Bericht aus dem Schützengraben

Mancher Jugendliche und Erwachsene von heute mag sich kaum vorstellen, dass es in Deutschland bis 1918, also lange vor Franz Beckenbauer, bereits einen Kaiser gab. Der letzte, Wilhelm II., soll zwar keine so große Lichtgestalt wie unser Fußballkaiser gewesen sein, in Gegensatz zu ihm war der preußische Herrscher aber höchstpersönlich in Gerolstein: am 15. Oktober 1913, von 11 bis 13.30 Uhr.

Der Grund war die Einweihung der evangelischen Erlöserkirche auf Sarresdorf. Ein findiger Besitzer soll aus diesem Anlass angeblich sein Hotel "Kaiserhof" genannt haben. Der Kaiser ist längst nicht, und auch mit dem "Kaiserhof" ist offenkundig kein Staat mehr zu machen. Das ehemalige Hotel, das nicht gerade zu Gerolsteins Prunkbauten zu zählen ist, steht seit einigen Jahren leer - mitten in Gerolsteins Innenstadt. Doch zurück zum Kaiser: Wilhelm II. ist keinem Krieg aus dem Weg gegangen, im Gegenteil. Da zeugt es von einer gewissen Tradition, dass nun auch am "Kaiserhof" ein Krieg entschieden werden soll. So jedenfalls schilderte der zuständige Kriegsberichterstatter des TV dieser Tage die Situation um Wohl und Wehe der Fußgängerzone: "Kriegsentscheidung am Kaiserhof". Denn geht es nach dem Gewerbeverein, soll das Hotel für einen schmucken Stadtaufgang weichen. Da ist das halbe Häuflein der Gewerbetreibenden, noch ohne Kriegsgeschrei und unter Führung von Heinz Weber in der Hoffnung angetreten, zu den Kriegsgewinnlern zu zählen. Die Stadt scheut (noch) die Kriegsschulden (450 000 Euro sollten für das Haus berappt werden) und ist auch noch nicht in die möglichen Auseinandersetzungen eingetreten. Die Eigentümer-Sippe des "Kaiserhof" will auf keinen Fall zu den Kriegsverlierern gehören, sondern Kapital aus der Sache schlagen. Im Schützengraben in sicherer Entfernung liegend und die Angelegenheit weiter genauestens beobachtend, meldet sich fürs Erste ab, Gefreiter

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