Die große Leere in der Dauner Brotfabrik

Daun · Fast alle der zuletzt 90 Beschäftigten der Dauner Brotfabrik stehen seit Februar auf der Straße. Einer, der noch im verwaisten Gebäude arbeitet, ist der langjährige Betriebsratsvorsitzende Markus Hoffmann. Er erzählt dem TV aus mehr als 20 Jahren Betriebszugehörigkeit und von den Sorgen und Nöten der Entlassenen.

Daun. Packt Markus Hoffmann die Wehmut, verlässt er sein kleines Büro mit der Kaffeemaschine und dem Computer und geht durch die verlassenen Hallen der Brotfabrik. Dorthin, wo Mitarbeiter in der Backstube in ihren besten Zeiten 500 000 Berliner am Tag produzierten. Die Räume wirken finster, kein Mensch ist zu sehen, die Maschinen stehen still. Doch der Duft bleibt. Hoffmann riecht die Marmelade und den Puderzucker. Als der 43-Jährige durch eine Tür an die frische Luft tritt, zündet er sich eine Zigarette an und sagt: "Manchmal klopfen hier immer noch Leute an die Fenster und wollen Brot kaufen." Sie klopfen vergeblich.

Seit dem 1. Februar ist die Dauner Großbäckerei geschlossen. 90 Mitarbeiter erhielten von einem Tag auf den anderen die Kündigung, weil die Mutterfirma Stauffenberg in Gelsenkirchen insolvent ist (siehe Extra).

Wer zurückbleibt, sind die entlassenen Menschen. Hoffmann stößt den Zigarettenrauch aus und zürnt. "Wir werden mit unserem Schicksal allein gelassen." Als Vorsitzender des Betriebsrats arbeitet er noch für die Firma, um den alten Kollegen zu helfen. Er veranstaltet Termine mit dem Arbeitsamt. Ende des Monats könnte dann auch seine Zeit bei der Brotfabrik vorbei sein.

Wie es dann weitergeht, weiß er nicht. Der Schock sitzt tief. Viele Mitarbeiter schlugen die Anfrage aus, mit dem TV zu reden. "Die Geschichte müssen wir erst einmal sacken lassen", sagt der Betriebsratsvorsitzende.
Die Brotfabrik war mehr als ein Arbeitsplatz - nicht nur für ihn. "Wir haben an Wochenenden, bei Tag und Nacht zusammen geschafft. Da ist eine Bindung entstanden, die enger ist als Freundschaft."

Dazu kommen die Sorgen, die mit der Arbeitslosigkeit verbunden sind. "Ich zahle ein Haus ab", erzählt Hoffmann von seinem Schicksal. Mit den Nöten sei er nicht alleine. "Andere haben renoviert, gebaut und sich bei ihren Hypotheken nach dem Grundgehalt gerichtet, das sie verdient haben. Nun stehen alle mit deutlich weniger Geld da."
Einen neuen Job zu suchen, sei außerdem ein neues Unterfangen. Die Brotfabrik lebte von vielen Menschen, die seit Generationen dort Berliner fertigten, in der Backstube schwitzten - und als Dauner zu Fuß nach Hause gingen. "Einige Leute haben 40 Jahre in dem Betrieb gearbeitet. Manche haben nie eine Bewerbung oder einen Lebenslauf geschrieben", sagt Hoffmann.

Er weiß, wie einige Wege in der Vergangenheit zur Brotfabrik führten. "Früher ist man zum Betriebsleiter gegangen, durfte zwei Wochen mithelfen. Und wer sich gut anstellte, bekam einen Job."
So reibungslos lief es auch bei Hoffmann. Er bewährte sich und arbeitete 23 Jahre dort. "Ich bin mit Handlangerarbeiten gestartet, habe gebacken und es zum Ersatz-Schichtführer gebracht."
Aus der Zeit kann er sich an viele Geschichten erinnern. An die turbulenten Tage um Karneval, wenn für Menschen in ganz Deutschland die Berliner über das Band liefen.

Im Gedächtnis bleibt auch der Brand 1994, nach dem die Firma die Anlagen erneuerte und in der Folge mehr Produkte verkaufte als je zuvor. An die Substanz gingen Hoffmann die vergangenen Jahre mit Skandalen in der Geschäftsführung, Verhandlungen, Verzichten auf Weihnachtsgeld und Entlassungen.
Der große Knall kam mit dem Aus. Was den Betriebsratsvorsitzenden tröstet, ist die Unterstützung, die er erfährt. "Menschen und regionale Firmen sprechen mich an, wann wir wieder backen. Alle sagen, dass unsere Berliner besser schmecken als die, die jetzt in den Regalen liegen."

Solche Geschichten verleihen dem Betriebsratsvorsitzenden Genugtuung, wenn er wieder mal durch die alten Hallen wandert. Nach wie vor hofft er noch auf die Rettung, wenn er durch den verlassenen Raum blickt. Auf einen Investor, der irgendwie doch einspringt.
Er sagt: "Wir waren nicht ohne Grund der größte Berliner-Produzent in Deutschland."Extra

Das Aus der Großbäckerei Stauffenberg, zu der die Brotfabrik in Daun gehört, hängt mit dem Betrugsskandal der alten Geschäftsführung zusammen. Der einstige Chef, Frank Ostendorf, wurde im Dezember vom Landgericht Essen zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten verurteilt, gegen die er Revision eingelegt hat. Er soll über Scheinverträge sechs Millionen Euro erhalten haben, um weiter in das Unternehmen investieren zu können. Der Discounter Aldi, der Brot und Gebäck von der Firma erhielt, kündigte so den Lieferauftrag. Rund 80 Prozent des Umsatzes gingen alleine in Daun verloren - monatlich 2,5 Millionen Euro. Ein neuer Investor fand sich nicht. Am Standort in der Vulkaneifel erhielten 90 Menschen Anfang Februar die fristlose Kündigung - ohne Abfindung. Klagen gegen die alte Geschäftsführung können sich ehemalige Mitarbeiter auf TV-Anfrage vorstellen. Sie hatten unter anderem auf Weihnachtsgeld verzichtet, um dem Unternehmen zu helfen. flor

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