Bewegte Bahnkunden

Walburga und ich wollten weder den Heiligen Rock bestaunen noch für uns selbst ein Kleidungsstück erwerben. Wir, eingefleischte Autofahrer, hatten die Absicht, "einfach mal so" mit der Bahn von Gerolstein nach Trier zu fahren.

Man gönnt sich ja sonst nichts. Einem Gerolsteiner steckt die Erfahrung für das Reisen mit der Bahn vermutlich noch in den Genen, uns Auswärtigen ist sie längst abhanden gekommen. Ehe man in der Brunnen- und einstigen Eisenbahnerstadt lesen und schreiben lernte, so die Sage, habe man die Abfahrts- und Ankunftszeiten der Züge aufsagen können. Heute gibt es für derlei Informationen nicht mal mehr einen Telefonanschluss. Nicht nur für Auswärtige ein Problem. Also: keine Nummer, kein Anschluss! Service-Wüste Deutsche Bahn AG! Es ist womöglich einfacher zu erfahren, wann die Transsibirische Eisenbahn in Moskau abfährt, Omsk erreicht und in Wladiwostok ankommt. Am Samstagmorgen begaben wir uns nach Gerolstein. Die Bahnhofshalle war geschlossen und somit auch die Fahrkartenausgabe, der Servicebereich und der Aufenthaltsraum. An der Tür informierte uns ein Zettel, dass die Halle montags bis freitags in der Zeit von 8.40 bis 17 Uhr geöffnet sei. Ausrede der Bahn: Vandalismus, zunehmende Verschmutzung. Gut Informierte vermuten, dass der schöne, alte Bahnhof bald ganz geschlossen wird. Doch wir wollten unbedingt mit dem Zug nach Trier - und möglichst wieder zurück. Hinten herum fanden wir die Bahnsteige, Fahrscheinautomaten, geschlossene Bahnhof-WC und andere bahntypische Einrichtungen, die darauf hindeuteten, dass hier wirklich noch Züge verkehren. Nach ausführlichem Studium der Automaten gelang es uns, die richtigen Fahrkarten zu ziehen. Der Zug war pünktlich, bot reichlich Platz und hielt auch dort, wo weder ein Bahnhofsgebäude noch Reisende auszumachen waren. Zerkratzte Fensterscheiben sorgten für eine gewisse künstlerische Verfremdung der Kylltal-Landschaft. Nach knapp zwei Stunden verließen wir den Trierer Bahnhof. Irgendwo lasen wir in einem Bahnprospekt etwas von Bahnhöfen und von "Linien, die speziell an Wochenenden ideale Verkehrsmittel für erlebnisreiche Touren sind", und: "Wir bewegen die Region." Bewegt waren auch Walburga und

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