Die Malerin und die Kirche

Gerolstein · Es ist Jubiläumsjahr der Evangelischen Kirchengemeinde Gerolstein, denn vor 100 Jahren wurde die Erlöserkirche eingeweiht (der TV berichtete). In der gegenüberliegenden Gartenstraße ist die 90-jährige Gertrud Becker geboren und hat die allermeisten Jahre ihres Lebens hier verbracht. Die Kunstmalerin erzählt, warum das Bauwerk zu ihren Lieblingsmotiven gehört.

 Zu den Lieblingsmotiven der Malerin Gertrud Becker gehört die Gerolsteiner Erlöserkirche (rechts auf der Staffelei), in deren Nachbarschaft die 90-Jährige fast ihr ganzes Leben verbracht hat. TV-Foto: Brigitte Bettscheider

Zu den Lieblingsmotiven der Malerin Gertrud Becker gehört die Gerolsteiner Erlöserkirche (rechts auf der Staffelei), in deren Nachbarschaft die 90-Jährige fast ihr ganzes Leben verbracht hat. TV-Foto: Brigitte Bettscheider

Gerolstein. Kaum zu glauben, dass Gertrud Becker schon 90 Jahre alt ist - so wach sind ihre Augen, so lebhaft und detailreich sind ihre Erinnerungen, so gut kleidet sie der rote Pullover. "Ja, ich habe ein Faible für kräftige Farben", sagt sie lachend. Und das liegt nahe: Gertrud Becker zeichnet und malt seit ihrer Jugend, und kräftige Farben gehören zu den Kennzeichen ihrer Werke. Das dokumentieren die Originale sowie die Fotografien der Bilder, die weit über Gerolstein und die Eifel hinaus ihre Liebhaber gefunden haben.
Menschen ganz nah


Ihr größtes Bild - das Weinfelder Maar und die Kapelle auf fünf Quadratmetern in Öl - ging 1958 an einen Kölner Geschäftsmann und Kunstsammler. Besonders in den 1980er Jahren waren Gertrud Beckers Bilder häufig in Ausstellungen in Gerolstein und Umgebung zu sehen.
Ihre bevorzugten Motive sind Natur und Landschaft, Menschen, Tiere, auch Kirchenfeste wie Fronleichnam und Brauchtum wie der St.-Martinstag. Und Gebäude: Bauern- und Bürgerhäuser, Burgen, Kapellen und Kirchen. Dass sie die Erlöserkirche wohl dutzendfach zu allen Jahres- und Tageszeiten, von allen Seiten und in unterschiedlichen Techniken gemalt hat, erklärt sich aus der unmittelbaren Nachbarschaft zu ihrem Haus in der Gartenstraße. "Mir ist diese im Grün stehende Kirche ans Herz gewachsen", erklärt Gertrud Becker. Als sie 1922 als eine der drei Töchter der Familie Clemens auf die Welt kam, war die Erlöserkirche noch wie neu.
Mit den evangelischen Mitchristen habe es immer ein gutes Miteinander gegeben, erinnert sich Gertrud Becker, die selbst aus einer katholischen Familie kommt. Und als 1939 die Diakonisse Edmeé-Athenáis Adriányi ("Schwester Edmeé") aus Düsseldorf in das der Kirche angeschlossene Erholungsheim kam und dann während des Weltkriegs zur Unterstützung der beiden Gemeindeschwestern blieb, freundeten die Clemens-Mädchen sich mit ihr an. "Wir lieferten täglich frische Milch in das Erholungsheim", erzählt Becker. Und erinnert sich traurig an den 2. Januar 1945, als die Bahnstadt Gerolstein nach dem 26. Dezember 1944 zum zweiten Mal Ziel eines schweren Bombenangriffs wurde.
Das Clemens-Haus war schon beim ersten Angriff fast komplett zerstört worden. Am 2. Januar gab ihm eine weitere Bombe den Rest. Während Gertrud Beckers Familie die Tage des Bombenterrors in einer Höhle auf der Munterley und die Nächte bei Verwandten verbrachte, lebten Schwester Edmeé und ihr Vater zu diesem Zeitpunkt im Kokskeller unter der Erlöserkirche.
Schock unter den Bomben


An dem verhängnisvollen 2. Januar sei Edmeés Vater voller Verzweiflung zu ihnen gekommen. Pfarrhaus und Kirche waren schwer getroffen worden und Edmeé nirgends zu finden.
Es war schließlich Gertrud Becker, die Edmeés Leichnam entdeckte. "Wir legten sie zunächst in einer Decke vor dem Altar ab, am Abend beerdigten wir sie in einem Bombentrichter vor dem Pfarrhaus. Der damalige Pfarrer Bernhard Wiebel war dabei und betete", berichtet die Zeitzeugin. Schwester Edmeé war 50 Jahre alt geworden. Ihr Grab ist heute noch an gleicher Stelle. Und natürlich hat Gertrud Becker auch die beliebte Diakonissin gemalt - in der typischen Tracht mit bodenlangem, dunkelblauem Kleid, weißem Kragen und weißer Haube. Darunter ein gütiges, freundliches Gesicht.

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