Als Niederbettingen den Atem anhielt

HILLESHEIM-NIEDERBETTINGEN. (mh) An den Luftangriff am Neujahrstag 1945, bei dem unter anderem die wertvollen Scheiben der Niederbettinger Kirche zerstört wurden, erinnert sich Peter Jakobs (75), als wäre es erst kürzlich gewesen.

Für die kleine Gemeinde an der Kyll war der Neujahrstag 1945 kein Tag wie jeder andere. Seit Beginn der Ardennenoffensive waren keine Soldaten mehr im Dorf, es herrschte aber reger Durchgangsverkehr, vor allem in der Nacht. Schon früh nach dem Hellwerden kamen wir aus dem Staunen nicht raus. Deutsche Jagdflugzeuge überflogen das Kylltal in Frontrichtung in Baumhöhe. Später erfuhren wir, dass auf deutscher Seite insgesamt 1035 Jäger im Einsatz waren. Beabsichtigt war ein Überraschungsschlag gegen alliierte Flugplätze in Belgien und Holland nach der Silvesternacht. 300 deutsche Flugzeuge kamen nicht zurück. Je heller es wurde, desto mehr nahm der Flugbetrieb über der Eifel zu. Man merkte, dass die Offensive im Westen gescheitert war. Nachts hatte eine Kolonne unser Dorf passiert. Dabei ließen die Soldaten am Ende eines kleinen Hohlwegs am Stall "von Landenberg" einen kleinen LKW stehen. Am frühen Morgen hatte noch niemand von dem Fahrzeug Notiz genommen. Noch immer die Bombe exakt vor Augen

Gegen 11 Uhr aber entdeckten die Piloten der Jagdbomber den LKW und setzten sofort zum Angriff an. Zu diesem Zeitpunkt stand ich als damals 15-Jähriger vor meinem Elternhaus und konnte den Angriff genau sehen. Einen Luftschutzkeller gab es nicht. Ungehindert, schließlich gab es im Dorf auch keine Flugabwehrgeschütze, setzten die Piloten zum Tiefflug an, die ausgeklinkte Bombe - die ich noch immer exakt vor Augen habe - flog hernieder, verfehlte ihr Ziel, verursachte aber einen tiefen Krater nahe dem Haus von Michel Schneider. Die Detonation löste einen starken Luftdruck aus. Ich wurde gegen die Hauswand gedrückt. Und dann das Klirren: In der Herz-Jesu-Kirche, die ansonsten unbeschädigt blieb, gingen die schönen Fenster zu Bruch. Die Reste der bleiverglasten Stiftungsfenster fanden sich auf dem Boden zwischen den Bänken wieder. Der Schaden war ungeheuer. Nach dem Krieg konnte man aus den Resten gerade noch das Hauptfenster hinter dem Hauptaltar herstellen. Die übrigen Fenster wurden normal verglast. Später wurde immer wieder gefragt, warum diese wertvollen Fenster nicht besser gesichert waren, das heißt, rechtzeitig durch Notfenster ausgetauscht wurden? Die Älteren denken mit Wehmut an die schönen Fenster. Ein Trost blieb uns: Die vorhandenen drei Glocken der Kirche überstanden beide Weltkriege und wurden nicht eingeschmolzen. Hoffen wir, dass unsere Nachkommen derartige Ereignisse wie am Neujahrstag 1945 nicht erleben müssen. Der Autor Peter Jakobs ist in Niederbettingen geboren und wuchs dort auf. Den Angriff erlebte er als 15-Jähriger mit. Heute lebt er in Simmern im Hunsrück.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort