Angst begleite ihn bis heute.

Albertinum Gerolstein: Wie konnte es zu diesem System der Gewalt kommen?

„Zu den Beschuldigten der körperlichen und psychischen Gewalt zählen einerseits alle drei langjährig als Direktoren tätigen Priester und neun Mitarbeiter“, heißt es in dem Bericht. Die Direktoren und ein langjähriger Mitarbeiter sollen Schülern auch sexuelle Gewalt angetan haben. Ebenso werden wiederum Mitschüler, „vornehmlich ältere Jungen und Subpräfekten“, beschuldigt, alle Formen der Gewalt ausgeübt zu haben.  Ein ehemaliger Schüler, 66, kommentiert; „Es war eine Zeit, in der das Schlagen von Kindern als Erziehungsmittel galt.“ Aber das, was sie unter der Fuchtel der Aufseher in diesem „Knast” hätten erleben müssen, habe damals jedes Maß des Erträglichen überschritten.

Wie konnte es zu diesem System der Gewalt kommen? Als Gründe werden unzureichende Qualifikation der Beschäftigten, Geschlossenheit des Systems und fehlende Schutzmaßnahmen durch die Familien genannt sowie fehlende Kontrolle durch den Träger. Bischof Stephan Ackermann sprach in einem Pressegespräch, nachdem der Bericht zuvor ehemaligen Schülern vorgestellt worden war, von einer vernachlässigten Einrichtung.

Trierer Bischof bittet Opfer um Verzeihung

Der Lenkungsausschuss des Aufarbeitungsprojekts empfiehlt unter anderem dem Bistum Trier, reale Verantwortung für die Taten klar zu benennen. Dies sei für die Entlastung der Betroffenen von Gewalt durch Priester und durch die von ihnen autorisierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unabdingbar. Bischof Ackermann sagte weiter, er bitte die ehemaligen Internatsschüler in seiner Verantwortung als der amtierende Bischof von Trier ausdrücklich um Verzeihung für das, was ihnen an Schmerz in einer Institution des Bistums zugefügt worden sei. Er sprach von einer „ununterbrochenen Gewaltgeschichte“ im Albertinum-Internat.

Das Aufarbeitungsprojekt war im Jahr 2019 gestartet. Es war das erste unabhängige und einrichtungsbezogene Aufarbeitungsprojekt des Bistums Trier. Mit Genehmigung des Bischofs durften die Wissenschaftlerinnen im Bistumsarchiv recherchieren.

In den Jahren zuvor waren immer wieder Vorwürfe laut geworden. 2012 hatte etwa ein ehemaliger Schüler des Jungeninternats in einem Blog von sexuellem Missbrauch und Massenbestrafungen geschrieben.

Im gleichen Jahr wandte sich ein anderer ehemaliger Internatsschüler an Bischof Stephan Ackermann. Aus seinem Brief, der unserer Zeitung vorliegt, spricht aus jeder Zeile Verzweiflung und welchen Mut es ihn gekostet haben muss, über die nie verheilten Wunden zu sprechen. Der Mann hat sich vor sechs Jahren das Leben genommen.

In Gesprächen mit ehemaligen Schülern, die zur Vorstellung des Berichts teils mehrere Stunden angereist waren, wird deutlich: Einige möchten mit dem Abschlussbericht das schwarze Kapitel ihrer Jugend ad acta legen, für andere ist die Aufarbeitung noch lange nicht abgeschlossen. Sie wollen eine Wiedergutmachung für das erlittene Leid (siehe Info).

Der Abschlussbericht über Vorgänge im Albertinum ist im Internet abrufbar unter folgender Adresse:
www.albertinum-gerolstein.de

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