Aufs falsche Pferd gesetzt?

Neulich wurde ich stutzig, als ich auf eine ungewöhnliche Wortverbindung stieß. Da wurde von der "falschen Wahrheit" gesprochen.

Aufs falsche Pferd gesetzt?
Foto: Katja Bernardy (kat) ("TV-Upload Bernardy"

Gibt es das überhaupt? Ist es nicht wie bei einem weißen Rappen und einem schwarzen Schimmel - eine unmögliche Möglichkeit?
Wie kann denn Wahrheit falsch sein? Dann ist sie ja nicht mehr wahr, oder?
In Glaubensfragen wird sehr oft mit dem Begriff "Wahrheit" einer Ansicht Nachdruck verliehen. Indes bleibt es genau genommen eine Ansicht. Die Sicht einer Einzelperson. Viele können nun dieselbe Sicht einnehmen, und damit gewinnt die Ansicht an Gewicht - jedoch nicht an Wahrheit. Beispiele erleben wir ja immer wieder genug, dass viele Menschen eine Ansicht vertreten, die aber unmöglich wahr sein kann. Der Schweizer Journalist Ludin hat gesagt, es gibt überhaupt zwei Wahrheiten, die eigene und die falsche.
Das ist aber auch überheblich, wenn man von sich denkt, die eigene Wahrheit sei immer die richtige, und die falsche sei immer die der anderen. Pilatus hat in der Darstellung des Johannesevangeliums Jesus gefragt: Was ist Wahrheit? Auch wenn wir nicht davon ausgehen müssen, dass Pilatus mit dem hinzurichtenden Delinquenten eine philosophische Frage erörterte, bleibt dies als Frage an uns: Was halten wir denn für die Wahrheit?
Postfaktisch wurde unsere Gesellschaft genannt, Menschen, die sich nicht mehr an der Wahrheit, oder genauer gesagt an falschen Wahrheiten orientieren. Wenn ich dazu auf die letzten 40 bis 50 Jahre schaue, dann geht mir nicht Goethes Satz aus dem Kopf "die ich rief die Geister, werd ich nun nicht los". David Precht sagte: "Wir haben viele Tricks, uns selbst zu betrügen," weil wir die Wahrheit nicht immer zugemutet bekommen wollen.
Letztlich geht es nicht um die Frage: "Was ist wahr?" sondern "Was ist gut?", für uns, für andere.

Pfarrer Clemens Ruhl,
Evangelische Kirchengemeinde Prüm